Neues Berliner Surrealismus-Museum: Der alte Aberglaube

Gespenster zur rechten Zeit: Berlin hat ein neues Museum für den Surrealismus, dank der Stiftung der Sammlung Scharf-Gerstenberg.

Odilon Redon: Hommage à Goya (um 1895). Bild: Staatl. Museen zu Berlin, Sammlung Scharf-Gerstenberg

Wenn das nicht ein Gruß aus dem Reich der Toten ist: Ein Schädel, aus rötlichem Ton gebrannt, von dem spanischen Künstler Antoni Tàpies geformt, und eine gespenstische Puppe, die aus blutgetränktem Stoff gewickelt an einen mumifizierten Körper erinnert, von Michel Nedjar, bilden den Schlusspunkt des Rundgangs durch die Ausstellung "Surreale Welten - Sammlung Scharf-Gerstenberg". Seit dem 11. Juli hat diese Sammlung ein eigenes Haus unter den Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin: Sie ist in Charlottenburg in ebenjenes Gebäude eingezogen, das bis vor drei Jahren fast nur Grabbeigaben beherbergte, das Ägyptische Museum, das demnächst auf der Berliner Museumsinsel wieder einen prominenten Platz erhält. In Charlottenburg aber, wo die berühmte Nofretete im Nachkriegs-Westberlin residierte, treten nun die "Surrealen Welten" ihre Nachfolge als Mittler zwischen den Welten an.

Ja, man möchte schwärmen von diesen Schätzen, die Dieter Scharf, Chemiker von Beruf, auf der Basis einer von seinem Großvater, Otto Gerstenberg, aufgebauten Sammlung zusammentrug. Man möchte schwärmen von Räumen voller Bilder von Paul Klee und Max Ernst, den großen Spielern mit den Bildmitteln, ihrem Witz, ihrer Leichtigkeit, ihrer Transzendenz; aber auch von ihrer historischen Klugheit, ihren Gespenstern im rechten Augenblick, ihrem vorausschauenden Schwarzsehen. Man läuft durch intime Kabinette, in denen Goya die Moralapostel seiner Zeit als die größten Wahnsinnsmenschen erfasste und Piranesi in den "Kerkern" eine tief versunkene Welt voller mechanischer Ungetüme und Folterinstrumente ausmalte. Man verliebt sich in die Frau und den Hund, die, fast wie Spielzeuge gemalt, für die Darstellung von "La Belle et la Bête" ihre Bäuche aneinander drücken in einem Bild von Henri Rousseau. Man staunt über das Glimmen der Farben bei Odilon Redon und möchte Freundschaft schließen mit der "Roten Kuh", die Jean Dubuffet so prächtig ins Bild setzte, als wäre sie die Mutter alles Seienden.

Es ist nicht schwer, diesen Werken mit persönlichen Gefühlen zu begegnen: Privatsammlungen dürfen anders als museale Sammlungen leidenschaftlich und obsessiv sein. Schlüssig sind die motivischen Fäden, die sich von Künstler zu Künstler zu spinnen, von Wahn zu Rausch, vom Eros zum Abgrund, von der Schönheit zum Monströsen. Aber es gibt auch zu viel, was in dieser Erzählung des Surrealismus ungesagt bleibt: Das Verschwörertum und die Männerbündelei, die die Künstlerszene der Surrealisten in Paris prägte, dogmatische Haltungen und Ausschluss hervorbrachte. Wie sehr der Surrealismus viele der Künstler wie Max Ernst oder Hans Bellmer begleitet hat auf ihrem Weg ins Exil, weg von Deutschland, nach Frankreich und in die USA, erzählen ihre Biografien, ist aber kein Thema der allein nach Künstlern geordneten Ausstellung. So bleibt die historische Dimension ihrer düsteren Visionen unberührt.

Selbst die Wut und/oder Hoffnung vieler Surrealisten, über die Kunst mehr als nur deren Sprache aufzubrechen, einen Zugang zu sozialen Revolutionen zu öffnen, bildet keine Linie in der Präsentation. Und auch die Leidenschaft, mit der sich viele Philosophen auf die Surrealisten stürzten, man denke nur an Bellmer, Deleuze und die Junggesellenmaschinen, wird nicht genutzt.

2001 war die Sammlung schon einmal in der Neuen Nationalgalerie ausgestellt. Damals hatte Dieter Scharf zusammen mit seiner Familie beschlossen, den größten Teil der Zeichnungen, Grafiken, Skulpturen, Filme und Gemälde, die er über fünfzig Jahre lang erworben hatte, in eine Stiftung umzuwandeln und den Staatlichen Museen zur Verfügung zu stellen.

Mit dem klassizistischen Gebäude des Architekten Stüler und dem angrenzenden Marstall, die der Sammlung Berggruen gegenüberliegen, hat die Sammlung nun eine sehr repräsentative Hülle gefunden, die teils der Intimität der grafischen Zyklen gerecht wird, teils aber auch sehr statisch und museal geraten ist. Die Kunst der Surrealisten ist hier wieder Kunst, freigegeben für den öffentlichen Konsum, und sonst nichts.

Dass sie auch einmal anders sein wollte, vermittelt die Ausstellung kaum. Man kann es nachlesen, zum Beispiel in einem Zitat von Max Ernst im Katalog, der den Surrealismus auch als Angriff auf die Autorschaft des Künstlers und den Geniebegriffs des Publikum meinte. "Als letzter Aberglaube, als trauriges Reststück des Schöpfungsmythos blieb dem westlichen Kulturerbe das Märchen vom Schöpfertum des Künstlers. Es gehört zu den ersten revolutionären Akten des Surrealismus, diesen Mythos mit sachlichen Mitteln und in schärfster Form attackiert und wohl auf immer vernichtet zu haben", schrieb er 1934.

Von wegen für immer vernichtet. Hier ist der Mythos vom Schöpfertum wieder voll präsent.

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