Comedien Ricky Gervais als Zahnarzt: Der vielleicht peinlichste Mann der Welt

Ricky Gervais hat das englische Original der Serie "Stromberg" erfunden und damit das Fremdschämen in den Rang eines humoristischen Genres erhoben. Jetzt gehts nach Hollywood.

Ricky Gervais lacht gerne - vor allem über sich selbst. Bild: dpa

Es gab mal eine Zeit, da zeigte einem das Fernsehen eine andere Welt: eine bessere, glamourösere, reichere und natürlich dramatischere. Heute glotzt der Alltag aus dem Fernseher zurück. Es vergeht kein Tag, an dem nicht einige sorgfältig gecasteten Vertreter von "uns Deutschen" nicht irgendetwas Banales anstellen - sei es nun auswandern, pleitegehen, Kinder erziehen oder um die Wette Nudeln kochen. Das alles ist aber kein Grund, am deutschen Fernsehen zu verzweifeln: Es sind längst nicht nur "wir Deutsche", die medial um sich selbst rotieren, die Briten, Italiener, Engländer und Amerikaner machen auch kam etwas anderes mehr.

Rettung aus dieser trivialen Nabelschau bringt ausgerechnet ein Mann, der das Prinzip Banalität zur Perfektion gebracht hat: Ricky Gervais. Er ist der gnadenloseste Komiker, den die Welt gerade zu bieten hat. Es tut manchmal sogar fast zu weh, seinen Figuren bei ihrem Wüten zuzusehen - dabei macht Gervais eigentlich nichts anderes, als ganz alltägliche Typen einen kleinen Tick weiter zu drehen. Die Vorbilder für seine Gags sind leicht zu finden: Man muss nur den Fernseher anmachen. "Das ist genau das, was ich mache", hat Gervais mal in einem Interview gesagt: "Ich gucke mir irgendetwas an, rege mich darüber auf und mache dann eine Nummer draus."

"Comedy der Peinlichkeit, gepaart mit Ego und Verzweiflung", so bezeichnet Ricky Gervais selbst das Konzept seines Humors. In einem Interview hat er gesagt: "Ich glaube, das kommt daher, dass ich Engländer bin. Wir sind total verkrampft, und das Schlimmste für uns ist es, wenn sich jemand danebenbenimmt und alle sich schämen."

Mit "The Office", einer Serie aus einem fiktiven Durchschnittsbüro, hat Ricky Gervais 2001 eine Satire dieser endlosen Alltagsdokumentation geschaffen. "The Office" funktioniert genau wie das Modell: Der Zuschauer wird Zeuge lächerlicher Bürostreits, erbitterter Machtkämpfe um Nichtigkeiten und fader Konferenzen - Ricky Gervais Lieblingssatz, hat er mal gesagt, sei: Ein Kamel ist ein von einem Team entworfenes Pferd. Dazu wird ständig in Zwie- oder Einzelgesprächen geklärt, wer sich jetzt wie fühlt, weil jemand anderes dieses oder jenes getan hat. Doch während die "realen" Dokufictions daran arbeiten, eigentlich jeden als ganz netten Menschen zu präsentieren, ist es bei "The Office" umgekehrt: Die Protagonisten, allen voran Bürovorsteher David Brent, den Ricky Gervais selbst spielt, sind im Grunde fiese Arschlöcher.

Allerdings, und das ist vielleicht das Gemeinste am Witz von Ricky Gervais, erkennt man sich doch in all diesen Peinlichkeiten irgendwie auch selbst wieder.

Das Unpassende ist hier Konzept. "Humor ist", sagt Gervais, "wenn jemand komplett nicht kapiert, worum es geht." Die von ihm verkörperten Helden sind allesamt Typen, die sich wunderbar gelungen finden und denen nicht auffällt, dass sie mit dieser Meinung alleine stehen. Es sind Männer - und manchmal auch Frauen -, wie sie die permanenten Castingshows für Supertalente hervorbringen: solche, die meinen, sich in den Vordergrund spielen und ihre Ticks an allen ausleben zu müssen. In seinen mittlerweile zahllosen Serien und Stand-up-Programmen zeigt Gervais immer wieder Nullen, die ganz dringend Einsen sein wollen, die Besten, Tollsten und Originellsten - Menschen ohne eigene Meinung, die sich am Alphatier des Moments orientieren und dessen Auftreten dann mit Akribie nachahmen.

