Streik Academy: Die Kollegen sind ängstlich

In Bremen tagte am Wochenende die "Streik Academy". Es galt herauszufinden, wie in den neuen Arbeitsverhältnissen ein Ausstand machbar ist: "Was ist ein Streik?"

Streiken will gelernt sein. Bild: dpa

Ana Hoffner bewegt sich auf allen Vieren. Wie ein wütender Hund beißt die Performerin in die Hosenbeine der Umsitzenden. Im Zuge ihres Reenactments einer Videoperformance von Bruce Naumann aus dem Jahr 1968 kommt es zum Handgemenge, eine Frau fällt vom Stuhl. Auf dem Höhepunkt der Eskalation verlässt die Künstlerin den Raum. Ratlose Gesichter. Was hat das mit Streik zu tun? "Bewegung, privatisiert" lautete der Titel von Hoffners "Übung". In einigen Gesichtern steht das Entsetzen. "Wir hätten sie hochziehen sollen", findet jemand.

Mitten im Niemandsland eines Bremer Industriegebiets, wo die Stadt nichts von der Mitleid erregenden Niedlichkeit hat, die sich der Anreisenden vom Zug aus darstellt, tagen an diesem Wochenende Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen und Aktivisten. Die hiesige Frauenkulturlabor Thealit hat zur "Streik Academy" geladen. Zwischen Greif-zu-Markt und Medienklitschen sollen in den großzügigen Räumen der Galerie Rabus Vorschläge zum Aussetzen der neuen Arbeitsverhältnisse zusammengetragen werden.

Thealit: Seit seiner Gründung 1992 sucht das "Frauen.Kultur.Labor" Thealit mit Veranstaltungen und einer kleinen Schriftenreihe mit Titeln wie "Digitaler Feminismus" nach Kreuzungspunkten künstlerischer und theoretischer Positionen.

"Streik ist das Anhalten von Unaushaltbarem. Er kann zur Durchsetzung von Verbesserungen dienen, auf Alternativen verweisen oder als symbolische Aktion für Öffentlichkeit sorgen. Er ist auf kollektive Organisation angewiesen oder zumindest auf Publizität, wenn man ,alleine streikt'." (Aus dem Programm der Streik Academy)

Streik ist nach deutschem Recht "die gemeinsame, planmäßige, vorübergehende, volle wie teilweise Vorenthaltung der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung durch eine Mehrheit von Arbeitnehmern zur Erreichung eines wirtschaftlichen Ziels". Arbeitsniederlegungen ohne die Unterstützung von Gewerkschaften heißen "wilder Streik". Im übertragenen Sinne wird der Begriff auch für Auseinandersetzung außerhalb von Arbeitsverhältnissen verwendet, wie etwa beim Konsum-, Gebär- oder Hungerstreik. cml

Der Kontext macht die einzelnen Einlassungen produktiv. Denn auf das, was Hoffner vielleicht inszeniert hat, wirft wenig später She She Pop das Licht einer Möglichkeit. Die für hedonistische Publikumsherausforderungen bekannte Performancegruppe verkündet: "Erste und wichtigste Voraussetzung für den Streik ist eine Beziehung zu einer Partei, die durch Erpressung belastet werden kann", und macht sich daran, die Anwesenden probehalber zum Knüpfen einer "Relevanzbeziehung" zu bringen. Der Aufforderung, für einen Popstar-Darsteller die hingebungsvollen Fans zu geben, kommen viele aus dem Publikum nach. Jetzt müssten sie nur noch zubeißen. Trotzdem, wird nachher draußen geraunt, sei der Ertrag nicht so üppig gewesen. Mal sehen, was die Wissenschaft zu bieten hat.

Eine geöffnete Tür neben dem Podium gibt den Blick auf eine Werkzeugwand frei, wie mahnend präsentieren sich da Hammer und Schraubenzieher fein säuberlich aufgehängt, während die Sozialwissenschaftlerin Efthimia Panagiotidis erst mal von ihrer Erschöpfung berichtet. Seit kurzem hat sie eine halbe Stelle als Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Uni Hamburg, muss dafür vier Seminare bestreiten, die abzuhalten allein schon acht Stunden in Anspruch nimmt, für einen Hungerlohn. Nebenbei ist sie noch aufgefordert, ihren "Master of Higher Education" zu machen, mit dem neuerdings der universitäre Mittelbau auf Effizienz getrimmt wird. Das Lernen übers Lehren sei ihr allerdings auch eine Hilfe.

"Was ist ein Streik?", diese Frage bewege auch das Netzwerk Euromayday Hamburg, dem sie angehört, sagt Panagiotidis. Aber zuvor gelte es erst mal, "den Faktor Subjektivität verhandelbar zu machen", sich die unterschiedlichen Weisen anzusehen, "wie Prekäre ihren Alltag bestreiten". Dazu gehöre auch, dass manch eine scheinbare Zumutung der neuen Arbeitsverhältnisse als Zugewinn empfunden wird.

Wie man denn von der Subjektivität zum politischen Subjekt kommen könnte, will einer der Zuhörer wissen. "Das kann ich dir nicht beantworten, es sei denn, du tust heute etwas mit mir", entgegnet die Rednerin sibyllinisch. Der Falle, einer Gruppe von Leuten Handlungsfähigkeit anzudichten, einfach indem man eine gemeinsame soziale Lage behauptet, will das Bremer Mayday-Bündnis durch aktivierende Untersuchungen begegnen. "Das ist angelehnt an das Konzept der militanten Untersuchung, ich weiß nicht, ob ihr das kennt", versucht eine Aktivistin zu erläutern. Jedenfalls hat das Bündnis auf der Bremer Parade am 1. Mai verschiedene Flüchtlinge, die in irregulären Arbeitsverhältnissen stecken, vom Lautsprecherwagen herab über ihre spezielle Situation berichten lassen.

