Interview China nach Olympia: "China nimmt seine Maske ab"

Zumindest hat die chinesische Führung erkannt, dass der offene Umgang mit Problemen nicht gleich zum Systemwechsel führt, sagt Thomas Awe, Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Schanghai.

Man sollte die perfekten Spiele der Chinesen nicht gleich abtun mit: "Es ist ja alles nur Show gewesen." Bild: dpa

taz: Herr Awe, haben die Spiele den Chinesen gutgetan?

Thomas Awe: Den Chinesen haben die Spiele auf jeden Fall gutgetan. Das Verhältnis Chinas zu sich selbst ist nun deutlich geordneter als zuvor. Zugleich haben die Chinesen sich selbst bewiesen, perfekte Spiele hinzubekommen. In Asien ist der Druck sehr groß, sich organisatorisch von der besten Seite zu zeigen. Deswegen sollten wir diese Leistung nicht gleich abtun und einfach sagen: "Es ist ja alles nur Show gewesen."

Und wie steht es mit der Demokratisierung?

Die chinesische Gesellschaft verändert sich momentan fundamental. Auch wenn der Staat nach unseren Maßstäben statisch erscheint - der innerchinesische Demokratieprozess ist mitten im Gange. Leider sehen wir diese Bewegung häufig nicht, weil wir hier im Westen den Fehler machen, Staat und Gesellschaft in China gleichzusetzen. Dabei fanden auch viele Chinesen, dass bei der auf Perfektion ausgerichteten Choreografie der menschliche Aspekt verblasste. Die Tragödie um das vorzeitige Ausscheiden von Chinas Hürdenläufer Liu Xiang hingegen hat die Herzen der Chinesen wirklich bewegt und China ja auch in den Augen der Welt ein menschliches Antlitz verliehen.

Und? Ist auch Chinas Führung menschlicher geworden?

Die chinesische Führung hat zumindest erkannt, dass der offene Umgang mit Problemen nicht gleich zum Systemwechsel führt. Außerdem wurde klar: Ein grimmiges Gesicht kommt sympathischer rüber als eine starr zur Schau getragene Gesichtsmaske.

Stichwort Pressefreiheit: Die Berichterstattung ist durch die Spiele nicht wie versprochen freier geworden.

Das stimmt. Zumindest im Vergleich zum großen Erdbeben im Mai ist sie schlechter geworden. Damals wurde plötzlich auffällig offen und vielseitig über die Katastrophe und die Rettungsaktionen berichtet. Ich fand es taktisch unklug von der Führung, an den ersten Tagen der Spiele im Internationalen Pressezentrum die Internetseiten von kritischen Initiativen zu sperren, um sie dann wegen des Protests wieder zu öffnen. Die Zensur hat nur dazu geführt, dass die ausländischen Medien erst recht darüber berichteten.

Zweites Stichwort: Menschenrechte. Auch hier gibt es kaum Fortschritte.

Auch da gebe ich Ihnen recht. Menschenrechte sind per Definition universal. Chinas Führung verweist hingegen stets auf die Entwicklungsstufen, die es Schritt für Schritt zu erreichen gilt. Nur: Wenn es danach ginge - und deswegen lehne ich diese Sichtweise ab -, würden wir die Einhaltung der Menschenrechte immer verschieben können.

War es dann nicht sinnvoll, die Spiele als Plattform zu nutzen, um Menschenrechte einzuklagen?

Nein, ganz und gar nicht. Der Grundgedanke der Olympiade ist, den Sport in den Vordergrund zu stellen und nicht die politischen Differenzen.

Erste zivilgesellschaftliche Ansätze hat es in den vergangenen Jahren durchaus gegeben. Ist diese Entwicklung nicht den Spielen zu verdanken?

Demokratie im Sinne von verstärktem Rechtsbewusstsein - da hat es in China in den vergangenen Jahren in der Tat enorme Fortschritte gegeben. Aber diese Entwicklung verlief und verläuft unabhängig von den Spielen. Das Problem der deutschen Perspektive liegt in der unterschiedlichen Bewertung: Jedes osteuropäische Land würde für das, was China in den vergangenen 20 Jahren umgesetzt hat, gelobt werden. Doch bei China sieht der Westen nur das Negative und bemängelt stets das, was noch nicht erreicht worden ist. Offenkundig ist es momentan einfach opportun, China zu kritisieren.

