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Ökonom über Wirtschaftskrise"Die Exporte sind im freien Fall"

Die deutsche Wirtschaft steht vor der schwersten Krise ihrer Geschichte, sagt der Ökonom Gustav Horn. Schuld seien auch die Wirtschaftswissenschaften.

"Wir brauchen einen globalen Keynesianismus." Bild: dpa
Tarik Ahmia
Interview von Tarik Ahmia

taz: Herr Horn, die Weltwirtschaft steckt in der Krise. Was kommt auf Deutschland zu?

Gustav Horn: Vor der Bundesrepublik liegt die heftigste Rezession der Nachkriegszeit. Was das konkret bedeutet, können wir noch gar nicht fühlen. Die weitere Entwicklung wird uns aber eine brutale Auseinandersetzung mit der Realität aufzwingen, denn die Exportwirtschaft ist im freien Fall. In den USA ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt schon jetzt dramatisch. Deutschland kann sich noch auf den Puffer verlassen, der durch die Kurzarbeit entsteht. Er wird aber nicht ewig halten. Ende des Jahres wird es wieder 4 Millionen Arbeitslose geben. Die Bundesregierung sollte deshalb das Arbeitslosengeld I verlängern und so schnell es geht einen allgemeinen Mindestlohn einführen.

Die Krise ist auch ein Fiasko für die Wirtschaftswissenschaften. Der neue Vorsitzende des Sachverständigenrats, Wolfgang Franz, erklärte jüngst: "Irgendwann wird die Krise zu Ende sein, wir wissen nur nicht, wann und wie." Wie erklären Sie sich diesen intellektuellen Offenbarungseid?

Nach der dominierenden ökonomischen Lehrmeinung hätte diese Krise gar nicht stattfinden dürfen. In ihrem Wirtschaftsmodell gibt es keine Unsicherheit: Menschen handeln hier stets rational, und Märkte kehren dadurch über kurz oder lang immer zum Gleichgewicht zurück. Aber das ist falsch. In der Wirklichkeit erleben wir genau das Gegenteil: Panik und kumulative Abwärtsspiralen an den Märkten prägen die Realität. Die deregulierten Finanzmärkte sind faktisch zusammengebrochen.

Die marktfundamentalen Ökonomen ignorieren noch immer jede Kritik an ihrer Wirtschaftstheorie. Können sie überhaupt Teil der Lösung sein, oder sind sie Teil des Problems?

Zweifellos trifft die Wirtschaftswissenschaften eine Mitschuld. Denn keines ihrer Modelle war in der Lage, die Krise, geschweige denn ihre Wucht zu erkennen. Ich erwarte deshalb, dass wir einen fundamentalen Theoriewechsel erleben werden. Als Folge der jetzigen Erfahrungen werden wir viele ökonomische Modelle über Bord werfen müssen.

Wie kommt die Ökonomie aus dieser Sackgasse heraus?

Die Frage, wie man in Zeiten großer ökonomischer Unsicherheit handelt, muss wieder in den Mittelpunkt rücken. Dieses Thema trieb John Maynard Keynes schon in der Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre um. Seine zentrale Erkenntnis war, dass Märkte inhärent instabil sind und Krisen nicht selbst überwinden können. In so einer Lage ist der Staat der einzige Akteur, der den unsicheren Erwartungen durch Konjunkturprogramme und klare Regeln eine positive Orientierung geben kann. Allerdings haben sich die Zeiten seit Keynes geändert. Damals gab es weder die heutige Globalisierung noch deregulierte Finanzmärkte. Keynes Erkenntnisse müssen deshalb an die Gegenwart angepasst werden, denn auf nationalstaatlicher Ebene kommt man in der jetzigen Lage nicht weiter. Wir brauchen einen globalen Keynesianismus.

Wie soll dieser globale Keynesianismus aussehen?

Alle maßgeblichen Wirtschaftsmächte, einschließlich der USA, China und Japan, müssen eine globale Stabilisierungspolitik unterstützen. Neue Konjunkturpakete werden folgen müssen. Nun ist es höchste Zeit, dafür die Pläne zu machen. Um optimal zu wirken, sollten sie wenigstens europa-, möglichst weltweit koordiniert werden. Für die langfristige wirtschaftliche Stabilität müssen diese Länder zudem ein lückenloses Regelwerk für die Finanzmärkte festlegen. Nur so kann allen Marktteilnehmern klargemacht werden, was erlaubt ist und was nicht.

Welche Erwartungen verknüpfen Sie mit dem G-20-Gipfel Anfang April in London, auf dem neue Regularien für die Finanzmärkte vereinbart werden sollen?

Ich denke, die vorgeschlagenen Regulierungsmaßnahmen werden drastisch sein - und die USA werden dabei als treibende Kraft auftreten. Das Schattensystem der Hedgefonds dürfte in diese Regulierung mit einbezogen werden. Ich hoffe auch, dass bisherige Regeln auf den Prüfstand kommen: So haben sich die sogenannten Basel-2-Bilanzregeln für Banken in dieser Krise als ein Instrument der Instabilität erwiesen. Sie müssen deshalb grundlegend neu geregelt werden. Auch eine Börsenumsatzsteuer wäre richtig.

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