UN-Sondergesandter Vernor Muñoz: "Behinderte müssen wählen können"

Kinder und Jugendliche mit Handikap haben das Recht auf den Besuch der Regelschule, sagt der UN-Sondergesandte Vernor Muñoz. Vom dreigliedrigen Schulsystem hält er wenig.

Behinderte darf der Besuch einer Regelschule nicht verwehrt werden. Bild: dpa

taz: Herr Muñoz, bislang haben gehandikapte Kinder kaum Zugang zur allgemein bildenden Schule - obwohl der Bundestag die Konvention der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Dezember unterzeichnete.

Vernor Muñoz

Vor drei Jahren begutachtete Vernor Muñoz die Bildungslage in Deutschland. Der Sondergesandte der Vereinten Nationen für das Menschenrecht auf Bildung sah die Chancen von behinderten Kindern, Migranten und Flüchtlingen nicht gewährleistet. Ihnen werde hierzulande aus strukturellen Gründen teils der Zugang zu Schulen verwehrt. So steht es in einem Bericht an die UN in Genf von 2007.

Die deutschen Reaktionen auf Muñoz waren hysterisch bis schockiert. Der Juraprofessor aus Costa Rica könne nicht einmal richtig Deutsch und solle sich daher eines Urteils über die lokalen Verhältnisse enthalten, winkten Unionspolitiker ab. So weisen üblicherweise Schurkenstaaten Menschenrechtsberichte der UN zurück.

Nun kommt Munoz zu einem Deutschlandbesuch nach Oldenburg. Vernor Muñoz wird dort erstmals über die Antworten der Bundesregierung auf seinen Bericht sprechen und mit Menschrechtlern diskutieren.

Sonntag, 11 Uhr, Kulturzentrum Peter Friedrich Ludwig, Oldenburg

munoz.uri-text.de

Vernor Muñoz: Dennoch, diese Kinder haben nun das Recht, in die Regelschulen aufgenommen zu werden. Das ist die erste und wichtigste Bedeutung der Konvention für Kinder mit Behinderungen.

Was heißt das konkret?

Behinderte Kinder und ihre Eltern müssen frei wählen können, ob sie auf einer Regelschule oder auf einer Sonderschule lernen wollen.

Davon sind wir noch weit entfernt. Da fehlen schon die Voraussetzungen in Regelschulen.

Dann muss man sie eben darauf vorbereiten. Die Konvention verlangt einen umfassenden Übergangsplan darüber, wie man vom System der Sonderschulen zu einer inklusiven Schule kommt …

inklusiv bedeutet, dass behinderte Kinder von vornherein zur allgemein bildenden Schule gehören. Wie schafft man das?

Die ganze Schulumwelt muss sich verändern. Es geht um Fragen der Infrastruktur der Schulen. Es geht um eine Lehrerbildung, die behinderte Kinder mit einschließt, genau wie alle Aspekte der Pädagogik. Um der Konvention wirklich gerecht zu werden, braucht man zum Beispiel mehr Ressourcen und Helfer, damit die benachteiligten Schüler gleichberechtigt an der Regelschule teilhaben zu können. Es müssen auch alle Barrieren wegfallen, die den Zugang für Schüler mit körperlichen Behinderungen erschweren.

Haben Sie überhaupt damit gerechnet, dass Deutschland die Konvention ratifizieren wird?

Ich war sehr erfreut. Damit hat der Bundestag klar zum Ausdruck gebracht, dass er substanzielle Veränderungen im Bildungssystem wünscht. Die Konvention erlegt allen Bildungsministerien des Bundes und der Länder auf, das aktuelle System der Integration aufmerksam zu begutachten - damit es zu einem inklusiven System wird, das alle Menschen einschließt.

Die Pisa-Studien messen in Deutschland eine starke Abhängigkeit der Schulerfolge von der sozialen Herkunft der Schüler. Hat sich seit Ihrem Besuch im Jahr 2006 aus Ihrer Sicht genug verbessert?

Die deutsche Schulstruktur hat nach meinem Eindruck immer noch einen bedeutenden Einfluss auf den Erfolg etwa der Schüler mit Migrationshintergrund. Die Tatsache, dass die Kinder von Migranten in Hauptschulen über- und in den Gymnasien unterrepräsentiert sind, gibt hier deutliche Hinweise.

Wie könnte man deren Chancen verbessern?

Die Abschaffung der drei verschiedenen Schultypen würde wahrscheinlich eine positive Bewegung bringen. Es würde Migrantenkindern den Zugang zu höherer Bildung und zum Arbeitsmarkt bestimmt erleichtern. Es wäre aber auch wichtig, Schüler und Eltern aus sozial benachteiligten Schichten besser über die schulischen Laufbahnen aufzuklären. Sie müssen erfahren, wie wichtig der Schritt auf eine bestimmte Schulform für ihre Zukunft sein kann.

Was bringt Sie zu der Annahme, dass viele Eltern ihre Kinder aus Unwissen auf Hauptschulen gehen lassen?

Die Lesegrundschuluntersuchung Iglu hat gezeigt, dass in Deutschland 44 Prozent der Kinder die falsche Empfehlung für ihre Schullaufbahn bekommen. Sie hat nichts mit ihren tatsächlichen Fähigkeiten zu tun. Ein klassifizierendes System mit verschiedenen Schultypen tendiert eben immer dazu, die Separation der Kinder zu verfolgen, das heißt die Schüler falsch einzuordnen.

Manche Kinder können sich das Mensaessen nicht leisten, weil die Hartz-IV-Sätze es nicht beinhalten. Was sagt der Sonderberichterstatter dazu?

Ich würde es eine gute Praxis für sozial benachteiligte Schüler nennen, wenn man ihnen ein freies Mittagessen garantiert. Man muss die Schülern mit allem versorgen, was ihnen ermöglicht, beste Leistungen zu erbringen.

Welche Möglichkeiten haben Sie eigentlich, wenn Deutschland seine internationalen Verpflichtungen nicht einhält? Schicken Sie Blauhelmtruppen, wenn man Ihren Empfehlungen nicht folgt?

Niemand ist verpflichtet, meine Ratschläge zu beachten. Aber viele Regierungen respektieren und erfüllen die Empfehlungen des UN-Sonderbotschafters für das Recht auf Bildung. Immerhin haben wir einen Mechanismus zum Schutz der Menschenrechte - da können die Vereinten Nationen Zusammenarbeit und Antwort erwarten.

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