Berlner Mauerwanderweg (Teil 3): Überall Mauern

An der Grenze zwischen dem südlichen Neukölln und Treptow wird man entlang des Mauerwegs vom Lärm der Autobahn begleitet. Dafür gibt es wunderschön wuchernde Stadtwildnis - und jede Menge Schutzwälle.

Die Mauer steht wieder, höher und mächtiger denn je. Wo früher der sogenannte antifaschistische Schutzwall Neukölln von Treptow trennte, erhebt sich heute eine Schallschutzwand aus beigen und roten Backsteinen. An ihr entlang führt kilometerlang und schnurgerade der Berliner Mauerweg, rechts der Teltowkanal, links die Mauer. Gegen den dröhnenden Verkehrslärm der A 113 hilft sie nicht viel. Immerhin: Im Verein mit den Autos rauschen die Pappeln, die den Weg säumen und dastehen wie Wächter, die auf die andere Seite spähen. Überhaupt wuchert die Natur üppig in dieser Brache zwischen Mauer und Kanal: Klatschmohn und Schafgarbe, Margeriten und Johanniskraut, Hahnenfuß und Glockenblumen zeigen sich unbeeindruckt vom Gedröhn, das von "drüben" herüberschallt.

Als Fußgänger dagegen muss man auf diesem schier endlosen, lärmumtosten Radfahrerhighway verzweifeln - und wünscht sich auf die andere Seite des Kanals. Dort scheint die Welt noch in Ordnung: In den Kleingärten und Einfamilienhäusern klingt der Verkehr vermutlich wie Meeresrauschen, grüne Hecken schirmen das Private ab vom öffentlichen Rad- und Fußweg, für Badewillige bieten kleine Sandbuchten an einigen Stellen direkten Zugang zum Wasser. Den Blick auf die Mauer kann man von dort drüben auch genießen. Allerdings wäre dieser Weg nicht der authentische: Die Mauer verlief nun mal hier und nicht dort, und wenn im ehemaligen Grenzstreifen inzwischen eine Autobahn verläuft, wird der geschichtsinteressierte Wanderer eben an einer Autobahnwand entlanggeschickt. Zum Trost der Autorin wird es bald auch auf der anderen Seite trist. Die Kleingartenkolonien enden, man kommt an den letzten Resten des demontierten Heizkraftwerks Rudow vorbei, dann beginnt ein Gewerbegebiet.

Nach rund fünf Kilometern ist es endlich so weit: Der Mauerweg trennt sich von der Autobahnmauer und führt über eine Brücke Richtung Westen. Und sobald keine Mauer mehr den Blick in den "Osten", der nun im Süden liegt, versperrt, sieht man gleich, dass er dem "Westen" in den vergangenen 20 Jahren ziemlich ähnlich geworden ist: Beiderseits der Straße Autohäuser und -werkstätten, verklinkerte Häuser mit Häkelgardinen, kurzrasierte Vorgärten und blitzblanke Mittelklassewagen vor der Tür. Doch etwas an dieser fast menschenleeren Vorstadt macht stutzig: Kann an dieser Stelle wirklich die Mauer verlaufen sein?

Wenn man auf der Brücke an der Späthstraße nach Süden schaut, ist der Mauerweg nicht zu übersehen: Fünf Kilometer lang zieht er sich schnurgerade zwischen Autobahnbrücke und Kanal. Nicht nur für Botaniker ist er interessant: Im Sommer blüht die Stadtbrache entlang des Weges üppig und in allen Farben.

Kurz nachdem die Autobahn über den Kanal Richtung Süden abgebogen ist, findet man am Neudecker Weg, vor der Rudower Höhe, Reste der Hinterlandmauer.

Ein paar Meter weiter wird die A 113 für eine Weile unterirdisch und der ehemalige Mauerstreifen zu einem schön gestalteten Landschaftspark.

Östlich des Parks auf der Wegedornstraße kann man in "Jennys Backshop" einkehren. Der Mittagstisch ist günstig und reichhaltig: Es gibt zum Beispiel Hackbraten mit Salzkartoffeln, brauner Soße, Erbsen und Möhren aus dem Glas und Fruchtjoghurt zum Nachtisch für 3,20 Euro.

Vom einstigen Grenzübergang an der Waltersdorfer Chaussee ist nicht mehr viel zu sehen. Er wurde von Westberlinern, Bürgern der Bundesrepublik und Ausländern seit 1963 benutzt, um zum Flughafen Schönefeld zu gelangen.

Vom "Dörferblick", einem künstlichen Berg (86 Meter) aus Trümmern, hat man einen guten Blick ins Umland.

Alle Etappenbeschreibungen erscheinen unter taz.de/mauer

In "Jennys Backshop" am nordwestlichen Rand von Altglienicke weiß man Bescheid. "Nee", sagt die Verkäuferin, "die Mauer war weiter hinten." Sie zeigt auf die andere Straßenseite, in Richtung einer zugewucherten Brache, die in der Tat so aussieht, wie man sich einen seit 20 Jahren in Ruhe gelassenen Grenzstreifen vorstellt. Dort gebe es auch einen sehr schönen Radweg "direkt neben der Autobahn", fügt die hilfsbereite Frau hinzu. Warum der offizielle Mauerweg nicht dort entlangführt, sondern 200 Meter weiter südlich, weiß sie auch nicht. "Das Schöne wird einem doch nie gezeigt", tröstet sie. Ob es dort, wo die Mauer wirklich war, vielleicht noch ein Stück davon zu sehen gebe? Da muss die Bäckerin passen, sie holt Rat bei einem jungen Mann am Nebentisch. "Doch, ja, rechts rum, da hinten am Neudecker Weg, da steht noch was." Seine Hand weist grob in Richtung Autobahn und Teltowkanal.

Ein Trampelpfad führt in eine Wildnis hinein, die Meter um Meter höher und undurchdringlicher wird. Plötzlich öffnet sich das Terrain zu einer gepflegten Parkanlage, der Rasen ist gestutzt, junge Bäume sind in Reih und Glied gepflanzt. Ein neu angelegter Radweg führt nach rechts - und nach wenigen hundert Metern tatsächlich zu einer bald 200 Meter langen Mauer.

Ziemlich niedrig ist sie und ohne den bekannten Wulst oben als Kante. Aber echt muss sie wohl sein, sie ist nämlich eingezäunt - zum Glück! Sonst würde sie gar nicht auffallen, so mickrig, wie sie da steht, keine 15 Meter entfernt von der Autobahnmauer, die auf einmal wieder da ist, riesig und unüberwindlich wie zuvor.

Die echte Mauer immerhin ist durchlässig, eine Lücke in dem zaunbewehrten DDR-Relikt weist den Weg zu einer Bank. Von hier aus hat man einen wunderbaren Blick: auf eine prächtige Blumenwiese vor zwei Mauern.

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