: Globaler Kampf um Zucker
VON DANIELA WEINGÄRTNER
„Man kann die verheerende Wirkung gar nicht hoch genug einschätzen“, sagt Clement Rohee, Guyanas Minister für Außenhandel. Sein Land gehört zur Gruppe afrikanisch-karibisch-pazifischer Staaten, zu den so genannten AKP-Ländern. Diesen 79 Ländern von Angola über Mauritius bis Simbabwe gewährt die EU erleichterten Zugang zu ihrem Binnenmarkt. Auch sie erhielten bislang für eine Einfuhrmenge von insgesamt 1,3 Millionen Tonnen Zucker jährlich den gestützten EU-Preis von 524 Euro pro Tonne, der dreimal so hoch wie der Weltmarktpreis liegt.
Die Organisationen, die sich für fairen Handel einsetzen, sind in einer schizophrenen Lage. Wenn sie fordern, den europäischen Agrarmarkt zu öffnen und die Subventionen für europäische Bauern zu streichen, treffen sie gleichzeitig einige der ärmsten Länder und den Musterschüler Mauritius. „Es gibt keinen besseren Mechanismus für Entwicklung durch Handel als das Zuckerprotokoll“, sagt Avin Boolell, der Landwirtschaftsminister von Mauritius, der die Interessen der AKP-Zuckergruppe in Brüssel vertritt. Sein Land hat sich 40 Prozent der Zuckerquote gesichert, vor dreißig Jahren, als der Weltmarktpreis deutlich höher lag als der EU-Binnenpreis. Damals bot die EU den Zuckerimporteuren langfristige Abnahmegarantien an – nicht aus Nächstenliebe, sondern um die eigene Zuckerversorgung sicherzustellen.
Weil Mauritius ganz auf die europäische Karte setzte, ist die wohlhabende kleine Insel schlimmer von der Reform betroffen als die anderen AKP-Länder. Natürlich kündigt sich das Ende des Geldsegens schon lange an. Seit der Weltmarktpreis für Zucker sinkt, wollen alle lieber an die EU verkaufen. Nach der Erweiterung kam die polnische Rübenproduktion noch dazu. Im vergangenen Jahr musste die EU 4 Millionen Tonnen ihres teuren Zuckers auf dem Weltmarkt verschleudern.
Thailand, Australien und Brasilien haben vor der WTO dagegen geklagt, dass die EU subventionierte Überschüsse aus dem Quotenzucker auf den Weltmarkt wirft. Die Welthandelsorganisation hat der Klage stattgegeben, aber nicht gesagt, auf welches Niveau die EU ihre Binnenpreise senken muss.
Zucker in den Staubsauger
Parallel zum Zuckerstreit laufen die Verhandlungen für die neue Welthandelsrunde. Die EU hat angeboten, den Markt für alle Agrarprodukte zu öffnen und die Zölle um durchschnittlich 60 Prozent zu senken. Die ärmsten Länder sollen gar keine Zölle mehr zahlen. Im Gegenzug verlangt Brüssel, dass die Schwellenländer ihre Märkte für europäische Waren und Dienstleistungen öffnen. Die AKP-Staaten hätten davon nur Nachteile. Sie zahlen schon jetzt keine Zölle für ihre Zuckerimporte in die EU. Werden aber die Einfuhrzölle für alle drastisch gesenkt, müssen auch die künstlichen Binnenpreise runter, sonst entsteht ein Staubsaugereffekt. Wer würde seinen Zucker noch auf dem Weltmarkt anbieten, wenn er in der EU den dreifachen Preis erzielen könnte?
Inzwischen produziert Brasilien Zuckerrohr auf riesigen Flächen zu deutlich günstigeren Herstellungskosten, als sie in Mauritius oder bei den Rübenbauern der EU möglich sind. Zum Vergleich: Während Mauritius auf 72.000 Hektar Land Zuckerrohr anbaut, sind es in Brasilien 90 Millionen Hektar. Unter dem gestiegenen Ölpreis leiden alle gleich. Aber die Lohnkosten sind in Europa und Mauritius viel höher als in Brasilien. Außerdem werden für die kleinteiligen Felder auf der Insel im Indischen Ozean mehr Arbeiter gebraucht.
