Kommentar Der falsche Chef-Berater: Angela Merkel entzaubert

Ausgerechnet ein Aufsichtsratmitglied bei der irischen Depfa wollte die Bundeskanzlerin Angela Merkel zum obersten Berater für neue Finanzmarktregeln ernennen.

Kanzlerin Angela Merkel hat ihr Renommee als Krisenmanagerin verspielt - für diesen Totalschaden benötigte sie nur wenige Minuten. Am Mittwoch schlug sie vor, ausgerechnet den ehemaligen Bundesbankchef Hans Tietmeyer als obersten Berater für neue Finanzmarktregeln zu berufen.

Mit dieser Idee hat sie sich nicht durchsetzen können. Zu Recht. Denn es gibt wohl keinen ungeeigneteren Kandidaten als Tietmeyer, um sich der Schadensbegrenzung auf den Finanzmärkten zu widmen. Erstens ist Tietmeyer befangen. Seit 2002 gehört er dem Aufsichtsrat der Depfa an - das ist jene irische Tochter, die bei der Hypo Real Estate eine Finanzierungslücke von mindestens 50 Milliarden Euro gerissen hat. Zweitens ist Tietmeyer ein gläubiger Marktradikaler. Das zeigte sich schon 1982, als er das "Lambsdorff-Papier" mitverfasste, das zum Bruch der SPD-FDP-Koalition führte und eine Schrumpfkur für den Sozialstaat forderte.

Inzwischen posiert Tietmeyer als Kuratoriumsvorsitzender der arbeitgebernahen "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft". In der jetzigen Krise ist der Markt aber nicht die Lösung - sondern das Problem. Marktfetischisten wie Tietmeyer sind da wenig hilfreich. Drittens ist Tietmeyers Sachverstand sowieso äußerst umstritten: Legendär ist seine Fehlentscheidung, kurz nach der Wiedervereinigung die Leitzinsen nach oben zu treiben und damit den Einheitsboom abzuwürgen.

Die Personalie Tietmeyer macht nun auch innenpolitisch deutlich, was jenseits der Landesgrenzen schon länger aufgefallen ist: Angela Merkel agiert unglücklich in der Finanzkrise. Erst war sie gegen ein europäisches Rettungspaket, dann doch dafür; erst kritisierte sie die Alleingänge der Iren, um dann genau den gleichen Fehler zu machen und ebenfalls Staatsgarantien auszusprechen, die nicht mit den Nachbarländern abgestimmt waren.

Insofern weist der Fall Tietmeyer weit über den Tag hinaus; er könnte zum Symbol werden für den Beginn der Entzauberung Angela Merkels. Bisher war das Regieren für die Kanzlerin einfach: Die große Koalition erdrückte jede Opposition, und gleichzeitig boomte die Wirtschaft. Jetzt ist Merkel erstmals gefordert - und offenbar schon überfordert.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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