Beschäftigungstherapie mal anders: Amazons menschliche Roboter
Der E-Commerce-Riese Amazon beschäftigt bei seinem Dienst "Mechanical Turk" Tausende von Menschen, die einfache Aufgaben erledigen, die für Computer zu schwer sind.
Jeff Bezos hat eine Vision. Der Gründer des E-Commerce-Giganten Amazon will neben dem Verkauf von Büchern, CDs, Filmen, Spielen, Elektronik, Mode und Haushaltsprodukten auch eine kleine bis mittelgroße IT-Revolution einleiten. Dazu lässt er seit einiger Zeit diverse Dienste anbieten, die auf der existierenden EDV-Infrastruktur des Konzerns arbeiten, wenn diese Leerlauf hat - so kann man bei Amazon inzwischen als Firma seine Website ablegen, Rechenleistung nach Bedarf auf Abruf einkaufen oder ein Hochverfügbarkeitsnetz nutzen, wenn man etwa Videos in alle Welt ausliefern will.
Der wohl spannendste Dienst im Amazon-IT-Imperium hat aber weniger mit Computern als viel mehr mit Menschen zu tun. Sein Name ist "Mechanical Turk" - und letzterer geht auf den so genannten "Schachtürken" zurück, einen angeblichen Spieleroboter, den der Mechaniker Wolfgang von Kempelen 1769 konstruierte. Das Gerät sorgte bei Hofe für großes Erstaunen, dabei werkelte im Inneren einfach nur ein kleinwüchsiger menschlicher Schachexperte, der die Fäden des "Türken" zog. Das Prinzip der Digitalversion von Mechanical Turk ist eigentlich kaum anders: Menschen übernehmen Arbeiten, die von außen wirken, als würden sie von einem Computer erledigt. Der Computer legt Mensch gestellte Aufgaben vor, der Mensch bearbeitet sie und bringt die Ergebnisse zum Schluss wiederum in ein computerlesbares Format - offensichtlich eine perfekte Kooperation.
Wie Mechanical Turk konkret funktioniert, kann man seit kurzem mit einer Software ausprobieren, die Amazon zum Internet-Shopping von unterwegs aus kostenlos herausgebracht hat. Sie ist in den USA erhältlich und läuft auf Apples iPhone. Fotografiert man mit dem Programm einen Gegenstand, den man irgendwo sieht, sei es in einem Geschäft oder in der Wohnung eines Kollegen, wird daraus sofort ein Auftrag an die Online-Arbeiter bei Mechanical Turk. Die müssen dann herausfinden, ob das entsprechende abfotografierte Produkt womöglich bei Amazon.com zu kaufen ist und einen Link erstellen, der an den Interessierten gesendet wird. Das klappt im Normalfall in wenigen Minuten. Ein Rechner könnte das nur mit sehr viel technischem Aufwand mit Hilfe eines Bilderkennungsprogramms, das mit trüben Handyfotos seine Probleme hätte. Ein geübter Mensch braucht dagegen nur Minuten, weil er leichter abschätzen kann, um was es sich beim dargestellten jeweils dreht.
Mechanical Turk kann inzwischen auf viele Tausend Mitarbeiter zugreifen, die Amazon über das Internet angeworben hat. Sie können sich, wenn sie Lust dazu haben, einfach neue Aufgaben besorgen, die dann pro Stück bezahlt werden. Dabei werden nicht nur Bilder erkannt, sondern auch Texte transkribiert, Wortreihen umgestellt oder Informationen sortiert.
Ein Cleverle wollte mit Mechanical Turk kürzlich sogar die Bewertung seines Programms in einem Online-Shop aufblasen - mitgemacht hat allerdings fast niemand, weil der Mann forderte, man müsse die Software auch noch kaufen. Dass sich unter den 30.000 Aufgaben, die zu jeder Zeit bei Mechanical Turk gelistet sind, auch Merkwürdigkeiten befinden, ist also klar. Dafür darf jeder "Turker" aber auch jedes Angebot ablehnen.
Wie viele Nutzer genau mitmachen, sagt Amazon derzeit nicht. Der Blogger und Internet-Experte Andy Baio testete deshalb kürzlich mit einer eigenen Aufgabe ("Fotografiere Dich selbst und schreibe, warum Du bei MT mitmachst!"), woher sie kommen - dabei ergab sich ein sehr gemischtes Bild. Neben Amerikanern von der Hausfrau bis zum Studenten machen sich auch Menschen aus Entwicklungsländern wie Bangladesch nützlich, denen auch Kleinbeträge viel helfen. Reich werden kann man mit Mechanical Turk nämlich nicht: Einzelne Aufgaben, im Amazon-Jargon "HIT" genannt, bringen zwischen einem US-Cent und unter einem Dollar. Dementsprechend gibt es auch Turker, die nur mitmachen, weil ihnen "langweilig" ist, wie einige auf Baios Frage antworteten. Aufgaben, die ein Computer nur schwer beherrscht, als Geduldspiel für den Menschen? Offenbar hat das viel Zukunft.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!