Wohnen auf arabischer Kunstinsel: Alltag auf der Palme

In den Vereinigten Arabischen Emiraten laden künstliche Inseln zum Wohnen ein. Paradies oder bedrückende "Truman Show"? Ein Ortsbesuch.

Ausschnitt aus dem Paradies: Geklonte Reihenhaussiedlungen in Palm Dschumeirah. Bild: dpa

"Willkommen im Paradies!", begrüßt mich Hermann schon auf dem Parkplatz des Flughafens. Kurz zuvor war der Airbus der Emirates Airlines pünktlich nach sechs Stunden und zwölf Minuten auf dem Dubai International gelandet. Hierher gelockt hatten mich euphorische Anrufe des Freundes aus einer Villa auf Palm Dschumeirah. Jetzt bin ich gespannt, was dran ist am angeblich achten Weltwunder und wie das zusammenpasst mit irritierend künstlich wirkenden Panoramabildern aus dem Internet, irgendwo zwischen 360°-Freiluft-Pornodrehkulisse und Barcardi-Rum-Werbespot.

Der Verkehr auf der Scheich-Said-Straße läuft nur zähflüssig. Gott sei Dank funktioniert die Klimaanlage. Fasziniert verfolge ich die eleganten Drehbewegungen der unzähligen Kräne, die vor und neben uns am wolkenlosen Himmel kratzen - dass Dubai boomt, bedarf hier keiner weiteren Erklärungen. "Stell dir vor, 80 Prozent aller Riesenbaukräne dieser Welt befinden sich zurzeit genau hier!" Atemberaubend. Gigantisch. Aber auch gespenstisch. 20 Kilometer weiter und nach einer knappen Stunde Fahrzeit biegen wir in den Persischen Golf ein, landen nicht im Wasser, sondern auf dem mehrspurigen Stamm der Dschumeirah-Palme. Unser Ziel: der sechste Palmenwedel links.

Dunkelhäutige Wachmänner in polizeiähnlichen Uniformen unter schmalen Baldachinen. Mit lässiger Geste geben sie den Schlagbaum frei. "Das sind unsere zwei Gate Securitys", kommentiert mein Gastgeber, "die sind, wie die meisten unter ihnen, Analphabeten aus Pakistan. Die sprechen kaum ein Wort Englisch und arbeiten Tag und Nacht in zwei Schichten für etwa 350 Dollar monatlich. Mein Partner Sven konnte in unserer Villa erst Gäste empfangen, als er sich "offiziell" in Seven umtaufen ließ. Die konnten Sven einfach nicht aussprechen!"

Rechts und links der zweispurigen Straße steht eine sandfarbene Villa neben der anderen. Die Käufer konnten zwischen 35 verschiedenen Architekturmodellen wählen. Jetzt trennen mannshohe Mauern ihre Grundstücke vom Wasser hoch bis zur Straße. Der Strand hat ausnahmslos "Private-Beach-Status", ist aber nicht verkauft, er befindet sich weiterhin im Besitz eines der Mitglieder der regierenden Scheichfamilie. Verantwortlich für fast alles hier ist "Nakheel", das omnipräsente Unternehmen der Scheichs, das laut Hermann, "noch mit zu vielen unzumutbaren Dienstleistern aus der fernöstlichen Welt kooperiert". Kennengelernt hatte ich Hermann Vieljans 1979. Und schnell wurde er für mich zum beneideten Kosmopoliten. Zwar kokettiert der gebürtige Emsländer bis heute mit der Behauptung, Heimat bleibe für ihn die grüne Wiese an der Ems, seine Fernweh machenden Berichte erreichten mich aber jahrzehntelang von den aufregendsten Orten der Welt. Die erste Botschaft aus Dubai erhielt ich 2003. Weitere folgten.

In der Vorhalle der Villa ist es angenehm kühl. Bodenlange, lichte Vorhänge lassen nur so viel Tageslicht passieren, dass die edlen Oberflächen der englischen Möbel nicht ausbleichen können. Künstlichkeit hin oder her, der Eindruck, der entsteht, als Hermann die Türen zum Wasser hin öffnet, ist überwältigend: Klarstes blaues Tiefenwasser glitzert in allen Facetten, und eine frische Brise dringt mit den ersten Atemzügen bis tief in die Lungenspitzen. Wir befinden uns hier kilometerweit mitten im Persischen Golf. Als ich mich in den feinen, hellen Sand am Wasser fallen lasse, setzt sich Hermann mit zwei kalten Dosen spanischem San Miguel dazu. "Stell dir vor, hier ist es überall so fischreich, wir bräuchten nur eine Angel auswerfen, und nach einer Stunde könnten wir ein komplettes Fish-Dinner für mehrere Personen auf der Veranda servieren." Eine Melodie unterbricht ihn und zwingt Hermann vom Strand zurück in die Villa. Kein Paradies ohne das Element der Verführung: Hier auf der Palme lockt die Schlange ganz offensichtlich mit verheißungsvollen Klingeltönen. Am anderen Ende: Geschäfte, Geschäfte, Geschäfte.

Nein, Palm Dschumeirah ist kein Paradies im klassisch-touristischen Sinne: Die Insignien dieses mit höchsten Eintrittspreisen belegten Ortes sind die Insignien der Macht. Palm Dschumeirah unterscheidet sich allerdings in einem vielleicht noch wesentlicheren Punkt: Die Palme wurde detailgenau auf dem Reißbrett entworfen.

