Studie zu Künstlereinkommen: "Spitzenverdiener sind nur wenige dabei"

Die Lebensverhältnisse von Künstlern sind meist sehr bescheiden, hat die Politikwissenschaftlerin Carroll Haak in einer Studie festgestellt. Das liege auch daran, dass sie zu heterogen sind, um sich richtig zu organisieren

Caroll Haack Bild: WZB

Carroll Haak: "Wirtschaftliche und soziale Risiken auf den Arbeitsmärkten von Künstlern", VS Verlag für Sozialwissenschaften, 259 Seiten, 34,90 Euro. Heute abend Buchpräsentation und Diskussionsrunde, u.a. mit der Kuratorin Adrienne Goehler. 18.30 Uhr, Dock 11, Kastanienallee 79.

taz: Frau Haak, Sie haben die soziale und wirtschaftliche Lage von Künstlern unter die Lupe genommen. Wie siehts aus?

Carroll Haak: Insgesamt 300.000 Menschen arbeiten als Musiker, bildende oder darstellende Künstler. Doch Spitzenverdiener sind nur sehr wenige dabei. Nettostundenlöhne von 5 Euro sind dagegen keine Seltenheit. Viele können von der künstlerischen Tätigkeit nicht leben, sie finanzieren sich über Zweitjobs. Seit Jahren steigt dazu der Anteil an Selbständigen. Bei bildenden Künstlern sind Angestelltenverhältnisse ohnehin die Ausnahme. Aber auch die Hälfte aller Theaterschauspieler und Musiker arbeitet mittlerweile auf eigene Rechnung. Das war zur Zeit des Künstlerreports von 1975 noch anders.

Diese letzte große Erhebung ist schon sehr lang her. Welche Zahlen haben Sie gehabt?

Meine Recherchen basieren auf dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamts, Stichproben der Bundesanstalt für Arbeit und der Rentenzugangsstatistik der Deutschen Rentenversicherung. Mehr gesicherte Daten gibt es nicht. Dazu führte ich Interviews mit Gewerkschafts-und Verbandsfunktionären. Für eine repräsentative Befragung von Künstlern waren leider die Mittel zu knapp.

Selbständigkeit, häufig wechselnde Jobs und Prekariat: Das gibts längst auch anderswo auf dem Arbeitsmarkt. Ist das, was Künstler erleben, bald gesamtgesellschaftliche Realität?

Der Trend zu mehr Selbständigkeit und kurzfristigen Beschäftigungsformen wie Leiharbeit nimmt zwar zu. Trotzdem halte ich die Situation von Künstlern nur für bedingt übertragbar. Dafür sind die Mechanismen des Kulturbetriebs zu speziell: Nirgendwo liegen Erfolg und Misserfolg so nah beieinander, ist Leistung so schwer messbar. Und nirgends mündet ein durchgängig sehr hohes Bildungsniveau in so niedriges Einkommen. Interessant ist, dass sich bei Künstlern die hohe Bildung eher für den Zweitjob auszahlt: Ein Musiker mit Hochschulabschluss kann sein Zubrot als Musiklehrer verdienen und muss nicht kellnern. Aber Jürgen Vogel etwa gehört in seinem Beruf zur Topliga - obwohl er nie eine Schauspielschule besucht hat. In anderen Sektoren gilt dagegen immer noch die Faustformel: Je höher der Bildungsgrad, desto höher das zu erwartende Einkommen.

Was aber ist mit der sogenannten digitalen Boheme, den vielen gut ausgebildeten Architekten, Journalisten oder Designern? Für die gilt diese Formel doch auch längst nicht mehr.

Auf Medien- und andere Kreativarbeiter ist die Situation tatsächlich am ehesten übertragbar. Kennzeichnend für diese Berufe ist auch ihre Ferne zu Gewerkschaften und Verbänden. Das ist bei Künstlern ähnlich. Sie sind viel zu heterogen, um sich zu organisieren. Und es gibt auch keinen Arbeitgeber. Die traditionellen gewerkschaftlichen Arbeitskampfmethoden greifen hier nicht: Wen würde es schon interessieren, wenn Maler streiken? Ein Arbeitskampf ist nur bei Konflikten mit einem Arbeitgeber sinnvoll. Darum sind übrigens Orchestermusiker die große Ausnahme: Sie funktionieren als Einheit. Und sind stark organisiert. Die meisten Freischaffenden aber sind Einzelgänger.

Brauchen Einzelgänger überhaupt Organisation?

Service wie Rechtsberatung, Seminare zur Selbstvermarktung und Hilfe bei der Netzwerkbildung sind sehr gefragt - sofern sie angeboten werden. Es wäre dringend noch mehr Beratung nötig, vor allem bei der Altersvorsorge. Denn die ist das größte Problem der von mir untersuchten Berufsgruppen. Rund 160.000 Künstler, Musiker und Schauspieler sind in der Künstlersozialkasse. Deren geringe Beiträge sichern Geringverdienern zwar die Mitgliedschaft in der Krankenkasse. Aber dafür droht ihnen als Rentnern die Altersarmut. Ein Dilemma.

Was schlagen Sie vor?

Wenn man einmal vom Sonderfall der Künstlersozialkasse absieht: Das Problem sind die Selbständigen, die nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sind. Und deren Zahl wächst im gesamten Arbeitsmarkt. Langfristig hilft wohl nur ein Umbau des Sozialversicherungssystems. Etwa die Integration aller Erwerbstätiger in die Sozialversicherungssysteme oder eine steuerfinanzierte Grundsicherung für alle.

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