die wahrheit: Zeit für eine geile Pestparty

Trendforschung: Tödliche Infektionen werden auch in Deutschland zum Freizeitspaß.

"Sickos" stecken sich auf dem Berliner Festival "Pest the Best" gegenseitig zum Spaß mit der Pest an. Bild: ap

Seit je kämpfen Halbgötter in Weiß gegen Seuchen und Epidemien, um das menschliche Leben zu verlängern und den Tod zu besiegen. Doch neuerdings ist eine Gegenbewegung herangewachsen, die auf den ersten Blick grausam und unvorstellbar wirkt: Immer mehr Menschen infizieren sich heute freiwillig mit gefährlichen und teilweise tödlichen Krankheiten. Nur so zum Spaß.

Wie erwartet kommt auch diese sogenannte "Infection Action" aus den USA. Eine Keimzelle der Bewegung ist die "Lepra Lounge" in Los Angeles, momentan eines der angesagtesten "Krankenhäuser" der Welt. Dutzende Menschen pilgern jeden Tag hierher, um sich "sicken" zu lassen, wie sie sagen. Das Spiel mit der Gefahr gibt ihnen den Kick, den sie im Alltag schon lange vermissen.

"Drei Monate Krankheit, und du bist ein anderer Mensch", versprechen die Betreiber. Die "Sickos", wie sie sich selbst nennen, sollen am Ende gestärkt aus der Ansteckung hervorgehen. Sie verlassen die Lounge mit der Gewissheit: Ich habe überlebt! Doch andere treiben es noch weiter - bis zur Ultima Ratio. Sie wünschen sich einen besonders originellen Abgang. Die Lounge bietet auch das an, inklusive Restkörperentsorgung.

Sind das nur eine Handvoll Spinner, denen man keine Beachtung schenken sollte? Trendforscher verzeichnen jedenfalls eine besorgniserregende Entwicklung. Jeff Goldberg von der Crap Research Company fasst es folgendermaßen zusammen: "Das ist keine Nischenerscheinung mehr, dieser Trend ist bereits in der Mitte der Bevölkerung angekommen." Und tatsächlich: Nachdem einige Promis öffentlich die auszehrende Wirkung von Cholera gelobt hatten, ist die Popularität dieser in den USA eigentlich längst ausgerotteten Krankheit schlagartig gestiegen. Und nicht nur dort. Geradezu epidemisch breitet sich das Phänomen seitdem über den gesamten Globus aus.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO zeigt sich besorgt und warnt vor "ungeahnten Folgen für Unbeteiligte". Den Sickos wirft sie verantwortungsloses Verhalten vor und appelliert an die Vernunft der Weltbevölkerung. Doch allen Warnungen und weisen Ratschlägen zum Trotz ist der "Freizeitspaß Infektion" auch in Europa angekommen. Selbst in Deutschland gibt es schon erste Anbieter von Infektionserlebnissen.

Holger M., der seinen richtigen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will, ist einer von ihnen. Er veranstaltet ansteckende Partys in heruntergekommenen Berliner Fabrikhallen. Gerade ging die Debütveranstaltung "Pest the Best" über die Bühne. Mit etwa 450 Neuinfektionen stellt sie das größte Beulen-Comeback seit dem Jahr 1854 dar. "Ging ab wie die Seuche", keucht ein begeisterter Fan in einem auf Internetplattformen kursierenden Videoclip.

Für Holger M. wurde seine persönliche Leidenschaft zum Beruf. "Angefangen hat das alles mit meinen Reisen nach Afrika und Südostasien. 1997 habe ich mir in Kenia die Ruhr eingefangen und lag drei Wochen im Krankenhaus von Mombasa. Die krasseste Zeit meines Lebens!" Heute hat er fast alle Klassiker im Programm: Pest, Cholera, Typhus, Dengue. "Manche Erreger sind heute ganz schön schwer aufzutreiben. Aber dank der Globalisierung und einiger instabiler Staaten in der Zweiten und Dritten Welt klappt es immer irgendwie", schmunzelt der Profi. Die ganz harten Sachen besorgt er sich in Asien. Genaueres will er dazu aber nicht verraten, ist doch sein Treiben nicht ganz legal.

Wer noch authentischer dahinsiechen will, geht oft direkt an die Quelle. Auch Touristikveranstalter bieten unter der Hand bereits Reisen in Hochrisikogebiete zu Sonderkonditionen an. Kombipakete seien besonders beliebt, weiß Reisekauffrau Ariane G.: "Die meisten buchen Flug, Krankheit und Krankenhausaufenthalt im Deluxe-Package. Es gibt aber auch welche, die wollen sich vor Ort überraschen lassen, was sie sich einfangen." Das sei aber nur etwas für erfahrene Sickos, schließlich geht man ein größeres Risiko ein, wenn man nicht weiß, auf welche Seuche man sich einlässt. Die rustikale Behandlung in den Kliniken der Dritten Welt gehört dabei genauso zum Programm wie die Spätfolgen, die einen das Durchlittene nie vergessen lassen.

Während sich Holger M. und Ariane G. am Leiden anderer bereichern, explodieren die Kosten im Gesundheitssystem. Denn die Therapie dieser ausgefallenen Krankheiten ist langwierig und teuer. Eine unbequeme Wahrheit. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt leugnet die Entwicklung deshalb vehement. Einen derartigen Trend gebe es weder in Deutschland noch anderswo, Einzelfälle tauchten immer wieder auf, aber es bestehe keinesfalls Grund zur Beunruhigung, so die Ministerin. Gern würde man ihr glauben, doch die Zeichen sind mehr als düster. Nicht nur die Old-School-Seuchen erfreuen sich eines Revivals, auch ständig neue Retroviren und multiresistente Aggro-Bakterien bestürmen die deutschen Immunsysteme. Goldene Zeiten brechen an für die heilbringende Pharmabranche. Vor Jahrzehnten eingemottete Massenimpfprogramme werden bereits schleichend wieder eingeführt. Und ein Ende ist nicht in Sicht, in den Vereinigten Staaten geht der Trend geht schon längst zur Zweitkrankheit. Na dann: Gute Besserung!

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