Bisher ist Mauritius mit den Herausforderungen der Gloabalisierung ganz gut zurechtgekommen. Im Bertelsmann-Transformation-Index für 2006 belegt es den Spitzenplatz als am besten regiertes Entwicklungsland. Um die Abhängigkeit von Zuckerexporten zu mindern, werden der Tourismus und die IT-Branche ausgebaut. Eine moderne Ethanolfabrik soll ab Ende 2006 Industriealkohol und Biotreibstoff aus Zuckerrohr herstellen. Doch auch der hier erwartete Erlös wirkt angesichts einer Produktionsmenge von 27 Milliarden Litern in Brasilien und 14 Milliarden Litern in den USA wie ein Tropfen auf den heißen Stein.
Zucker für Coca-Cola
Die EU will 40 Millionen Euro an Übergangshilfen für das erste Jahr bereitstellen – für alle AKP-Staaten zusammen. In Mauritius kostet allein die Modernisierung der Zuckerindustrie 640 Millionen Euro. Deshalb fordert Landwirtschaftsminister Boolell als Sprecher der AKP-Zuckerimportländer 800 Millionen Euro Übergangshilfen, verteilt auf vier Jahre. Außerdem dürfe der Zuckerpreis um höchstens 25 Prozent sinken und die Übergangszeit müsse deutlich länger ausfallen.
Gegen Letzteres hätten auch die Rübenbauern in der EU nichts einzuwenden. Für sie allerdings wird es im Vergleich zu den AKP-Bauern großzügige Übergangshilfen geben. Das führt dazu, dass die Marktliberalisierung für die EU zunächst einmal ziemlich teuer wird. Denn den überhöhten Zuckerpreis zahlen ja bislang die Verbraucher. Während diese künftig bei der Cola oder der Frühstücksmarmelade Centbeträge einsparen, schlägt die Zuckermarktreform im EU-Budget mit mindestens 6 Milliarden Euro zu Buche. Geld, das dann an anderer Stelle fehlt.
Es wäre also nicht nur für Mauritius sondern auch für Swasiland, Mosambik, Irland oder die Jülicher Börde viel besser, wenn alles so bliebe, wie es jetzt ist. Entwicklungspolitisch betrachtet wäre es sogar noch besser, wenn die armen Länder weiter zu Vorzugspreisen in die Europäische Union importieren dürften und die Privilegien nur für die Wohlhabenden gestrichen würden. Was aber würde der französische Rübenbauer dazu sagen? Und wie würden Brasilien und Thailand, die sich ja auf dem Zuckermarkt ohne Subventionen behaupten müssen, diese Entscheidung aufnehmen?
Die Welthandelsrunde, das ist klar, wäre damit geplatzt. Der Zuckerpreis würde wohl weltweit steigen. Analysten raten ihren Kunden jetzt schon, statt in Gold, Öl oder Kaffee doch mal in „weißes Gold“ zu investieren. Der gestiegene Ölpreis wirkt gleich doppelt preistreibend. Zunächst verteuert er die Zuckerproduktion für alle und damit den Weltpreis. Gleichzeitig steigert er den Anreiz, in die Ethanolproduktion zu investieren. Verstromter Zucker steht dem Markt nicht mehr zur Verfügung, ein knapperes Angebot und höhere Preise sind die Folge.
Ein Sack Zucker fällt um
„Wen interessiert es schon, wenn in Mosambik ein Sack Zucker umfällt?“ Dieser alte Spruch ist im Zeitalter der Globalisierung überholt. Die Märkte sind so nah zusammengerückt, dass völlig neue Wechselwirkungen entstehen. Natürlich kann die EU wie bislang mit Abschottung darauf reagieren. Sie muss dann aber hinnehmen, dass die Schwellenländer ihrerseits die Märkte für Industrieprodukte und Dienstleistungen mit hohen Zöllen dichtmachen. Fairer Handel könnte weiterhin nur im kleinsten Kreis stattfinden, da er sonst auf dem hoch subventionierten EU-Niveau unbezahlbar wäre. Einen Königsweg aus diesem Dilemma gibt es nicht. Sicher ist nur, dass sich alle Interessengruppen von lieb gewordenen Gewohnheiten verabschieden müssen – Wandel durch Handel eben.