Kommentar EU-Beschluss zur Leugnung von Völkermord: Strafe ersetzt keine Debatte

Der EU-Rahmenbeschluss nährt die populistische Vorstellung, der Staat solle einfach alles verbieten, was für öffentliche Missbilligung sorgt.

Bald müssen Hetzer, die den Holocaust und andere Völkermorde leugnen oder verharmlosen, europaweit bestraft werden. Dies hat jetzt die EU beschlossen. Ist das eine gute Nachricht? Wohl nur für diejenigen, die das Strafrecht für ein probates Mittel halten, unerfreuliche Debatten zu beenden.

In Deutschland ist die Leugnung des Holocaust schon lange strafbar. Dies soll die Würde der Opfer schützen, aber auch den öffentlichen Frieden. Aufgrund der besonderen historischen Schuld Deutschlands ist dies verständlich.

Aber wird unsere Verantwortung gegenüber den Nachfahren der Holocaust-Opfer nicht relativiert, wenn nun auch andere Staatsverbrechen, wie etwa das serbische Massaker von Srebrenica, dem Holocaust strafrechtlich gleichgestellt werden? Was früher wohl noch als Verharmlosung des Holocaust gegolten hätte, soll nun Gesetz werden.

Man könnte meinen, die EU habe deutsche Besonderheiten übersehen. Aber nicht zuletzt die deutsche Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) hat den Beschluss in Brüssel vorangetrieben.

Doch der EU-Rahmenbeschluss ist auch grundsätzlich zu kritisieren. Denn er nährt die populistische Vorstellung, der Staat solle einfach alles verbieten, was für öffentliche Missbilligung sorgt. Das aber ist nicht die Konzeption des Grundgesetzes und der europäischen Grundrechte-Charta, die eine möglichst freie Kommunikation garantieren.

Wenn die repressive Entwicklung weitergeht, könnte eines Tages auch eine offene Diskussion über die RAF-Selbstmorde von Stammheim verboten werden oder über die Urheberschaft der Terroranschläge vom 11. 9. 2001.

Die Aufarbeitung der Geschichte lebt von Diskussionen. Auch von den missliebigen. Es werden so lange Argumente und Belege ausgetauscht, bis sich eine herrschende Meinung herausgebildet hat. Wer hier nach dem Strafrecht ruft, sendet kein Signal der Stärke aus, sondern zeigt mangelndes demokratisches Selbstbewusstsein. Der EU-Rahmenbeschluss sollte in Deutschland deshalb so eng wie möglich umgesetzt werden.

CHRISTIAN RATH

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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