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Archiv-Artikel

Soll das Großprojekt BER gestoppt werden?

FRUST Der Bund zweifelt an Stuttgart 21, der Bau des BER stockt. Die deutschen Prestigeprojekte werden zur Blamage. Manche fordern gar einen Abriss des Berliner Flughafens

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JA

Niko Paech, 52, ist Ökonom und radikaler Wachstumskritiker. Er fliegt nie

Wer hätte das gedacht: Klaus Wowereit als größter Klimaschützer Deutschlands! Was hier durch Missmanagement zu scheitern droht, ist mehr als die potenziell größte CO2-Schleuder Berlins. Größenwahn zementiert Sachzwänge und unkontrollierbare Abhängigkeiten. Nachdem immense Kapitalmengen versenkt wurden, sind Korrekturen kaum möglich, zugleich droht das Too-big-to-fail-Syndrom. So entsteht strukturelle Erpressung, für die niemand verantwortlich ist. Je monströser die aufgebaute Kapazität, desto gnadenloser der Zwang zu deren Auslastung. Dies versperrt andere Entwicklungen. Wer heute noch Flughäfen neu- oder ausbaut, kann nur das fossile Zeitalter fortsetzen wollen – etwa durch Fracking? Der Abbruch eröffnet viele Chancen, weil (1) weitere Geldvernichtung gestoppt würde, (2) der ökologisch desaströse Flugverkehr thematisiert werden könnte, (3) Berlin eine weniger kerosinabhängige Wirtschaft braucht und (4) ein Zeichen gegen überkommene Gigantonomie dringend nötig ist.

Kristian-Peter Stange, 57, ist Sprecher des Bürgervereins Brandenburg-Berlin

Das Grundübel des BER liegt in der sachfremden Entscheidung für den ungeeigneten Standort. Keine Lüge, kein Betrug und keine willfährige Justiz haben es vermocht, den zwangsläufigen Murks zu verhindern. Wenn das Fundament marode ist, kann niemals ein solider Bau darauf errichtet werden. Murks bleibt eben Murks. Das sehen auch jene Profis so, die reihenweise abwinken, wenn ihnen nun die Flughafen-Geschäftsführung angetragen wird. Sie wissen, dass sie nur verlieren können, denn niemand kann aus einer Geldverbrennungsanlage eine Gelddruckmaschine machen. Nur am richtigen Standort macht BER Sinn: gesamtgesellschaftlich akzeptiert, umweltverträglich, entwicklungsfähig und ohne Geld des Steuerzahlers. Noch ist es nicht zu spät, vorliegende Konzepte zu nutzen, um die Investruine BER in Schönefeld profitabel nachzunutzen und einen notwendigen Flughafen Berlin-Brandenburg am geeigneten Standort zu errichten.

Sabine Christmann, 48, hat die sonntaz-Streitfrage auf Facebook kommentiert

Ja, bitte! Macht einen Spielplatz daraus. Oder einen Kindergarten. Oder ein Schwimmbad. Oder lasst einfach nur die Straßen und Wege dort, wie sie sind: ohne Schlaglöcher. Irgendeiner muss doch mal zeigen, dass so was geht. Die Bonunsmeilenjäger dürfen ihre Boni dann gern in die Bahn investieren – auf dass diese in die Lage versetzt wird, alles auf ihren Schienen zu transportieren, was wirtschaftlich und umwelttechnisch vernünftig ist. Inklusive des menschlichen Frachtguts natürlich. Der Effekt wäre natürlich noch um ein Vielfaches größer, wenn die Bahn im gleichen Atemzuge auch noch ihr Stuttgart-21-Projekt endgültig beerdigen würde.

Sigrid Zentgraf-Gerlach, 59, wohnt nur fünf Kilometer vom BER entfernt

Durch An- und Abflüge in einer Höhe von 200 bis 800 Metern würden wir in der Gemeinde Blankenfelde-Mahlow enorm belastet werden. Täglich 19 Stunden lang an sieben Tagen in der Woche. Das blüht uns, weil vor allem die Berliner und die Gemeinde der Mittelmark es geschafft haben, dass die Startrouten der Nordbahn nicht über sie hinweg führen. Es geht nicht, dass immer nur eine bestimmte Menschengruppe einer konzentrierten Höchstbelastung ausgesetzt wird. Auch beim Fluglärm ist die Dosis entscheidend. Diese Last sollte deshalb solidarisch auf mehrere Gemeinden verteilt werden. Damit alle einen Restbehalt an Lebensqualität haben und die Chance, gesund zu bleiben. Wir fordern deshalb einen planfestgestellten Schallschutz und die sofortige Neuplanung eines zweiten Flughafenstandorts in Brandenburg.