Die Zeit hat Gervais Humor "eine Satire auf die Durchsetzungsideologie der Aufsteigergesellschaft" genannt - und liegt damit richtig: In "Extras", seiner zweiten größeren Serie, heißt der Held Andy und ist ein sich hoffnungslos selbst überschätzender Komparse, der ständig auf den großen Durchbruch wartet. Hier gibt Gervais auch anderen Gelegenheit, sich zum Deppen zu machen: In jeder Episode tritt ein neuer Hollywoodstar auf und zeigt sich von seiner miesesten Seite: Am konsequentesten vielleicht Ben Stiller, der den total hysterischen Regisseur eines Elendsfilms gibt, am schönsten sicher Kate Winslet, die dringend Nazifilme drehen will, um einen Oscar zu gewinnen und ihre Pausen damit verbringt, durch Sextipps eine Beziehung zu zerstören.

Es gibt natürlich auch bei Ricky Gervais Momente der Katharsis: Dann ist es der von ihm verkörperten Figur auf einmal unangenehm, dass er einen sexistischen, rassistischen oder sonst wie bescheuerten Witz gemacht hat - aber nur deswegen, weil sogar er irgendwann gemerkt hat, dass er damit nicht ankommt. Ohne diesen Moment der Erkenntnis, wo die Idee des Fremdschämens ihre volle Wucht entfaltet, funktioniert der Witz nicht - zumal die Läuterung des Antihelden nie lange anhält.

Wie sehr Gervais mit seinem unerträglich aufschneiderischen Helden David Brent und seinen Büronerds den Nerv des Publikums getroffen hat, zeigt sich daran, dass innerhalb kürzester Zeit lokale Adaptionen des Formats entstanden: In Amerika lief "The Office" mit dem Comedytalent Steve Carell, in Deutschland hat Christoph Maria Herbst für "Stromberg" Idee, Setting und sämtliche Figuren geklaut. Er ist also doch nicht nur Engländern verständlich, dieser Humor.

Allerdings haben die lokalen Versionen dafür gesorgt, dass Ricky Gervais völlig zu Unrecht in Deutschland vor allem denen bekannt ist, die ihre Lieblingsserien schon längst nicht mehr im Fernsehen schauen. Ab Donnrtstag wird das anders: Da ist Kinostart von "Wen die Geister lieben" (Orig. "Ghost Town"). Ricky Gervais spielt den misanthropen Zahnarzt Bertram Pincus, dem alles Menschliche fremd ist und der einen Satz wie "Ich habe mir Gedanken über ihren schadhaften Kiefer gemacht" für eine großartige Eröffnung für einen heißen Flirt hält. Frauen, die er angraben möchte, heißen bei ihm "Trottelchen".

Allerdings hat der Film sich ein bisschen übernommen: So recht lässt sich der britische Witz nicht in die Hollywood-Romantik von Autor und Regisseur David Koepp ("Krieg der Welten") einglätten, und so sind die meisten Scherze ein bisschen vorhersehbar. Natürlich bezog sich die Bemerkung über den Kiefer nicht auf Téa Leonis Gebiss, sondern auf das der Mumie, mit der sich die Forscherin beschäftigt. Natürlich wird aus Dr. Pincus schnell "Pink Ass" ("rosa Hintern"), und irgendwie wird der Held dann doch durch die Liebe zu einer schönen Frau gezähmt und in die Gesellschaft eingegliedert.

Dabei ist das Herrliche an Gervais gerade, dass er keine Kompromisse macht. In keiner Hinsicht. In Interviews gibt es kein Gerede von Metaebenen und Kunstfiguren. Seine Typen sind wie er selbst, sein Witz ist intuitiv und fies. So trägt Gervais auch bei seinen Auftritten seiner eigenen Comedy-Show oder auch als Gast konsequent seinen "King of Queens"-Look für beleibte Männer. Auch seine offiziellen Fotos sind nicht im Mindesten geschönt: Überall lacht einem ein speckig glänzender, selbstzufriedener Gervais entgegen. Mag sein, dass Gervais aller Welt die Hosen auszieht. Er tut es bei sich selbst zuerst.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.