Wie sieht es bei der Tibetpolitik aus? Wird sich Peking nun moderater zeigen?

Ich habe bisher zumindest nirgends vernommen, dass Peking mit einer härteren Gangart das Tibetproblem angehen will. Was man sicherlich nicht tun wird, ist, die Gespräche mit den tibetischen Vertretern auf Augenhöhe zu führen. Die Dialoge einfrieren wird man aber auch nicht. Die große Frage lautet doch: Was passiert, wenn der Dalai Lama stirbt? Aufgrund seines esoterisch-spirituellen Images schätze ich ihn als sehr moderate Kraft ein. Er ist in der Lage, zu vermitteln. Nach ihm, fürchte ich, werden die Hardliner dominieren. Die glauben, dass sie nichts mehr zu verlieren zu haben, und werden mit dem Rücken zur Wand für "ihre" Unabhängigkeit zu kämpfen.

Sie sprechen von tibetischen Hardlinern. Aber wie sieht es mit Hardlinern in Peking aus?

Wenn sich die Tibeter radikalisieren, werden sich vermutlich auch Hardliner in Peking legitimiert fühlen. Diese Gefahr einer sich aufschaukelnden Eskalation sehe ich durchaus.

Außenpolitisch pflegt China weiterhin das Prinzip der Nichteinmischung. Wird sich das nun ändern?

Eins vorweg: Nichteinmischung ist eine hohe Form der Einmischung. China hat sich also schon immer eingemischt. Außenpolitisch kommt mir China manchmal wie ein Kind vor, das auf die Bühne in den Lichtkegel geschubst wird. Das Kind genießt die plötzliche Aufmerksamkeit. Doch schnell wird es ihm zu heiß und es möchte nicht mehr im Fokus stehen. Doch egal, wohin es läuft: der Lichtkegel folgt ihm. Aber Pflichten entkommt man nicht, wenn man den seinen Rechten hinterherjagt. Was sich außenpolitisch verändert hat: Ob es will oder nicht - China bleibt im Visier der Weltöffentlichkeit, und daran muss sich das Land erst noch gewöhnen. Zugleich hat die Führung erkannt, dass sich Außenpolitik nutzen lässt, um im Innern für Ruhe zu sorgen. Chinas Führung lernt also mit Verantwortung innerhalb einer Weltgemeinschaft umzugehen, nicht zuletzt um die eigenen Leute zu beruhigen und Anerkennung von ihnen bekommen.

Beim Kaukasuskonflikt hielt sich China bedeckt, obwohl es wohl zwischen dem Westen und Russland sehr gut vermitteln könnte.

Ganz so weit ist China dann doch noch nicht. Beim Kaukasuskonflikt kommt auch das Überraschungsmoment hinzu. Auch die Chinesen haben nicht damit gerechnet, dass mitten während ihrer Eröffnungsfeier ein Krieg beginnt.

Bundeskanzlerin Merkel ist als einer der wenigen Staatschefs aus führenden Industrieländern der Eröffnungsfeier ferngeblieben. Ein außenpolitischer Fehler?

Was mich vor allem irritiert hat: Man begründete ihre Abwesenheit damit, dass sie im Urlaub weile. Es wurde also ein Grund vorgeschoben, der für die Chinesen beleidigend war. Denn Ferien sind bei einem solchen Anlass keine hinreichende Entschuldigung. Wir haben es im Fernsehen ja selbst erlebt: Wohin blickten denn die Fahnen schwenkenden Sportler? Sie blickten auf ihre Staatschefs. Nur die Deutschen wussten nicht, wohin sie schauen sollen.

Für die Chinesen war diese Enthaltsamkeit deutscher Politiker eine Geste, die zum Gesichtsverlust führt. Das Verhältnis zwischen Merkel und der chinesischen Führung ist sicherlich nicht von überwältigendem Vertrauen gekennzeichnet. Die Einladung des Dalai Lama in das Bundeskanzleramt vor einem Jahr will ich nicht kritisieren. Auch die chinesische Führung empfängt, wen und wo sie will. Trotz unterschiedlicher Ansichten darf der gegenseitige Respekt aber nicht verlorengehen. Interview: Felix Lee

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