Konflikt um Schwarzmeer-Region Abchasien: Im kaukasischen Dilemma

Der Abchasien-Konflikt flammt wieder auf: Völkerrechtlich gehört die Kaukasusregion zu Georgien, wirtschaftlich ist sie von Russland abhängig. Nun mischt sich Washington ein.

Isoliertes Paradies Abchasien: russischer Grenzposten an der georgisch-abchasischen Grenze. Bild: reuters

ABCHASIEN taz Selten sind Grenzübertritte so einfach. Ein flüchtiger Blick in die Papiere, die Bitte, sich doch einen Augenblick zu gedulden, und schon gibt es den Pass samt Stempel und einem freundlichen Lächeln zurück. So sollte es ja auch sein, wenn man in ein Touristenparadies reist. Aber etwas ist hier anders: Die Grenzbeamten sind Angestellte eines Staates, den es eigentlich nicht gibt. Zwar verfügt die Republik Abchasien über alle Insignien, die ein richtiges Staatswesen ausmachen - Flagge, Wappen, Armee, einen Präsidenten und einen Außenminister. Doch etwas Entscheidendes fehlt: die internationale Anerkennung.

Die Region: Abchasien ist eine im Süden des Kaukasus an das Schwarze Meer grenzende Region. Die Hauptstadt ist die Küstenstadt Suchumi.

Die Menschen: Zu Sowjetzeiten lebten in Abchasien 500.000 Menschen,

48 Prozent Georgier und 17 Prozent Abchasen. Im Verlauf des Sezessionskrieges Anfang der 90er Jahre und nachfolgenden ethnischen Säuberungen wurden 250.000 Einwohner vertrieben, 200.000 von ihnen Georgier, die meisten flüchteten nach Tiflis.

Der Konflikt: 1991 sagten sich abchasische Nationalisten von Georgien los. Den darauf folgenden Krieg, in dem auch russische Soldaten auf Seiten Abchasiens kämpften, verlor Georgien. Der Friedensprozess unter der Schirmherrschaft des UN-Generalsekretärs und der Gruppe der Freunde Georgiens (USA, Russland, Frankreich, Deutschland, Großbritannien) führte bisher nicht zu einer Annäherung

Vor 15 Jahren hat sich die Schwarzmeerrepublik im Nordwesten Georgiens nach einem Sezessionskrieg von Tbilissi losgesagt. Seither führen die Abchasen ein Dasein in Vergessenheit und Isolation. Als der Vielvölkerstaat Sowjetunion vor beinahe zwanzig Jahren in seine Einzelteile zerfiel, ging im Westen die Rede vom "Ende der Geschichte". Nirgends beschrieb diese Wendung die Wirklichkeit - nur in diesem von der Natur so verwöhnten Küstenstreifen brach eine bleierne Zeit an.

Die Zeit steht still

Die Geschichte blieb nicht stehen, aber sie machte einen Bogen um die Republik und ihre Bevölkerung, deren Zahl mittlerweile von einst einer halben Million auf 150.000 geschrumpft ist. Auf Betreiben Georgiens verhängte die internationale Gemeinschaft ein Handels- und Verkehrsembargo. Heute wachen, versehen mit einem UN-Mandat, russische Friedenstruppen über die Einhaltung des fragilen Waffenstillstands. Ihre Mission wird kritisiert - immer wieder nährt Moskau den Verdacht, es sei mehr an der Aufrechterhaltung des Status quo denn an einer Wiederaufnahme der Gespräche zwischen den verfeindeten Parteien interessiert. Unterdessen kümmert sich der Westen wenig um das Schicksal der Abchasen. Er hält sich strikt an internationales Recht und die territoriale Integrität Georgiens und pocht zu Recht auf eine Rückkehrerlaubnis der im Krieg vertriebenen 250.000 Georgier.

