„Dann hauen sie alle rein“

KINDERESSEN Früher hat er für FDJ-Funktionäre gekocht, heute für Kinder der Berliner Kita „Pfiffikus“. Steffen Salewski erklärt, wie man Kindern Gemüse unterjubelt und warum Milchschnitte Teufelszeug ist

„Woher soll ein Kind wissen, was ihm nicht schmeckt? Das kriegen sie doch nur anerzogen“

INTERVIEW KIRSTEN KÜPPERS

taz: Herr Salewski, Sie haben in der DDR als Hotelkoch angefangen, sind also ein richtiger Koch für Erwachsene. Heute kochen Sie nur noch für Kinder in einer Kita – warum?

Steffen Salewski: Ich hab zu DDR-Zeiten in einem Hotel in Gera gelernt, habe dann bei der Armee für 2.000 Leute gekocht. Später war ich als Koch beim Zentralrat der FDJ in Berlin. Das war schon gehobene Kantine, kalte Buffets und Veranstaltungen.

Und dann kam das Jahr 1989…

Über die Wende habe ich ein Jahr lang Bier gezapft in einer Kneipe am Alexanderplatz. Und dann, 1991, habe ich angefangen bei einem großen Anbieter von Schüler- und Kindergartenspeisungen. Auch für Rentner haben wir gekocht. Da war ich elf Jahre Küchenleiter – bis ich arbeitslos wurde und den Job in der Kita fand.

Kocht man für Senioren genauso wie für Kinder?

Na klar. Das kommt ja dann alles wieder. Dass die Sachen weicher gekocht sein müssen. Und weiße Bohnen oder Erbsen würde ich da genauso wenig machen. Außer wenn die topgesund sind, die Rentner.

Und wie unterscheidet sich das Kinderessen vom Essen für Hotelgäste, Soldaten und FDJ-Funktionäre?

Ich verwende andere Zutaten und längere Garzeiten. Ich kann dem Kindern zum Beispiel kein kurz gebratenes Steak anbieten, das ist denen zu hart. Und die Ampelfarben sollten jeden Tag dabei sein: Rot, Gelb und Grün. Das ist krebsvorbeugend. Selbst Maiskörner aus der Dose! Da sind kaum noch Vitamine drin. Aber die Farbstoffe sind immer noch gut zur Krebsvorbeugung. Obst, Gemüse, Milchprodukte müssen dabei sein, nicht zu viel Fleisch. Die Kinder essen ja zu Hause auch noch ihre Wurst. Außerdem darf ich die Sachen nicht zu scharf machen, nicht zu salzig, nicht zu sauer. Kinder lieben es immer ein wenig süßlicher.

Also tun Sie überall noch Zucker rein.

Nein! Wo es nicht reingehört, – auf keinen Fall! Aber heute hab ich die Zwiebeln und Möhren ein bisschen mit Honig angeschwenkt. Das schmeckt besser.

Die Erzieherinnen hier mögen Ihr Essen auch.

Na ja gut. Man fährt seinen Geschmack auch runter. Wenn man täglich salzarm isst, braucht man nicht mehr so viel Salz.

Das klingt erst mal nicht so lecker. Gilt man unter anderen Köchen als Versager, wenn man nur noch für Kinder kocht?

Nö. Auf keinen Fall. Natürlich könnt ich hier jeden Tag nur Nudeln kochen. Aber das ist absolut nicht mein Anspruch. Ich versuche viele Sachen frisch zu machen, nicht bloß Fertigprodukte zu verwenden. Das macht eine Menge Arbeit. Aber das lohnt sich. Sogar das Apfelmus mache ich selber. Dosenkompott ist einfach zu süß. Und wenn ich das Essen zu den Kiddies bringe und die springen mich an vor Freude – das ist doch okay!

Warum kochen Sie kein Bioessen?

Ich habe 95 Cent pro Essen pro Kind zur Verfügung. Davon muss ich das Mittagessen kochen. Da sind aber auch das Kompott, das Obst, der Salat, der Tee, die Säfte und die Milchgetränke mit drin. Das ist mit Bio absolut nicht machbar. Wir haben die Eltern hier mal gefragt, ob sie mehr Geld bezahlen würden, wenn es dafür Bioessen gäbe. Vierzig Prozent waren dafür, sechzig dagegen. Aber manchmal finde ich günstiges Bioobst oder Gemüse. Dann nehm ich das natürlich.

Vollkornnudeln kochen Sie auch manchmal.

Ich mache die natürlich nicht allzu oft. Ich mische die mit den bunten Nudeln. Da fällt das den Kindern nicht so auf. Man kann auch versuchen, die als Schokonudeln zu verkaufen. Mit viel Butter schmecken sie nicht ganz so schlimm. Aber dann maulen die Erzieherinnen. Weil sie schlankheitsbewusst sind. Aber da nehme ich nicht so viel Rücksicht. Ich sage denen, da ist Milch dran, und mache trotzdem meine Sahne rein.

Und wie kriegen Sie ein Kind dazu, Kohlrübeneintopf zu essen?

Die Kohlrüben schmecken doch auch ein bisschen süßlich. Ich koche dazu ein paar Enten ab. Da hab ich dann eine schöne fette Brühe. Das Fett pule ich ab, das Fleisch schneide ich klein und koche die frischen Kohlrüben. Saulecker! Überhaupt: Woher soll ein Kind wissen, was ihm nicht schmeckt? Das kriegen sie doch nur von größeren Geschwistern oder anderen Kindern anerzogen. Im Kleinkindalter ist der Geschmack noch nicht so ausgeprägt, dass Kinder merken: iih, das ist eklig oder zu sauer. Das kommt erst, wenn die Kinder vier oder fünf Jahre alt sind.