Arbeiten Künstler etwa?

Der fiktive Entwurf eines politischen Subjekts wiederum ist der Gruppe La Cumpanei Ausgangspunkt für das kabarettistische Theaterstück "Die lange Nacht der Illuminationstheorie". Im kurzerhand zur Bühne umfunktionierten größeren Nebenraum lassen die drei Frauen die hektische Situation entstehen, die sich im Büro einer Event-Agentur herstellt, wenn auf einen Schlag alle Künstler die geplante Großveranstaltung bestreiken. Die Suche nach einem Ausweg mündet in den Beschluss der Organisatorinnen, das Event einfach umzubenennen in "Die Stadt der streikenden Künstler". Gefahr! Vereinnahmung! Geritzt. Aber wem leuchtet schon ein Kunststreik ein. Arbeiten Künstler etwa? Die eine oder andere Zuschauerin blickt etwas enttäuscht drein ob so viel Schlichtheit.

Komplexer stellt es sich im Konkreten dar: Zwei Angehörige des Scheißstreikkomitees schildern sehr anschaulich ihre Versuche, mit den 600 Mitarbeitern, vor allem Festangestellen, von Ambulante Dienste e.V. in Berlin zum kollektiven Widerstand zu kommen - gegen Lohnkürzungen, mit denen die Geschäftsführung 2007 aufwartete. Eine große Rolle beim Abdrängen des Pflegebereichs in den Niedriglohnsektor spiele die Novellierung des Pflegeversicherungsgesetzes von 1994. "Das ist extrem abstrakt: Wer ist eigentlich zuständig für unsere Löhne?"

Hinausgelaufen sind die Versuche auf die Kampagne, via Internet alle möglichen Aufgebrachten zur Einsendung von Kotproben zu bewegen, und zwar an nach eigenem Gutdünken ausgewählte Verantwortliche. Durch diesen Kniff haben die bloß symbolisch Streikenden im Grunde ihre Lohnfrage zu einer der gesamten Gesellschaft gemacht. Doch bis zu dem Publikumsliebling, der ihre Kampagne wurde, war es ein langer Weg.

Klassischer Streik? Ging nicht, weil ihr Betrieb nicht tarifgebunden ist und es keinen Arbeitgeberverband gibt. "Wieso kein wilder Streik?", will jemand wissen. Zu teuer für die Angestellten und zu gefährlich. "Das führt zu verhaltensbedingten Kündigungen", bremst Kampagnen-Sprecher Muchtar Cheik-Dib den Tatendrang der vielen, die im Rahmen ihrer Wortbeiträge über die eigenen Arbeitsverhältnisse schimpfen. Den Pflegekräften blieben kollektive Klagen gegen die Auflösungsverträge vorm Arbeitsgericht. Doch da war das Gros der Kollegen zu ängstlich.

Er wolle da, sagt Cheik-Dib, gar nicht moralisieren. 80 Prozent aller Arbeitnehmer, sagt er, steckten nicht mehr in Arbeitsverhältnissen, in denen sie das grundgesetzlich verbürgte Streikrecht wahrnehmen können. "Die haben uns den Boden unter den Füßen weggezogen. Es sind ganz konkrete Kämpfe verloren worden." Eine Zuhörerin hält es dagegen für "eine Frage für Ideengeschichtler, warum die Leute nicht mal mehr ihre Rechte vorm Arbeitsgericht wahrnehmen". Viele Diskutanten pflichten ihr bei und wollen den Hebel bei der Politisierung ansetzen.

Emmelys Streik

Auf welchen Hund der gute alte gewerkschaftlich organisierte Streik gekommen ist, zeigt Barbara Schönafingers Dokumentarfilm "Ende der Vertretung - Emmely und der Streik im Einzelhandel" (2009). Mit großer Parteinahme für die waghalsigsten unter den Verkäuferinnen (ein Großteil beteiligte sich nicht an den Aktionen), macht sie die Gewerkschaft für den miesen Abschluss im letzten Jahr verantwortlich. Nachdrücklich treten die Bilder den Beweis an, dass eine windelweiche Ver.di immer dann zur nächsten Pause gerufen hat, wenn die Entschlossenheit der Streikenden und ihre Verhandlungsmacht am größten gewesen ist.

Das möchte ein gewerkschaftskritischer IG-Metaller, seinem Aussehen und Auftreten nach seit 40 Jahren im Geschäft, so nicht stehen lassen: "Ver.di war nie eine Kampfgewerkschaft", gibt er zu. "Aber die Arbeitnehmer, die sie vertreten, waren auch nie besonders kämpferisch." Und: "Wir dürfen uns, das hat der Film auch gezeigt, in unserem Kampf gegen diese Unternehmergesellschaft nichts vormachen über die Kräfteverhältnisse." Das ist doch mal ein Wort.

Vorerst entlassen in einen gnädig sonnigen Bremer Abend, sehnen die meisten nur noch das angekündigte Konzert herbei. Bestritten wird es von Bernadette La Hengst, die sich mit Christiane Rösinger den Rang der Chefbardin fürs bohemistische Prekariat teilt. Ihr Song "Nie mehr vor Mittag aufstehen" klingt noch viel hymnischer als sonst.

Die nur symbolisch Streikenden haben ihre Lohnfrage zu einer der gesamten Gesellschaft gemacht

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