die wahrheit: Thriller im Altenheim

"Das Leben ist wie der Tod - nur abwechslungsreicher", verkündet Christian Stelzer, Cheforganisator der Michael-Jackson-Tribute-Show in der Seniorentagesstätte Drangsal....

in der Lüneburger Heide während einer Umbaupause. Nachdem er einen Blick in den kaum gefüllten "Raum der Begegnung" geworfen hat, ergänzt er: "Insofern hätte Michael hier gut hineingepasst."

Schon seit neun Uhr morgens treten auf der improvisierten Showbühne Akteure aus der gesamten Region auf, um den King of Pop aus Anlass seines Geburtstags zu huldigen. Den Anfang machte der heimische Shanty-Chor "Die Bluse von Mireille Matthieu" mit "Wanna be startin somethin ", das sie auf Deutsch mit den Worten "Wie soll man sich in der Welt zurechtfinden, wenn alles mit Sachen vollsteht" vortrugen. Beeindruckend dabei ihre Choreografie "Landgang", mit der sie eine ganz eigene Version des Moonwalks zeigten.

Es folgte das aus Mitgliedern des Pflegepersonals zusammengestellte "Hans-Küng-Terzett der guten Laune" mit "Dirty Diana" ("Im Süden deiner Haut habe ich mein Herz auf Sand gebaut") sowie die Notärzte-Combo "Dostojewski Rhythm Kings" mit "Heal the world" ("Das Leben ist eine Ansammlung von Taschenkrebsen").

Anschließend lobte Peter Lüng, Vorsitzender der hiesigen Landjugend, Michael Jackson in einer improvisierten Rede für seine stilistische Leichtigkeit, intellektuelle Luzidität und philosophische Anschaulichkeit. Danach intonierte er gemeinsam mit den Landfrauen der Gemeinde "Man in the mirror" ("Die Welt als Willies Vorstellung").

Kurz vor der Mittagspause trug Bürgermeister Grindhuber in einer Würdigung Michael Jacksons seine sehr eigene Interpretation von "Bad" vor: "O Tal, so paradiesisch schön / dich hat Natur mit Zauberreiz geschmücket / durch dich wird mancher Wanderer beglücket / und mancher froher Musensohn entzücket / auf deinen unbegrenzten Höhn." Danach wurden die Rollstühle der Seniorenheim-Bewohner entkeilt und die Zuhörer in den Speisesaal gebracht.

Nach der Pause begeisterte die dorfeigene Country-Band "Konrad Adenauer und die Pepita-Hütchen" mit "Dont stop til you get enough" ("Von weitem wirkt es wie ein Pferd, von nahem wie ein Halfter"), bevor der Kinderchor "Uschi und ihre Naschkatzen" sein "You are not alone" ("Ich kann auch alleine einsam sein") vortrug.

"Wir vertragen das Pathetische nur in der Kunst, der lebende Mensch soll schlicht und nicht zu laut sein", erläutert Organisator Stelzer sein Konzept, das den Zuschauern allzu intensive Beifallskundgebungen sowie Mitklatschen und Tanzen verbietet, während ungeduldige Zuhörer der Seniorentagesstätte, der Darbietungen müde, lautstark den "Schneewalzer" und den Musicalhit "Memories" fordern.

Stattdessen präsentiert nun aber die "Arbeitsgemeinschaft Hip-Hop-Musik" des Jugend-Blasorchester der Gemeinde Drangsal die Gruppe Schund (Motto: "Schund ist überall") mit ihrer Version des Songs "In the closet" unter dem Titel "Größter Motherfucker im Land".

Danach geht es wieder etwas besinnlicher zu, als Dorfpastor Wolfgang Richter mit dem "Earth song" ("Tulpen der Macht") für die erwünschte meditative Ruhe sorgt. Mit "Rock with you" ("Gottes Wünsche an mich sind der Schatten meines Lebens") beendet er seinen ergötzlichen Vortrag.

"Die Leute achten zu sehr auf witzige Accessoires", erklärt Cheforganisator Stelzer, während Mitglieder des "VW-Golf-Clubs Drangsal" bestückt mit Original-Golf-I-Radkappen die Bühne erklimmen und ihr "Handtellergroße Fremdfelgen stapeln" ("I just cant stop loving you") darbieten. Es folgen noch "Beat it!" ("Tretroller zu Tortenböden!") und "Billie Jean" ("Das Leben ist wie der durchschnittliche Benzinverbrauch").

Den grandiosen Abschluss setzt dann Manfred Würmer auf seinem Akkordeon mit einem Potpourri aus "Stranger in Moscow" ("Ich will nichts sein als eine Zahnbürste am Zahn der Zeit."), "Black or white" ("Meine gespaltene Persönlichkeit sagt Ja und Nein") und selbstverständlich "Thriller" ("Die Gewohnheit der Gewächshäuser").

"Auch wenn kaum einer da war und die Anwesenden nur vereinzelt etwas hören konnten, insgesamt eine würdige Veranstaltung für den ersten Geburtstag des toten Michael Jackson", zieht Stelzer am Abend befriedigt Bilanz. Im nächsten Jahr soll es dann eine Wiederholung der Feier geben, "wenn bis dahin nicht ein anderer Prominenter stirbt".

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