Böser, böser Hiphop: Rapsongs und Realpolitik

Wie denkt die afroamerikanische Mittelklasse über Hiphop? John McWhorter scheitert in seinem Buch "Why Hiphop cant save Black America" am mangelnden Pop-Verständnis.

Tupac hat in den Menschen "elterliche Beschützerinstinkte" hervorgerufen. Genau wie Obama. Bild: reuters

"Music is supposed to inspire / How come we aint gettin no higher?", singt das Mitglied der Fugees, Lauryn Hill, auf ihrem Soloalbum "The Miseducation of Lauryn Hill". Als Künstlerin ist sie eine der prägenden Figuren der Popmusik der Neunzigerjahre. Das schwarze Amerika hat sie eher nebenbei repräsentiert: Lauryn Hill gilt als Vorbild der selbstbestimmenden Frau, die ihr Image auch gegen große Widerstände ihrer Plattenfirma durchgesetzt hat. Der Name ihrer Band, Fugees, leitet sich ab von Refugees (dt.: Flüchtlinge). Ein Teil der Band stammt aus Haiti. Den 43-jährigen afroamerikanischen Autor John McWhorter interessiert das allerdings nicht. Der Linguist sieht Hills Songzitat lediglich als Beispiel verfehlten schwarzen Selbstmitleids. In den Sechzigern, der Ära der Civil-Rights-Bewegung, so McWhorter, wäre die Wut, die in dem Song zum Ausdruck kommt, besser aufgehoben gewesen. Inzwischen seien die Probleme der Schwarzen in den USA jedoch komplexerer Art. Die afroamerikanischen Lebenswelten hätten sich seit den Sechzigern so stark ausdifferenziert, dass das eigentliche Problem der Schwarzen in den USA sei, immer noch auf Unterschichtstereotypen reduziert zu werden.

Diese und andere Ansichten über Hiphop vertritt McWhorter in einem Buch, das im Vorfeld der US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen mit dem Ziel veröffentlicht wurde, die Wohlanständigkeit der afroamerikanischen Mittelklasse aus dem Schussfeld von Rap zu nehmen. "All about the Beat. Why Hip-Hop cant save Black America" will mit falschen Vorstellungen und überkommenen Erwartungshaltungen aufräumen, schreibt der Leiter des konservativen Think-Tanks The Manhattan Institute gleich im Vorwort. Die Bezeichnung "Hiphop Generation" sei ungefähr so bedeutsam wie "Pepsi Generation". Das mag ja sein, wenn man das Genre auf seine kommerziellen Aspekte reduziert, schießt jedoch am Ziel vorbei. Es ist sicherlich so, dass der Hiphop der Minderheiten zum Wahlsieg Barack Obamas beigetragen hat.

McWhorter stört die Ansicht, Hiphop sei ein Forum für Sozialpolitik oder "der CNN der Schwarzen". Bei Rap handle es sich bloß um eilig ausgetragene Wortgefechte im Dienste der Unterhaltung, nicht aber um ausgewogene politische Argumente, schreibt er. Der radikale Anstrich von Hiphop, abgeleitet von der unvollendeten Black-Power-Rebellion der Sechziger, stünde der Besserstellung der schwarzen US-Amerikaner in Wahrheit sogar im Wege.

Dabei lässt McWhorter manche geschichtliche Tatsache unberührt. Seit der Ermordung der afroamerikanischen Führungspersönlichkeiten in den Sechzigern hat es immerhin bis zu Barack Obama gedauert, dass ein afroamerikanischer Leader die Grenzen der Community überschreitet und nationale Größe erreicht. Sport, Film und Musik waren lange Zeit die einzigen gesellschaftlichen Felder, in denen Schwarze sichtbar waren. Es war Hiphop, der in den Neunzigern via MTV afroamerikanische Images massenhaft in die ganze Welt kommunizierte. Genauso ist das Genre durch seine globalen Erfolge zu einem Vehikel geworden, in dessen Vorstellungswelten Missstände in den USA angeprangert werden.

McWhorter konfrontiert Zitate aus Rapsongs mit Realpolitik. Jedem dort geäußerten Verdacht einer rassistisch begründeten Benachteiligung hält er Jobinitiativen und Bildungsoffensiven in Problembezirken entgegen. Jeder Doppeldeutigkeit im Sprachwitz von afroamerikanischem Slang begegnet er mit dem Argument, dass Melodie und Rhythmus die wahre Bedeutung von Texten verschleiern. Das irrationale Moment von Musik lässt er ausgeklammert.

Völlig zu Recht prangert McWhorter jedoch frauenfeindliche Raptexte an. Andererseits ist ihm kritisches Bewusstsein aus Conscious-Rap-Texten grundsätzlich verdächtig, da dessen Reime nicht reflektiert genug geäußert würden. Ist Popmusik dazu da, wasserdichte Argumente aufzufahren, oder kann man damit die Lügen der Wirklichkeit entlarven? McWhorter entscheidet sich für erstere Position.

Ignoriert wird dagegen die Einflussnahme der Plattenfirmen, die mit platten Gangsta-Images Kasse machen. Ginge es nach McWorther, dann beruhen aber gerade Conscious-Rap-Klassiker wie "Manifest" von Gang Starr auf Blenderei. "Countin all the tough luck ducks while I narrate / Relate and equate, dictate and debate" ("Während alle anderen auf dicke Hose machen / Verbinde und vergleich ich, diktiere und debattiere") heißt es in dem Text. "Die Frage ist doch, was der Vortragende erzählen, in Zusammenhang bringen, gleichsetzen, diktieren und debattieren wird", beckmessert McWorther. Dass Keith Elam alias Guru, der Textdichter von Gang Starr, ein College absolviert hat und vor seiner Rapper-Karriere als Sozialarbeiter in Boston tätig war, verschweigt der Autor jedoch.

John McWhorter kommt aus der schwarzen Mittelklasse. Er hat sein Studium an der Universität Stanford absolviert. In seinen Artikeln kommen stets Optimismus und stolzes Selbstbewusstsein über das bereits Erreichte zum Ausdruck. Im New York Magazine schrieb er kurz vor dem Wahlsieg von Barack Obama, sein Großvater hätte ihm 1968 einen Kalender geschenkt, darin ein Foto des kleinen John McWhorter mit der Prophezeiung "US-Präsident 2010". 1968 mag die Vorstellung von einem schwarzen Jungen als zukünftigem Präsident recht kühn gewesen sein, dabei ist 2008 ein Angehöriger dieser Altersgruppe auf dem Weg ins Weiße Haus, so die Meinung von McWhorter.

Die Wirkung von Barack Obama auf die Öffentlichkeit hat er auch einmal mit dem Image des Gangstarappers und Sohn einer Angehörigen der Black Panther, Tupac, verglichen. Als Popstar habe Tupac, genau wie jetzt Obama, in den Menschen "elterliche Beschützerinstinkte" hervorgerufen. Für menschelnde Momente darf Hiphop also weiter zuständig sein. Wenn es um die Darstellung von sozialer Ungleichheit geht, lässt McWhorter an Hiphop dagegen kein gutes Haar. Dabei wäre eine afroamerikanische Fundamentalkritik an den musikalischen, sozialpolitischen und kommerziellen Ermüdungserscheinungen der Kunstform überfällig. Wahrscheinlich findet sie auch längst statt, nur nicht bei John McWhorter.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.