Kritik an Islamkritikern: Die Freiheit der Anderen

In der Debatte um Islam und Islamismus versuchen urdeutsche Feuilletonisten drei Einwandererkindern das Wort zu verbieten. Doch die Diskussion braucht beide Seiten.

Henryk M. Broder: "Ates, Kelek und ich sind keine ,Beutedeutschen'". Bild: dpa

BERLIN taz | Der Pranger war im Mittelalter ein Schandpfahl, an dem Verbrecher öffentlich zur Schau gestellt wurden. Das Volk konnte den Missetäter anglotzen, mit faulem Essen bewerfen und beschimpfen. Heute ist der Pranger ein medialer, und eine Straftat muss niemand mehr begehen. Es reichen Zeitungsseiten aus, um vorgeführt zu werden - und momentan geschieht dies im deutschen Feuilleton. Am Pranger stehen ein polnischer Jude, eine türkische und eine türkisch-kurdische Muslimin. Journalisten haben in den letzten Wochen in einem Artikelschwarm den Publizisten Henryk M. Broder, die Juristin Seyran Ates und die Soziologin Necla Kelek angegriffen - alle sind sie hauptberuflich Islamkritiker. Und meist reichten den Zeitungsmachern ein paar Zitate, um zu belegen, dass die drei "Hassprediger" seien.

Bei der Auseinandersetzung wurde schnell klar, dass es nicht um den Islam geht, sondern um die Frage, wer überhaupt diskutieren darf. Auf der einen Seite stehen urdeutsche Feuilletonredakteure, die dem Trio am liebsten ganz das Wort entziehen würden. Auf der anderen Seite stehen Polemiker mit Migrationshintergrund, die sich für ihr Dasein und ihre politische Einmischung ins deutsche Feuilleton rechtfertigen sollen. Grund: Sie seien zu pathetisch, zu rigoros, zu wenig differenziert. Also: Mund halten!

Richtig ist, dass alle drei den Grenzgang pflegen, Skandale zu inszenieren versuchen und sich selbst vermarkten. Seyran Ates scheiterte in ihrem letzten Buch, "Der Islam braucht eine sexuelle Revolution", mit einer krampfhaften Provokation. Necla Kelek erweckt in ihrem im März erscheinenden Werk "Himmelsreise: Mein Streit mit den Wächtern des Islam" den Anschein, als führe sie den Kampf mit der von ihr kritisierten Religion ganz allein. Und wenn Henryk M. Broder fordert, die "Islamkritik" müsse ihre Kritiker "mit der Axt ins Bad" treiben, so bewegt er sich auf dem Niveau derer, die er anprangert.

Doch auch wenn die Umgangsformen von Broder, Ates und Kelek nicht die besten sein mögen - die Debatte über den Islam braucht die drei. Denn sie argumentieren aus einer Haltung heraus, die sonst in der Diskussion komplett fehlen würde: die Haltung von Menschen, die um ihre Freiheit erst ringen mussten. Sie haben sich freigekämpft und einen nicht selbstverständlichen Platz in der Gesellschaft besetzt. Dementsprechend polemisch suchen sie die Öffentlichkeit, nehmen politisch Stellung. Sie formulieren Sätze wie Ohrfeigen. Prangern eine elitäre, weiße Parallelgesellschaft an, die auf Multikulti schwört, gerne exotisch essen geht, aber in ethnisch reinen Wohngebieten lebt.

Wer die drei verstehen will, der muss zurückblicken. Henryk M. Broder, 1946 als Sohn zweier Holocaust-Überlebender in Polen geboren, kam 1958 mit seinen Eltern nach Deutschland. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Seine Eltern bezeichnete er als "KZ-Krüppel, die schon ausrasteten, wenn ich eine Stunde zu spät nach Hause kam."

Necla Kelek zog 1968 im Alter von neun Jahren mit ihren Eltern aus der Türkei hierher. Sie schilderte einst, der Vater habe ihr die Teilnahme am Schulsport zum Schutze ihrer Jungfräulichkeit verboten. "Der Platz auf der Ersatzbank entsprach so ganz meinem damaligem Lebensgefühl", blickt sie zurück. "Ich selbst musste mir meine Freiheit nehmen, sonst hätte ich sie nicht bekommen," sagt sie.

Im Alter von sechs Jahren kam Seyran Ates 1969 nach Berlin, wo sie mit ihren Eltern und vier Geschwistern in einer Einzimmerwohnung aufwuchs. Gegen den Widerstand ihres Vaters machte sie Abitur, riss mit siebzehn von zu Hause aus, begann ein Jurastudium und arbeitete nebenher in dem Frauenladen, in dem sie 1984 von einem türkischen Nationalisten niedergeschossen wurde.

Darf man ihnen nach diesen Erfahrungen das Recht auf polemische Reflexion absprechen? Und wenn ja, auf welche Weise geschieht dies? In der Süddeutschen Zeitung wurde Necla Kelek als eine denunziert, die Menschenrechte so fanatisch verteidige wie strenggläubige Muslime den Koran. Rechtfertigt ihr Leben das nicht?

Vor allem Necla Kelek und Seyran Ates verteidigen unsere Werte - Demokratie, Gleichberechtigung und die Achtung der Menschenrechte -, die sie sich so vehement erkämpfen mussten. Die meisten von uns genießen die von unseren Vorfahren erkämpften Rechte auf selbstverständliche und, wie die Ignoranz gegenüber den Lebensläufen zeigt, auch gedankenlose Weise.

Man muss die Meinungen von Henryk M. Broder, Seyran Ates und Necla Kelek nicht teilen - vieles ist maßlos und selbstgerecht. Aber wenn wir ihnen einen Maulkorb aufsetzen, wird die Debatte nur noch von urdeutschen Intellektuellen geführt. Da kann man nur sagen: "Hurra, wir kapitulieren"!

Berichtigung

Auf taz.de war unter der Überschrift "Die Freiheit der Anderen" über den Publizisten Henryk M. Broder zu lesen, dieser fordere, "die 'Islamkritik' müsse ihre Kritiker 'mit der Axt ins Bad' treiben". Diese Aussage hat jedoch Broder nicht getroffen. Wir bedauern den Fehler.

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