Erst mit der Anerkennung des Kosovo im Februar dieses Jahres machte Abchasien wieder auf sich aufmerksam. Die Russen, die gegen die Souveränität des Kosovo Veto einlegten, brachten den Stein ins Rollen. Überdies signalisierte Anfang April die Nato Georgien und der Ukraine die Möglichkeit eines späteren Beitritts. Moskaus Geduld war erschöpft, Mitte April hob Wladimir Putin das abchasische Embargo auf und wies seine Regierung an, bilaterale Kontakte zu knüpfen sowie eine "umfassende Verteidigung" der dort lebenden russischen Bürger zu gewährleisten. Fast 90 Prozent der Abchasen haben inzwischen einen russischen Pass; es ist das einzige Dokument, das ihnen erlaubt, der Isolation zu entfliehen.

Die Order des Kremlchefs kam einer Quasianerkennung gleich und rief Georgiens Präsidenten Michail Saakaschwili auf den Plan, der sich im Westen um Beistand bemühte. Die Ereignisse überschlugen sich: Russlands Außen- und Verteidigungsministerium gaben bekannt, wegen "provokativer Aktionen" Georgiens zusätzliche Truppen in die Nachbarrepublik verlegen zu wollen, pflichtgemäß protestierten die EU und Washington. Brüssel hält das Vorgehen für "keine weise Maßnahme", die USA warnen vor einer Destabilisierung der Region.

Diesmal waren es aber nicht die Russen, die ihr Mandat überschritten, sondern es war Georgien, das mit dem Feuer spielte. Abchasiens Präsident Sergej Bagapsch gab letzte Woche Einzelheiten eines georgischen Rückeroberungsplans preis und erklärte, dass russische Truppen auf Wunsch Suchumis nach Abchasien verlegt worden seien.

Das klingt nach brüderlicher Hilfe, wie sie einst die Sowjetunion der Tschechoslowakei und Afghanistan auf Bitten ausländischer Genossen angedeihen ließ. Aber der Vergleich hinkt. Ausländische Militärs in Georgien bestätigten gegenüber westlichen Medien, dass Tbilissi tatsächlich mobilgemacht habe. Auch die International Crisis Group (ICG), eine anerkannte NGO, berichtete im Juni, dass der engste Führungskreis um Michail Saakaschwili seit zwei Jahren intensiv über eine Annektion nachdenke. Laut ausländischen Militärs wurden im April auf der georgischen Basis Senaki südlich der abchasischen Grenze 12.000 Mann kampfbereit zusammengezogen. Und in der von Georgien kontrollierten Kodori-Schlucht, einer schwer zugänglichen Bergregion, habe man Polizei und Reservisten stationiert.

Moskau macht mobil

Als die Russen davon erfuhren, schickten sie 500 Elitefallschirmjäger. Im Konfliktfall, gab Moskau den Georgiern zu verstehen, würden sie weit mehr Einheiten entsenden. Allein im russischen Kaukasus sind mehr als 90.000 Soldaten stationiert. Daraufhin blies Georgien die Offensive ab. Dennoch halten ausländische Militärbeobachter die Lage weiterhin für brenzlig.

Und sie bleibt es. In Gagra und Abchasiens Hauptstadt Suchumi explodierten vergangene Woche mehrere Sprengsätze. Tote gab es nicht, die Sprengladungen waren schwach und so platziert, als sollten sie lediglich etwas Unruhe unter russischen Touristen an der ehemaligen sowjetischen Riviera stiften. Die Abchasen vermuten den georgischen Geheimdienst dahinter. Das würde nicht verwundern, ist aber pure Spekulation. Allerdings ist dem Bericht der ICG zu entnehmen, dass georgische Spezialkommandos in der abchasischen Provinz Gali auch unter zurückgekehrten georgischen Flüchtlingen Angst und Schrecken verbreiten, die ICG nennt Fälle von Entführung und Mord.