Paradiese waren aber bisher immer eine reine Glaubensfrage. Ist das der entscheidende Vorteil? Oder könnte auch hier, was heute als Paradies geplant wurde, morgen schon zum Fluch werden? Die Zukunft wird es zeigen. Menschen verändern sich. Und mit ihnen auch ihre Paradiese.

Am nächsten Morgen gegen sieben hängt wie von Zauberhand eine volle Tüte Brötchen an der schweren Edelholztür. Wenig später fährt ein Bus mit fröhlich Kaugummi kauenden Kindern vorbei. "Das sind unsere Palmenkinder", ruft Hermann mir zu, während er aus dem Wasser steigt, "die fahren jeden Morgen fünfzehn Minuten bis zur Schule. Die Kinder des benachbarten Emirats Scharjah müssen allerdings schon um 4.30 Uhr aufstehen, um die Schulbildung Dubais erfahren zu dürfen. Die sitzen dann stundenlang ohne Klimaanlage in rammelvollen Bussen zu dritt auf einem Sitz, nur um in der Schule gleich wieder einzuschlafen." Außer Hermann ist niemand am Strand zu sehen. Auch in den Villen am gegenüberliegenden Ufer rührt sich nichts. Auf dem Wasser kommt ein einfaches Boot herangetuckert. "Whats up?". Einer der Bootsmänner zeigt auf einen schmutzigen Ponton im Wasser. Sein Auftrag: die Beseitigung der Überreste jenes Feuerwerks, das zur Eröffnung des Hotelkomplexes Atlantis, The Palm für weltweite Aufmerksamkeit sorgte.

Mit noch nassem Haar setzt sich Hermann im Hugo-Boss-Bademantel auf die Veranda an den Frühstückstisch. Wir schmieren uns die importierten Schwartau-Himbeeren dick auf die Semmeln. "Die Gesellschaft hier in Dubai hat unglaublich viele dieser ungelernten Kräfte einfach überall eingesammelt."

Hermann greift nach seiner ersten Davidoff Ones des Tages. "Die Arbeiter hier werden herden- und hordenweise aus Burma, Laos, Kambodscha, Nepal, Indien, Pakistan und Sri Lanka in Billigfliegern importiert, verladen in überfüllte und unklimatisierte Dieseldreckschleudern, aus denen zum Teil die Sitze herausmontiert wurden, um noch mehr Billigarbeitskräfte auf ihre Zwölfstundenschicht oder zum Schlafen in die Wüste zu kutschieren. Ich habe es selbst gesehen: Die schlafen meist in einfachsten zementierten Wohnblöcken, in Doppelschichten à 40 bis 60 Menschen auf 120 Quadratmetern. Aber so etwas will hier keiner meiner Nachbarn wissen", empört sich Hermann weiter, "dem kann man aber in seinem persönlichen Einflussbereich entgegenwirken: wenn man dazu bereit ist."

Zum zweiten Frühstück kommt John III. vorbei. Er ist Brite und auf dem gleichen Wedel neu eingezogen, nur zwei Villen weiter. John III. stand 13 Jahre im Dienste der Telekommunikation in Malaysia. Er hat seine malaysische Frau und seine sieben und zehn Jahre alten Töchter mitgebracht. In Karatschi kaufte er sich vor wenigen Wochen seine eigene Bank. Ein bisschen wohl auch, weil er gehört hatte, sie hätten dort die schönsten Frauen der Welt, aber vor allem, weil auf 90 Millionen Pakistaner nur 16 Millionen Bankkonten kommen. "Great, great Business!"

Luxus zweier Horizonte

Während John seine Villa ausschließlich privat nutzt, werden die meisten der Häuser aber nicht nur einfach bewohnt, sie wurden geplant als Seminarvilla, gruppendynamische Begegnungsstätte, Produktionsstudio, Entertainment-Unternehmung und natürlich als Statussymbole - jeder, der es sich irgendwie leisten kann, möchte diese paradiesischen Einflüsse für ein Maximum an Kreativität nutzen.

Am Mittag meines zweiten Tages schlendern wir am Strand entlang und genießen den Luxus zweier Horizonte: Am ersten sieht man das neu eröffnete "Atlantis, The Palm", den zweiten dekoriert eine beachtliche Auswahl imposanter Baukräne. Der Sand quietscht merkwürdig beim Abrollen der Füße, aber das sei an jedem Strand der Welt so, beruhigt mich Hermann. Das ältere Ehepaar, ein Engländer mit seiner holländischen Frau, das uns entgegenkommt, führt ihren schwarzen Labrador am Strand spazieren. Der Rüde hat sich ein Stückchen weiter die Palme runter in eine nette Hundedame verliebt, berichten die beiden im Vorbeigehen elternstolz. Am späteren Nachmittag erscheint ein Fernsehteam des Senders arte vor der Villa. Hermann führt sie samt technischer Ausrüstung für eine Stunde hinunter zum Strand. Scheinbar stimmt die Chemie: Die Fernsehleute jedenfalls bleiben bis spät in die Nacht.

"Komm doch an Weihnachten mit Frau und Kindern vorbei", lädt mich Hermann am nächsten Morgen zum Abschied ein.

Weihnachten bei 28 Grad im Schatten? Gerne, wenn die Scheichs bis dahin eine Insel in Weihnachtsbaumform gebaut haben, mit konstanten minus 5 Grad und meterhohem Neuschnee. An Nikolaus essen wir dann ausschließlich Knusperkekse in Palmenform - handgemacht von unseren Kindern mit ihren neuen sterlingsilbernen Ausstechförmchen - was, bitte schön, soll daran künstlich sein?

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