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es ist schlichtweg ungeheuerlich wie die Meinungsfreiheit immer mehr reglementiert und eingeschränkt wird. Auch wenn jemand den Holocaust leugnet, in einer freien Gesellschaft sollte man das Recht haben, selbst den grössten Blödsinn von sich zu geben, ohne dass sich die Justiz einmischt. Das heisst auch: Freiheit für die Herren Zündel, Rudolf, Frau Stolz und ähnlich gelagerten Fällen. Wenigstens hat England die Auslieferung von Herrn Töben abgelehnt und wieder auf freien Fuss gesetzt
Ich persönlich finde die hier aufgestellte Argumentation fragwürdig.
Die besondere historische Schuld Deutschlands ist zwar kein Hirngespinst, andererseits aber ist der Holocaust über 60 Jahre her, die Massaker auf dem Balkan sind hingegen viel jünger. Die meisten heute lebenden Deutschen haben den Holocaust nicht miterlebt, da sie zu jung sind, wie lange soll die historische Schuld Deutschlands noch in die Gegenwart reichen ?
Gerade die Einzigartigkeit des Holocausts ist ein schwieriges Argument, denn was wäre, wenn es einen noch größeren Massenmord gäbe ? Mit noch mehr Opfern, vielleicht sogar noch (!) systematischerem Morden ? Falls das möglich wäre, und das ist zu befürchten. Wäre der reale Holocaust dann "nur" noch Platz zwei ? Lässt der Holocaust "weniger schlimme" Massaker auch dergestalt "geringer" wirken ?
Und ist diese Denkweise sinnvoll ?
Auch wenn es hart klingt: Menschen, die auf dem Balkan oder in Ruanda niedergemacht wurden, wäre es bestimmt kein Trost gewesen, sich zu zu beglückwünschen, dass sie ja wenigstens nicht bei jenem Holocaust umkommen, sondern "nur" bei einem kleineren Völkermord, welcher auf keinen Fall mit dem Holocaust in einer Liga spielt und daher auf keinen Fall mit diesem verglichen werden darf.
So gesehen könnte man eben auch fragen, ob nicht auch der Holocaust umgekehrt andere Massenmorde relativiert und "geschrumpft" erscheinen lässt. Daher ist die Frage ob, Völkermord geleugnet werden darf oder nicht, für mich eine allgemeine Frage, bei der man eigentlich keine Unterschiede machen sollte. Natürlich spricht dagegen, dass Geschichte niemals diktiert werden sollte, sondern erforscht und durch Beweise gestützt werden muss.
Wenn der Holocaust so gut dokumentiert ist (und dies ist der Fall), warum dann die Leugnung verbieten, so als ob man sich seiner Sache nicht sicher wäre ? Wenn man die Leugnung aber verbietet, warum dann nicht möglichst überall ? Sind die Deutschen besonders in Gefahr, Verbrechen zu wiederholen ? Gerade Ruanda und der Balkan zeigen, dass die Deutschen kein Monopol auf solcherlei Greueltaten haben, wobei der Holocaust sicherlich stark heraussticht. Dennoch: Derlei könnte wieder passieren, selbst im Kaliber des Holocaust. Auch außerhalb Deutschlands.
Übrigens sollte man auch die noch nicht exakt ermittelte Zahl der Opfer von Stalin und Mao in Betracht ziehen, die möglicherweise sehr viel höher war als die des deutschen Holocausts.
Auch hier muss gelten:
Das eine macht das andere eben nicht besser.
Irgendwann wird dann noch die Leugnung der "Klimakatastrophe" verboten ...
Soll der Ukraine erlaubt werden, Ziele tief in Russland mit westlichen Raketen und Marschflugkörpern anzugreifen? Ein Pro und Contra.
Kommentar EU-Beschluss zur Leugnung von Völkermord: Strafe ersetzt keine Debatte
Der EU-Rahmenbeschluss nährt die populistische Vorstellung, der Staat solle einfach alles verbieten, was für öffentliche Missbilligung sorgt.
Bald müssen Hetzer, die den Holocaust und andere Völkermorde leugnen oder verharmlosen, europaweit bestraft werden. Dies hat jetzt die EU beschlossen. Ist das eine gute Nachricht? Wohl nur für diejenigen, die das Strafrecht für ein probates Mittel halten, unerfreuliche Debatten zu beenden.
In Deutschland ist die Leugnung des Holocaust schon lange strafbar. Dies soll die Würde der Opfer schützen, aber auch den öffentlichen Frieden. Aufgrund der besonderen historischen Schuld Deutschlands ist dies verständlich.
Aber wird unsere Verantwortung gegenüber den Nachfahren der Holocaust-Opfer nicht relativiert, wenn nun auch andere Staatsverbrechen, wie etwa das serbische Massaker von Srebrenica, dem Holocaust strafrechtlich gleichgestellt werden? Was früher wohl noch als Verharmlosung des Holocaust gegolten hätte, soll nun Gesetz werden.
Man könnte meinen, die EU habe deutsche Besonderheiten übersehen. Aber nicht zuletzt die deutsche Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) hat den Beschluss in Brüssel vorangetrieben.
Doch der EU-Rahmenbeschluss ist auch grundsätzlich zu kritisieren. Denn er nährt die populistische Vorstellung, der Staat solle einfach alles verbieten, was für öffentliche Missbilligung sorgt. Das aber ist nicht die Konzeption des Grundgesetzes und der europäischen Grundrechte-Charta, die eine möglichst freie Kommunikation garantieren.
Wenn die repressive Entwicklung weitergeht, könnte eines Tages auch eine offene Diskussion über die RAF-Selbstmorde von Stammheim verboten werden oder über die Urheberschaft der Terroranschläge vom 11. 9. 2001.
Die Aufarbeitung der Geschichte lebt von Diskussionen. Auch von den missliebigen. Es werden so lange Argumente und Belege ausgetauscht, bis sich eine herrschende Meinung herausgebildet hat. Wer hier nach dem Strafrecht ruft, sendet kein Signal der Stärke aus, sondern zeigt mangelndes demokratisches Selbstbewusstsein. Der EU-Rahmenbeschluss sollte in Deutschland deshalb so eng wie möglich umgesetzt werden.
CHRISTIAN RATH
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Kommentar von
Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).