Peter Handke gibt serbische Texte heraus: Gefangen im eigenen Land

Die neue Ausgabe des "Schreibhefts" und die kroatisch Zeitschrift "Fantom Slobode" sind auf der Suche nach dem jeweils Spezifischen in der Literatur der beiden Länder.

In Sachen Serbien immer wieder Verursacher von Kontroversen: Peter Handke. Bild: dpa

Die aktuelle Ausgabe des Schreibhefts widmet sich serbischer Literatur. Doch schon im einleitenden Gespräch räumen die Herausgeber Zarko Radakovic und Peter Handke ein, es handle sich vielmehr um Texte von Autoren, die in Serbien leben. Oder gelebt haben.

Aleksandar Tisma und Danilo Kis wären sicher nicht einverstanden gewesen, posthum zu serbischen Schriftstellern ernannt zu werden. Beide sahen sich als Jugoslawen. Neben diesen weltbekannten Schriftstellern stellt die Sammlung hierzulande unbekannte Autoren vor, deren Bücher im vormals serbokroatischen Sprachraum viel gelesen wurden. Dass eine Auswahl der Texte nun auf Deutsch erscheint, ist ungewöhnlich. Neuere Texte, die nicht in Slowenien oder Kroatien entstanden, werden selten übersetzt.

Dragan Aleksic beispielsweise ist für deutschsprachige Leser eine Neuentdeckung. 1992 erschien sein Debütroman Kjaroskuro (Helldunkel), der in einem Mosaik aus Fiktion und Dokumenten das sinnlose Leben Emil Farniks erzählt. Im Heft beschreibt er anrührend eine Kindheit im Armenviertel eines Grenzkaffs, "Zigeuner-"/Ecke "Serbenstraße". Der alte Aleksandar Tisma dagegen veröffentlicht erstmals Tagebucheinträge von 1994 bis 1996, die von seiner letzten Odyssee durch Westeuropa erzählen. Er hat Angst vor der Rückkehr, gibt aber schließlich sein "freiwilliges Flüchtlingsdasein" auf. Er will seinen Gastgebern nicht mehr das Gewissen reinigen. "Die Deutschen haben zweimal mein Leben zerstört", notiert er, "1941 und 1991, indem sie das Land zerschlugen, in dem ich lebte und mich zum Flüchtling machten. Morgen werden sie mir einen Preis verleihen. Und warum?"

Besonders schwierig verhält es sich mit den Texten von Brankica Becejac. Die Autorin, 1970 in Novi Sad geboren, lebte ab 1977 in Deutschland, schrieb auf Deutsch und verstand sich als Deutsche; 2001 wurde sie von ihrem Liebhaber erstochen. Aus ihrem Nachlass bietet das Schreibheft die Geschichte einer Ehefrau. Vor dem Hintergrund von Becejac Tod lässt einen die Gewalttätigkeit der Worte ihrer Figuren erschaudern: "Ja man kennt das ja, manchmal fallen die Frauen wie Vögel von der Stange."

Ihr Text über Sprache und Identität beschreibt die Tyrannei der Frage der Zugehörigkeit, "denn ich bin so wenig (oder so viel) von hier wie von dort." Dieser Zwiespalt trifft auf alle ausgewählten Autoren zu. Die Alten, geprägt von Holocaust und Exil, treffen die Bürgerkriege hart. Den Jüngeren bleibt kaum mehr eine Wahl; die Gefangenschaft in einem Land, gegen das sie sich sträuben, zieht sich als roter Faden durch ihre Beiträge.

Die Texte in der kroatischen Literaturzeitschrift Fantom Slobode/Phantom der Freiheit sind von einer anderen Erfahrungswelt geprägt. Wegen des Schwerpunkts Kroatien auf der Leipziger Buchmesse 2008 ist die Ausgabe auf Deutsch erschienen. Auf fast 1.000 Seiten finden sich Essays kroatischer Autoren, die sich "dem Zustand einer Nation in der Krise" widmen. Es sind literaturwissenschaftliche Abhandlungen und politische Texte etwa zu nationalen Konflikten in Jugoslawien, die Einblicke in eine sehr lebendige und genreunabhängige Autorenszene geben. Die nach dem Krieg als Befreiung empfundene Eigenstaatlichkeit Kroatiens hat einen offensiven Umgang mit der nationalen Erzählung bewirkt. Als Referenzpunkt dient zumeist eine kroatische als originär europäische Geschichte. "Sich seines europäischen Schicksals bewusst sein" lautet der Untertitel des Heftes. Dem Pathos des Schreibheft-Titels, "Die tragische Intensität Europas", steht er indes um nichts nach.

Nachdem die kroatische Literatur durch viele Übersetzungen Thema ist, ist zu hoffen, dass auch für Bücher aus Serbien oder Bosnien etwas Aufmerksamkeit abfällt. Obwohl sich die ehemaligen jugoslawischen Republiken einen je eigenen Sprach- und Literaturkanon erarbeitet haben, übertragen doch dieselben Übersetzer die Texte. Auch die Themen gleichen sich. Die Folgerungen freilich sind - je nach Erfahrung - verschieden. Abhängig von Staatsgrenzen sind sie sicher nicht in dem Maße, wie die Übersetzungspolitik das suggeriert. Handke und Radakovic kann man darum nur dankbar dafür sein, im Jahr 2008 einen ersten Einblick in die Blackbox "Literatur aus Serbien" ermöglicht zu haben.

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