Die Einwohner Galis sind Megrelen, ethnische Georgier. 40.000 von ihnen kehrten nach dem Krieg in die Heimat zurück, so wie es internationale Vereinbarungen vorsehen. Wer sich aber in der alten Heimat mit den abchasischen Behörden arrangiert, gilt in Georgien leicht als Verräter. Andererseits trauen die neuen Herren im Land den Heimkehrern nicht, weil sie Kontakte zu ihren Landsleuten jenseits der Grenze aufrechterhalten. Nun stehen die Heimkehrer zwischen den Fronten. Im Kleinen wiederholt sich somit in Gali das Dilemma aller Abchasen: Auch sie sind eingezwängt zwischen zwei größeren Nachbarn. Selbst das kleine Volk der Georgier erscheint ihnen übermächtig, die Russen sind es allemal.

Die Abkehr von Georgien bedeutet unterdessen nicht, dass die Apsua, wie die Abchasen in der Landessprache heißen, dem Nachbarn Russland größeres Vertrauen entgegenbrächten. Die Menschen sind Moskau für Rentenzahlungen, Militärpräsenz und Pässe dankbar - Hilfen, die das Leben leichter machen. Aber niemand ist so naiv, zu glauben, Russland täte all dies aus reiner Selbstlosigkeit. Am liebsten hätten beide Nachbarn ein Abchasien ohne Abchasen, meinen die Schach spielenden Männer im Schatten der Platanen an der Uferpromenade in Suchumi. Nicht nur die jüngste Erinnerung an den Krieg ist noch wach. Den ersten großen Exodus forderte die Annexion des Küstenstreifens durch den Zaren im 19. Jahrhundert. Hunderttausende flohen und suchten im Osmanischen Reich Zuflucht. Nun kehren manche aus der Türkei zurück - als Investoren.

"Wer unter den Bedingungen der 15-jährigen Quarantäne überleben wollte, wurde zum Pragmatismus gezwungen", erklärt Inal Chaschig, Redakteur der russischsprachigen Zeitung Tschegemskaja Prawda. "Als der alte sowjetische Pass ablief, hätte ich auch einen von Botswana genommen", lacht er. Und einen georgischen? "Nie und nimmer!" Chaschig lehnt Gespräche mit Tbilissi nicht ab, eine Vereinigung aber hält er für ausgeschlossen. Wenn Annäherung überhaupt noch möglich sei, sagt er, müsste der Weg über einen eigenen souveränen Staat führen.

Wenig Spielraum für Illusionen

Befürworter eines Anschlusses an Russland gibt es kaum. Eher überwiegt die Angst vor einer schleichenden Annexion Moskaus. Der stellvertretende Finanzminister Wladimir Delba etwa räumt freimütig ein, dass die meisten Investitionen aus Russland stammen, 90 Prozent dürften es sein. Abchasien gleicht einem russischen Protektorat. Auch in der Armee haben Moskaus Generäle das Sagen. Einen Vorgeschmack darauf, wie es unter russischer Hoheit zugehen könnte, erhielten die Bürger 2004: Als sie Sergej Bagapsch zum Präsidenten wählten und sich gegen einen linientreuen Geheimdienstler des Kreml aussprachen, legte sich der Schutzpatron quer. Moskau erzwang Neuwahlen und setzte den erneut unterlegenen Kandidaten als Vizepremier ein. Zuvor hatte es der Republik jedoch den "Mandarinenkrieg" erklärt und die Einfuhr von Zitrusfrüchten verboten. Da bleibt wenig Spielraum für Illusionen.

Die Abchasen beklagen sich über mangelndes Verständnis seitens der USA und EU. "Je stärker wir zum Verbleib bei Georgien genötigt werden, desto weiter treibt man uns in die Arme Russlands", sagt Liana Kwartschelija vom Zentrum für humanitäre Programme. Ihre Organisation steht mit NGOs in Georgien in ständigem Kontakt. Auch für sie ist die Souveränität nicht verhandelbar, die Wunden des Krieges verheilen nicht. Die Abchasen halten ihr Fleckchen Land für das Paradies. Vielleicht lässt sie dieses Gefühl die Einsamkeit ertragen.

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