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Eine Mutter erzähltKein Recht auf Alltag für Behinderte

Die UN-Konvention für Behinderte wird ratifiziert. Eine Mutter erzählt, was Schule mit ihrem behinderten Sohn macht.

Beim Sportverein durfte Magdalena Federlins Sohn nicht mitmachen. Nur im Skiverein hatte er Glück und fuhr sogar Rennen. Bild: dpa

Mein Sohn wurde per Beschluss des Verwaltungsgerichts vom Unterricht einer normalen Schule ausgeschlossen. Als Mutter eines mit staatlichem Zwang ausgesonderten Kindes erlaube ich mir, zu beschreiben, wie sich so etwas anfühlt: Mit knapp zwei Jahren wird durch Untersuchungen festgestellt: dein drittes Kind hat ein schwach ausgeprägtes Down-Syndrom. Von diesem Moment an musst du erleben, wie dieses Kind benachteiligt und ausgegrenzt wird.

Es darf nicht wie seine Brüder in den wohnortnahen Kindergarten, nicht auf die Sprengelschule, nicht beim Sportverein mitturnen. Nur beim Skiverein hatte er das große Glück, auf "normale" Menschen zu treffen - er fuhr sogar Skirennen. Unser Schulsystem sieht für so ein Kind die "besondere Förderung" vor: Ein Leben nur unter Kindern mit Behinderungen, weg vom sozialen Bezug des Wohnortes. Sehr "förderlich"! Ausgesondert.

In der allgemeinen Schule wird seine Ausgrenzung damit begründet, die "normalen" Lehrer hätten nicht die richtige, "förderliche" Ausbildung. (Ich frage mich: Wie machen das bloß die Familien ohne besondere Ausbildung?) Es wird behauptet, seine "Integration" sei nicht möglich. Bei seinen Brüdern wurde dieser Terminus nie verwendet. Die gehören einfach überall dazu. Ich meine: Er auch! Er hat dieselben Rechte wie seine Brüder, auch wenn er in seinem Leben viele Entscheidungen nie selber wird treffen können.

Dass die Zugehörigkeit meines dritten Kindes in Frage gestellt wird, mag daran liegen, dass uns allen im Lande eine "Normalität" suggeriert wird, die ohne solche Kinder/Menschen "normal" scheint. So lange, bis einem das (zufällige) Leben ein anderes lehrt. Menschliche Gesellschaften sind aber nur mit diesen Kindern "normal". Ohne sie sind sie selektiv. Ich habe ihn ja nicht von einem anderen Stern eingeschleust. Er gehört zu den Kindern, die eher selten sind, aber er ist, so wie er ist, so "normal" wie seine Brüder.

Für mich als Mutter handelt es sich darum nicht um "nicht mögliche bzw. nicht erfolgte Integration", sondern um aktive soziale Ausgrenzung. Wie sehr abhängig die Entwicklung eines Kindes mit zunehmendem Alter von der sozialen Einbindung ist, wird mir erst jetzt deutlich. Allzu selbstverständlich ist es für die "normalen" Kinder.

Das Kind wird unter all den Kindern im Wohnort rausgepickt und weggeschickt. Es darf nicht mit seinen Nachbarskindern den Schulweg teilen, nicht an den gemeinsamen Schulfesten teilnehmen, nicht in der Pause Freunde und Nachbarskinder treffen. Es darf nicht das hören, was diesen Kindern gesagt wird, es darf daran nicht teilhaben. Und sehenden Auges sollst du deinem Kind eine positive Einstellung zu dieser Schule vermitteln, zu der es leider schon lange selber nicht mehr gehen möchte.

So etwas nenne ich eine verwaltungsrechtlich legitimierte Menschenrechtsverletzung: Mein drittes Kind besucht nun schon das sechste Jahr unter staatlichem Zwang (Schulpflicht) die Sonderschule. Es fühlt sich an wie eine Zwangsehe. Vielleicht noch schlimmer. Denn seit sechs Jahren muss ich mein Kind in eine Schule schicken, von der ich überzeugt bin, dass sie meinem Kind nicht gut tut. Es gibt eine Schulpflicht, aber bei einem sogenannten "Sonderschulkind" für die Eltern keine Wahl! (Private Schulen selektieren auch.)

Ich bin entsetzt darüber, wie selbstverständlich den Kindern mit besonderem Unterstützungsbedarf die Teilhaberechte in Kindergarten, Schule oder Sportvereinen genommen werden: Sie brauchen mehr wohnortnahe soziale Einbindung, nicht weniger. Messen kann man die soziale Einbindung (Inklusion) an den Kontakten (Dauer und Frequenz), die außerhalb der Familie ohne Bezahlung zu nicht behinderten Kindern/Menschen stattfinden.

Nun muss also die UN fordern, dass Kinder mit Behinderungen "nicht vom Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden" dürfen. Dass wir das nicht selbst hinbekommen haben, beschämt mich als Mitglied dieser Gesellschaft zutiefst.

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11 Kommentare

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  • Guten Tag Frau Federlin,

    habe als "behindertes" Kind, geboren 1964, ab 1971 eine Grundschule besucht und auf Anraten einer Lehrerin anschließend das Gymnasium durchlaufen. Mit einem angeborenen Herzfehler, der mit 15 operiert werden mußte, war das schon eine Leistung. Bei einer großen Firma in meiner Stadt habe ich eine Lehre als Industriekauffrau absolviert. Gerne möchte ich mit Ihnen über meine Erfahrungen sprechen und wie es mir heute ergeht. Da stimme ich Ihnen in manchen Punkten zu.

     

    Haben Sie Lust, mit mir Kontakt aufzunehmen ? Bin weiblich, blond und doch ziemlich intelligent.

