Minarettverbot in der Schweiz: Nicht die Feministinnen waren schuld
Eine Analyse der Schweizer Volksabstimmung zum Minarettverbot widerlegt gängige Thesen: Ausschlaggebend für die Mehrheit war die politische Mitte.
GENF taz | Haben islamkritische Feministinnen und Frauen aus dem linken Lager bei der Schweizer Volksabstimmung über ein Minarettverbot Ende November letzten Jahres in signifikanter Anzahl mit "Ja" gestimmt? Gaben sie gar den Ausschlag für die mehrheitliche Annahme des Minarettverbot, von der fast alle BeobachterInnen völlig überrascht wurden?
Für diese inzwischen weitverbreitete und auch in der taz sehr kontrovers diskutierte These gibt es keinen Beleg. Zu diesem Ergebnis kommt die am Montag veröffentlichte Vox-Analyse, die nach Wahlen und Abstimmungen in der Schweiz jeweils gemeinsam vom sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut Gfs in Bern und der dortigen Universität erstellt wird.
Für die Analyse der Abstimmung zum Minarettverbot wurden 1.008 Personen befragt. Bei linken Frauen erhielt das Verbot eine Unterstützung von lediglich 16 Prozent. Bei linken Männern waren es mit 21 Prozent etwas mehr. Im rechten politischen Lager legten 87 Prozent der Frauen und 71 Prozent der Männer ein Ja in die Urne.
Ursprünglich in die Welt gesetzt wurde die These von einer deutlichen Zustimmung islamkritischer Feministinnen und linker Frauen von den beiden PolitologInnen Michael Hermann und Regula Stämpfli. Hermann hatte in mehreren Interviews und Analysen für den Zürcher Tagesanzeiger und andere Medien unter anderem erklärt: "Das deutliche Ja zum Minarettverbot ist nur zustande gekommen, weil auch linke Frauen zustimmten, die ein Zeichen setzen wollten gegen eine Kultur, die sie als autoritär, machohaft und aggressiv empfinden."
Über Stämpfli hatte die Schweizer Depeschenagentur SDA nach einem Interview geschrieben, die Politologin sei "überzeugt, dass viele Frauen auch von links und mit feministischer Gesinnung, mit ihrer Ja-Stimme ein Zeichen setzen wollten". Diese Einschätzung habe Stämpfli "veranschaulicht anhand der Aktion der Autorin und Feministin Julia Onken, die im Vorfeld der Abstimmung rund 4.000 Mails verschickte, in denen sie Frauen dazu ermutigte, für ein Minarett-Verbot zu stimmen". Weiter hieß es in der von zahlreichen Medien verbreiteten SDA-Meldung vom 30. November: "Auch die Doppelmoral der Initianten der Minarett-Verbotsinitiative SVP und EDU, die in ihren Parteiprogrammen ein rückständiges Frauenbild propagierten, hätte die Feministinnen nicht zu einem Meinungsumschwung motiviert, hielt Stämpfli fest."
Nach der Veröffentlichung der Vox-Analyse dementierte Stämpfli am Montag die fast zwei Monate alte SDA-Meldung. "Die These von der islamkritischen linken Frau habe ich so nie vertreten, sondern sie wurde mir in den Mund gelegt", erklärte die Politologin in einem Interview mit dem Tagesanzeiger. Es habe für diese These "keine empirische Grundlage gegeben". Die SDA sieht allerdings keinen Anlass, ihre Meldung zu korrigieren. Ein Tonmitschnitt des Gesprächs mit Stämpfli vom 30. November existiert nicht. Hermann äußerte sich zunächst nicht zu den Ergebnissen der Vox-Analyse.
Ausschlaggebend für die Annahme der Initiative für ein Minarettverbot war laut der Analyse die politische Mitte. Während das linke politische Lager die Initiative mit über 80 Prozent Nein-Stimmen deutlich ablehnte und die Rechte ihr fast ebenso klar zustimmte, unterstützte die politische Mitte das Minarettverbot im Verhältnis zwei zu eins. Sie verhielt sich damit grundsätzlich anders als bei früheren Abstimmungen zu vergleichbaren Themen.
Bestätigt wurde durch die Vox-Analyse die Einschätzung, dass für die meisten Abstimmenden nicht konkrete Erfahrungen oder Probleme mit den rund 400.000 MuslimInnen in der Schweiz – die hier besser integriert und weniger "auffällig" sind, als in anderen europäischen Ländern – ein Rolle spielten, sondern die Situation und Konflikte in anderen Ländern.
Etwa jeder sechste Befürworter begründete sein "Ja" zum Verbot als Reaktion auf die Diskriminierung der christlichen Kirchen in islamisch geprägten Ländern. Am häufigsten wurde die Absicht genannt, ein Zeichen "gegen die Ausbreitung des Islam" und des von ihm propgierten Gesellschaftsmodells setzen zu wollen. Konkrete Kritik an den in der Schweiz lebenden MuslimInnen nannten nur 15 Prozent der Ja-Stimmenden als Motiv für ihre Entscheidung. 64 Prozent aller Befragten erklärten, sie seien voll oder zumindest ziemlich überzeugt davon, daß sich die schweizerische und die islamische Lebensweise gut vertragen würden. Allerdings stimmten auch 49 Prozent derjenigen, die von einer sehr guten Verträglichkeit ausgehen, für das Minarettverbot.
Schließlich zeigt die Vox-Analyse, daß die klare Ablehnung eines Minarettverbots durch die Leitungsgremien der christlichen Kirchen in der Schweiz an der Basis nicht überzeugt hat: sowohl protestantisch- reformierte wie katholische ChristInnen votierten zu rund 60 Prozent für ein Minarettverbot.
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