NEIN

Gesine Lötzsch, 51, Philologin und haushaltspolitische Sprecherin der Linken

Der BER-Aufsichtsrat hatte nur eine Kontroll-Illusion. Die kostspielige Verantwortungslosigkeit ist noch gar nicht in Zahlen zu fassen. Der Flughafen muss trotzdem fertiggestellt werden. Abriss und Neubau an einem anderen Standort würde nichts an den handelnden Personen und den ausführenden Firmen ändern. Eine ehrliche Fehleranalyse ist Voraussetzung für einen Neustart. Ein Klumpenrisiko ist der Bundesverkehrsminister. Alle Großprojekte, für die Herr Ramsauer Verantwortung trägt, sind in die Lederhose gegangen. Ein wirklicher Neustart kann erst gelingen, wenn er und seine Staatssekretäre ihre Hüte nehmen.

Martin Delius, 29, ist Mitglied der Piraten im Abgeordnetenhaus in Berlin

Jetzt den Spaten niederzulegen und sich von der Baustelle zu schleichen, wäre der falsche Weg. Damit würden wir eingestehen, als Stadt, als Land, in der Politik und der Wirtschaft versagt zu haben. Zudem kann die Stadt Berlin mit den finanziellen und wirtschaftlichen Folgen ohne eine Alternative zum BER nicht klarkommen. 25 Millionen Passagiere pro Jahr – das können die beiden Berliner Flughäfen nicht mehr lange durchhalten. Insbesondere der völlig überlastete Flughafen Tegel ist eine tickende Zeitbombe. Die Berlinerinnen und Berliner haben für den neuen Flughafen schon etwa 1,8 Milliarden Euro gezahlt und deshalb ein Recht auf eine Gegenleistung. Ich sehe meine Aufgabe als Politiker darin, das einzulösen, was seit über 10 Jahren versprochen wurde: den Flughafen zu bauen. Darauf sollten wir uns konzentrieren.

Hedwig Sensen, 65, ist Präsidentin der Vereinigung Deutscher Pilotinnen

Im November war ich auf der Baustelle. Ich war bestürzt – JedeR konnte zu dem Zeitpunkt sehen, dass der Eröffnungstermin 2013 niemals eingehalten werden konnte. Die Behörden waren mit diesem Großprojekt einfach überfordert. Auch aus der Politik kamen keine konstruktiven Impulse. Für einen führenden Industriestandort wie Deutschland ist das eine beschämende Situation. Dass die angefragten Geschäftsführer reihenweise absagen, unterstreicht das Ausmaß des Desasters: Niemand will sich BER antun. Trotzdem: Würde das Projekt abgebrochen, wäre der Imageschaden noch größer. Wir brauchen jetzt möglichst schnell einen funktionierenden BER!

Dieter Faulenbach da Costa, 68, ist Architekt und hat 44 Flughäfen mitgeplant

Ein Abbruch würde den Kollaps des Luftverkehrsstandorts Berlin Brandenburg bewirken, des stärksten originären Luftverkehrsmarktes in Deutschland. Tegel ist weder den Passagieren noch den Luftverkehrslinien weiter zumutbar. Eine Inbetriebnahme von BER mit den Satelliten SXF alt, Neuhardenberg und Drewitz sichert einen segmentspezifischen hohen Abfertigungsstandard des absehbaren Verkehrsaufkommens. So lässt sich Zeit gewinnen, um über konzeptionelle, zukunftsfähige Alternativen nachzudenken.

Gregor Klässig, 41, wartet auf die Eröffnung seines Imbisses im BER

Ein Abriss kommt nicht in Frage, denn es sind mittlerweile Milliarden an Steuergeldern verbaut worden. Wir Mittelständer haben selbst hohe Beträge investiert. Obwohl für uns keine Entschädigungen zu erwarten sind, bin ich dagegen, das Großprojekt BER abzubrechen. Berlin braucht einen modernen Flughafen. Tegel stellt keine Alternative dar. Wir haben uns genug blamiert, jetzt muss BER fertig werden.