Und dann wollen sie zu Hause nur Nudeln mit Ketchup.

Die zwei Kleinkindgruppen hier, die hauen rein, egal was es gibt. Die mampfen alles weg. Die sind nicht versaut, sagen wir mal. Die anderen werden irgendwann mäkelig. Wenn einer am Tisch sagt: Das mag ich nicht. Dann sagen die anderen drei das auch.

Richten Sie sich danach?

Bei krassen Sachen schon. Ich mache zum Beispiel keinen Rosenkohl. Das mögen Kinder wirklich nicht. Aber Champignons zum Beispiel sind nichts extrem Ekliges. Die haben keinen penetranten Geschmack. Warum sollte ich die nicht anbieten?

Haben Sie nicht irgendwelche Tricks auf Lager?

Hier ist natürlich alles einfacher. Wenn hier alle am Tisch sitzen und essen – dann hauen sie alle rein. Das ist die Gruppendynamik.

Und wie soll man das zu Hause hinbekommen?

Genörgel hat man immer zu Hause. Ich versuche trotzdem zu kochen, was meine Kinder mögen. Wir decken gemeinsam schön den Tisch. Und essen alle zusammen. Wir haben keinen Fernseher an, maximal Radio, dass niemand abgelenkt ist. Ich nehme die Kinder auch in die Küche und koche mit ihnen.

So wie der englische Starkoch Jamie Oliver. Der nimmt seine Kinder auch mit in die Küche.

Mein großer Sohn ist neunzehn, und der kann kochen. Da bin ich ganz stolz drauf. Ich nehme meine Kinder auch zum Einkaufen mit. Hier guck mal die Ananas, wie die aussieht! Wann ist die reif? Wie muss die riechen? Jamie Oliver geht ja auch in Schulen und versucht die Ernährung der Kinder dort umzustellen. Ich hab das im Fernsehen gesehen. Und was in dieser englischen Schulkantine über den Tisch gegangen ist. Die haben nur Pommes gegessen! Allenfalls noch ein paar aus dem Wasser gezogene Erbsen. Hey, das fand ich schon schrecklich! Ich bin kein Fan von Kochsendungen. Aber den Jamie Oliver, den mag ich.

Ab und zu Pommes kann doch nicht so schlimm sein.

Ich mache zu Hause auch ab und zu Pommes. Und in jedem Essen ist ja auch irgendwo etwas Gehaltvolles drin. In Pommes sind Mineralstoffe. Gelb sind sie auch – dazu gibt es dann einfach noch einen Salat mit Grün und Rot.

Und wie kriegt man den Salat in die Kinder rein?

Man fängt an Sachen zu nehmen, die sie gerne essen. Dann mengt man hin und wieder etwas dazwischen, was sie nicht so gerne mögen. Meine Kinder haben keine Paprika gegessen. Ich hab die aber immer wieder mit reingemacht. Irgendwann sind die dann auch zu faul, die rauszupulen. Oder ich nehme den milden Paprika, den hellgrünen. Oder den gelben. Der ist ja fast süßlich. Jogurtdressings kommen auch immer gut an. Da nehm ich Vollmilchjogurt. Der ist nicht so stumpf auf der Zunge. Das macht es für die Kinder erträglicher.

Sie schummeln also die ganze Zeit.

„Ich mache zum Beispiel keinen Rosenkohl. Das mögen Kinder nämlich wirklich nicht“

Die Kinder essen ja wenig Gemüse einfach so. Also muss ich es anderswo unterjubeln. Ich mach einfach mehr Wasser ans Gemüse, nehme eine Mehlschwitze und binde das. Dann ist das Gemüse die Soße und dann müssen die Kinder es ja essen. Ich mache überall Gemüse rein: ins Gulasch, in den Reis, in die Nudeln.

Gestern gab es hier Wirsing. Ein Horror für Kinder.

Ich mache den mit Sahne. Da geht der bittere Geschmack weg. Dann bleibt nur der typische Wirsinggeschmack übrig.

Also immer Sahne dran?

Das macht ein schönes Mundgefühl, sagt man. Das geht besser runter dann. Aber man muss auch aufpassen, dass die Kinder nicht zu dicklich werden. Manchmal kann man auch Milch nehmen

Sind die Kinder wirklich zu dick?

Ja. Die Kinder sitzen viel mehr vor dem Fernseher oder vor irgendwelchen Videospielen als früher. Es wird sich weniger bewegt. Wenn die Kinder heutzutage zum Sport gehen, dann werden sie mit dem Auto bis zum Platz gefahren. Und, na klar, die Ernährung! Pommes oder Fish und Chips gab es bei uns früher nicht.

War das Essen früher wirklich besser?

Die Möglichkeiten heute sind natürlich viel größer als zu DDR-Zeiten. Aber das Essen ist trotzdem nicht besser. Das ist auch unserer Gesellschaft geschuldet. Die Leute haben weniger Zeit, keiner kocht mehr zu Hause. Da wird schnell eine Milchschnitte verteilt, was ja das Ungesündeste ist, was es gibt.

Milchschnitte ist also Teufelszeug. Was ist denn noch absolut verboten?

Kinder-Pingui zum Beispiel. Das ganze aufgepeppte Zeug. Das ist so was von ungesund! Die Kinder essen auch Apfel oder Gurke, wenn es nichts anderes gibt. Und wenn es unbedingt Kekse sein müssen, dann sollte man sie schon selbst backen.

Puh! Und was kochen Sie, wenn Sie sich bei den Kinder beliebt machen wollen?

Wenn ich der Held sein will? Dann Jägerschnitzel Ost. Also gebratene Jagdwurst mit Tomatensoße und Nudeln dazu. Das ist immer der Hit.