Echtzeitkarte von Netzblockaden: Weltweite Internetzensur
Ein neues Projekt der Universität Harvard sammelt Berichte über Internet-Störungen und nicht erreichbare Websites. So soll ein aktuelles Bild der Online-Zensur weltweit entstehen.
Internet-Filtermaßnahmen werden einmal mehr weltweit heiß diskutiert - sei es nun im Kampf gegen Kinderpornografie, bei der Blockade von Online-Raubkopierern oder als klare Zensur repressiver Staaten. "Herdict", ein in dieser Woche gestarteter Dienst, soll nun eine aktuelle Datenlage weltweiter Netzblockaden mittels "Crowdsourcing", also der Mithilfe von Nutzern, erfassen. Dabei geht es um das "Urteil der Herde", "the verdict of the herd", wie es in der Projektbeschreibung heißt.
Das am renommierten "Berkman Center for Internet & Society" der Harvard University entstandene Vorhaben wird von dem Juraprofessor und Onlinerechtsexperten Jonathan Zittrain koordiniert. Er erhofft sich, mit dem Projekt eine ständig aktuelle Echtzeitkarte von Netzblockaden in aller Welt zu erhalten, an der Hunderttausende Nutzer teilnehmen.
Erfasst werden Internet-Adresse des blockierten Angebots, Datum der Eintragung, verwendeter Provider, Thema der Website und Ort der Nutzung (zuhause / in der Firma). Mit einem Klick auf "Test this site" kann jeder für sich selbst prüfen, ob ein von Herdict erfasstes Angebot bei ihm zugänglich ist. Meldungen erfolgen anschließend anonym mit wenigen Klicks; eine Vergleichsseite listet den Status, zeigt Statistiken, wo Blockaden stattfinden und wie lange sie vorkamen.
Herdict kann von sich aus zunächst nicht feststellen, ob die Blockade einer Website mit technischen Problemen, direkter Zensur durch einen Staat, richterlichen Anordnungen oder Filtermaßnahmen von Firmen und Providern zusammenhängt. Gründer Zittrain erwartet aber, dass mit zunehmendem Datenumfang das Ablesen von Trends möglich sein wird. Nutzer können bereits jetzt in einem Kommentarfeld eintragen, warum sie glauben, dass es eine Blockade gab; erfasst werden so beispielsweise auch Geofilter, die aus Urheberrechtsgründen dafür sorgen, dass Videoangebote nur in ihrem jeweiligen Heimatland zugänglich sind. (Zittrain will ausdrücklich auch Inhalte in das Verzeichnis aufnehmen, die aus rechtlichen Gründen aus dem Netz genommen wurden, etwa auf YouTube.)
Den Nutzern soll die Mitarbeit an Herdict so einfach wie möglich gemacht werden. Eine Zusatzsoftware für den Browser Firefox (eine Internet Explorer-Version soll folgen) ist so aufgebaut, dass nur noch ein Knopf gedrückt werden muss, um ein Netzproblem zu melden. Gleichzeitig erhält man über einen Farbindikator Auskunft darüber, ob ein Angebot im eigenen oder einem anderen Land nicht erreichbar war oder ist. So soll ein Gemeinschaftsgefühl aufkommen - Maskottchen ist ein cleveres Stoffschaf, das sich in einem YouTube-Video über seine Online-Probleme auslässt. "Mit Herdict kann ich feststellen, welche Sites am schwersten erreichbar sind und welche Länder sie am schwersten erreichen", so der Fellträger. "Damit werde ich Teil einer Herde von Internet-Usern, die auf der ganzen Welt darauf achten, wie nutzbar das Netz ist."
Herdict ging aus der "OpenNet Initiative" (ONI) hervor, an der neben Harvard auch die Universitäten Toronto, Cambridge und Oxford beteiligt sind. Dort wird regelmäßig ein Report herausgebracht, der die aktuelle Lage der Internet-Zensur weltweit schildert. Die letzte Studie namens "Access Denied" fand regelmäßige Netzfilter in mehr als 40 Ländern, Tendenz steigend. Zuletzt erforschte ONI-Wissenschaftlerin Rebecca MacKinnon, wie in China Weblogs mit einer Mischung aus Druck und Blockademaßnahmen zum Schweigen gebracht werden. Herdict soll als weitere Datenbasis dienen; bislang war die ONI bei der Arbeit stets auf ihr bekannte Freiwillige in betroffenen Ländern angewiesen, was sehr mühsam war.
Noch ist das Angebot recht übersichtlich. So wurden bislang erst einige Hundert Meldungen abgegeben, die Masse davon stammt aus den Vereinigten Staaten, Deutschland, Großbritannien und China. Zittrain und seine Kollegen hoffen aber, dass das erst seit Mittwoch verfügbare Projekt sich schnell mit Nutzern füllt. Angst, dass Herdict selbst blockiert werden könnte, hat er indes nicht. Das sei dann höchstens ein Zeichen, dass Zensoren das Angebot ernst nähmen, sagte er gegenüber US-Medien. Um erreichbar zu bleiben, nimmt Herdict Meldungen auch über alternative Kommunikationskanäle wie Twitter entgegen.
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