    Viele liebe Grüße sendet Ihnen A. P.

  • S
    Schülerin

    der text hat mir gut gefallen. ich behandle das thema behinderte menschen grade im unterricht und bin dadurch auf diesen text gestoßen. ich habe viele informationen bekommen, über das leben, eines kindes, welches behindert ist und bin überzeugt, dass es bestimmt auch viele andere interessiert...

  • K
    Kristine91

    das war ein sehr interissanter bericht von ihnen! ich selbst habe erst vor kurzem ein praktikum gemacht in einem kindergarten für kinder mit behinderungen.es hat mir ziemlich großen spaß gemacht,ich finde diese kinder sind was sehr besonderes un finde,das auch sie eine chance verdient haben und auch das recht dazu haben mit in die Gesellschaft aufgenommen zu werden! den nur wegen ihrer krankheit sind sie nicht gleich schlechtere menschen als wir "normalen" bürger.

    ic finde es sehr traurig das manche menschen aber so denken!

     

    Kristine.L ,Rastatt

  • C
    Claudia

    hallo zusammen,

    bin selber eine mutter eines behinderten kindes mein sohn geht auch auf so eine sogenannte förderschule tja nur leider gibt es da ja nur sonderschulpädagogen die keine zusätzlichen ausbildungen haben. mein sohn geht seit 4 jahren auf diese schule, seit dieser zeit bekommt er nur schulstundenverkürzungen sage ich was droht man mir den nichtbeschulbarstempel an. ich könnte ein buch nur über meinen sohn schreiben in bezug auf die schule, und das schlimme ist ja du kannst hingehen wo du willst die liebe schule hat die macht. ich versuche mein sohn von dieser schule zu bekommen keine chance geht es hier eigentlich um das wohl des kindes oder nur um die fördermittel?????????? Heute wurde mir dann wieder schulstundenkürzungen angekündigt die ich nicht akzeptiere da sinn und nutzen sich nicht in der waage halten dann brauch er ja gar nicht mehr zur schule. jetzt sitze ich hier bin wütend über dieses systhem ohne ende weil von schulseite immer nur kommt geben sie ihn ab ist das ein möbelstück worüber wir hier reden oder ein kind mein kind was ich liebe wie es ist???????? bin am überlegen ob ich mich nicht doch mal an die öffentlichkeit wende damit das mal poplick wird ansonsten heisst es ja immer nur für diese kinder wird alles getan *lachhaft*

     

    lg claudia, Essen

  • S
    stelo

    frau federlin, danke f. diese wunderbaren zeilen & ich schliesse mich ebenso den worten an: Auch mich, als Mitglied dieser Gesellschaft, beschämt es mich zutiefst, dass wir das nicht hinbekommen!

     

    http://www.elternzentrum-berlin.de

  • P
    p_k

    @der realist.

     

    der sinn von integration ist doch, dass gerade das nicht passiert.

  • HT
    Heiko Tollkien

    @ M. Läpple

     

    Danke für ihre Formulierungen!

  • HT
    Heiko Tollkien

    Am Montag hörte der Bundestag Experten zur UN-Konvention für die Rechte behinderter Menschen. (So der Hinweis unter dem Artikel)

    Es wäre moralisch einwandfrei gewesen, Frau Magdalena Federlin in diese Runde mit einzubeziehen. Ich kann nur hoffen, dass Frau Federlins Aufsatz bis zu den in der kommenden Woche entscheidenden Abgeordenten durchdringt. Zu Frau Federlin sage ich direkt: Auch mich, als Mitglied dieser Gesellschaft, beschämt es mich zutiefst, dass wir das nicht hinbekommen!

  • M
    M.Läpple

    @der realist.

     

    vielleicht haben sie selber kinder, dann können sie ihnen beibringen, daß man sich nicht über anderer leute zustände lustig macht.

    das ist das gleiche wie mit (kampf)hunden, stets hat der depp die leine in der hand.

    und wenn sich bescheuerte eltern nicht über behinderte lustig machen, kommen die kinder auch nicht auf solche ideen.

     

    matthias läpple, stuttgart

  • DR
    Der Realist

    Ich würde die selbe Frau gerne nochmal hören, wenn ihr Kind Tag für Tag von der Schule heimkommt und sich ausheult, weil die anderen Kinder sich über seine Behinderung lustig gemacht haben.

    • A
      Aspie
      @Der Realist:

      Ich selbst bin ein mittlerweile weitestgehend erwachsenes behindertes Kind.

      Ich habe das Asperger Syndrom sowie eine Spastik, so dass ich auf einen e-Rolli angewiesen bin. ich habe 5 Jahre das Regelelschulsystem ertragen müssen. zwischenzeitlich in der Grundschule mit Einzelfall-Helfer. Ich habe es nicht einfach nur gehasst. Denn hass ist ein zu kleines Wort dazu. Es hat mir darüber hinaus auch die Empfehlung für die Lernbehinderten Schule eingebracht. Nach einem weiteren Jahr auf einer Regel Hauptschule bin ich auf eine Sonderschule gekommen. Von da an ging es bergauf, sowohl in meiner Seele als auch auf dem Zeugniks nie wieder ist mein Schnitt unter 1, ..... gerutscht nie wieder war ich so unglücklich.

      Dennoch bin ich der Meinung, dass eine Wahlfreiheit für behinderte Kinder (oder PK: Kinder mit Behinderung)bestehen muss. ABER eine Förderschule ist nicht passe schlecht oder als Ausgrenzung zu betrachten (auch wenn es im Einzelfall so sein kann). für mich war die "Abschottung" ein Schutzwall, der es mir ermöglich zu wachsen ohne zu leiden, stark und selbstbewusst kann ich heute in der Welt der nichtbehinderten Studieren ohne leiden zu müssen