Am Nagel der Welt - New York: Die Welthauptstadt makelloser Nägel

Die Koreanerin Jihee Kim hat den ersten und einzigen 24-Stunden-Salon der Stadt eröffnet. Nirgendwo auf der Welt gehören perfekte gestylte und bemalte Fingernägel so zum gepflegten Erscheinungsbild wie in den USA

Der King of Pop auf dem Nagel, New York Bild: Stefan Falke/stefanfalke.com

Die Uhr am Campanile des Metropolitan Life Buildings zeigt 5:15. Die angestrahlte Spitze des Turms leuchtet immer goldener aus dem schon fast schwarzen Winterhimmel über New York. Unten auf der Madison Avenue Ecke 28. Straße glimmt das ewige Kunstlicht des Hair Twenty-Four Salon aus großen Fenstern in den Abend, angefacht von tausend Spiegeln. Eine Welle parfümierter Wärme schlägt einem beim Betreten des Ladens entgegen. Zu dieser Stunde wollen die meisten Frauen eine Maniküre und Pediküre, zu der auch eine Hand- und Fußmassage gehört.

An fünf kleinen, mit violetten Orchideen dekorierten Tischchen überlassen die Kundinnen ihre Hände mit passiver, unweigerlich herablassend wirkender Geste den schweigenden koreanischen Mädchen zur Maniküre. Eine junge Frau hat sich nach ihrem langen Arbeitstag auf einem der dick gepolsterten Pediküresessel ausgestreckt und lässt sich die Fußnägel burgunderrot lackieren, wie jeden Donnerstag. Zur Maniküre kommt Lidsay Arthurs, die nur ein paar Straßen weiter wohnt, sogar oft zweimal pro Woche: "Ich mache Marketing für eine Wodkafirma und serviere gelegentlich auch Martinis, da müssen die Hände gut aussehen", erklärt sie. Nirgendwo auf der Welt gehören perfekt gefeilte und lackierte Fingernägel so zum gepflegten Erscheinungsbild wie in den USA.

In Seoul erlangte Jihee Kim vor 14 Jahren mit ihren rund um die Uhr geöffneten Haar- und Nagelsalon sofortigen Ruhm, doch sie träumte immer nur von Manhattan, der Welthauptstadt der makellosen Nägel: "Ich war schon immer ehrgeizig", sagt sie. Vor fünf Jahren übergab sie ihr florierendes Geschäft einer vertrauenswürdigen Managerin und zog nach New York. Jihee, die sich als unglückliches Adoptivkind schon früh in die Glamourwelt von Hair & Make-up flüchtete, studierte Kosmetik an einem bekannten Institut an der Fifth Avenue. In jeder freien Minute durchstreifte sie Manhattan auf der Suche nach einem geeigneten Standort für den ersten und bisher einzigen 24-Stunden-Salon in New York. Die Gegend zwischen Bügeleisenhaus und Grand Central Station erschien ihr ideal: stattliche alte Gebäude, gediegene Büros, gehobene Hotels, gute Verkehrsverbindungen, elegante Geschäfte und Restaurants. Die teuere Lage war auch aus Sicherheitsgründen unvermeidlich: "Hier arbeiten nur Frauen, mitten in der Nacht, allein - an der Madison Avenue brauchen wir keinen Wachposten", erklärt Jihee, die sich gleich nach ihrer Ankunft in Amerika von einer Nachbarin Jenny taufen ließ. Ihrem koreanischen Namen trauert sie ebenso wenig hinterher wie ihrer Heimat.

Hair Twenty-Four eröffnete im Juli 2008 - und lief. Im August ging die Wirtschaft unter, und Jenny wartete angstvoll auf Kundschaft in ihrem Spiegelkabinett, das fast ihr ganzes Vermögen verschlungen hatte. Doch Verlass ist auf die Nachtschwärmer: von Jet Lag geplagte Touristen, Frauen auf dem Weg zum Flughafen, chronisch Schlaflose, von Sorgen Getriebene. Jenny lud ein zu "Hair Partys" - eine Gruppe von Freundinnen lässt sich bei Wein und Take-away-Snacks Strähnchen, Haarkuren, Fußpflege und andere zeitraubende Verschönerungen angedeihen. Zwischen eins und drei ist es eher still, und dann ruht sich Jenny manchmal in einem kleinen Schlafzimmer über dem Salon aus, mehr als vier Stunden Schlaf braucht sie nicht. Gegen drei kommen die Kundinnen, die in einem verwöhnten Dämmerzustand das ganze Programm absolvieren wollen: Massage, Facial, Mani/Pedi, Brasilianisches Bikini-Waxing, Augenbrauenzupfen. Und schon kommt das Morgengrauen: "Die Nacht geht so viel schneller um als der Tag", meint Leah alias Heasang Yoo, die aristokratisch anmutende Managerin des Salons. "Wir essen zusammen und reden, wir sind eine Familie."

Schönheitssalon von Kim Jihee in Manhattan Bild: Stefan Falke/stefanfalke.com

Tatsächlich haben die Frauen, die in den rund 2.000 koreanischen Nagelstudios von New York arbeiten, ein einzigartig enges soziales Netzwerk entwickelt: In keiner anderen Immigrantennische sind Männer so abwesend wie in der Nagelbranche - traditionelle Geschlechterrollen machen es ihnen unmöglich, die größtenteils weibliche Kundschaft auf eine Weise zu bedienen, die unter anderem das degradierende Berühren der Füße verlangt. Und im Unterschied zur New Yorker Textilindustrie, deren Niedergang in den 80er-Jahren zur Abwanderung koreanischer Näherinnen in das neue Feld der Hand- und Fußpflege führte, sind die Besitzer der Kleinunternehmen auch in der Mehrheit Frauen. So viel Unabhängigkeit hat auch das Verhältnis zu Männern verändert: Jenny ist in zweiter Ehe mit einem Amerikaner deutsch-polnischer Abstammung verheiratet. "Er ist 16 Jahre jünger als ich - wenn ich sage, komm her, dann kommt er." Sie krümmt ihren Zeigefinger und lacht und lacht. Seit Oktober hat Jenny mit dem leichten ökonomischen Aufschwung mehr Kundschaft und kann ihre 27 Angestellten aus allen Teilen der Welt - von Tibet über Mexiko bis China - leichteren Herzens beschäftigen.

Flat Iron District

Lage: New York hat sich von der Insel Manhattan aus verbreitet, die heute sein Zentrum ist. Das Rechteck zwischen 34. Straße im Norden, 14. Straße im Süden, Park Avenue im Osten und der 6. Avenue im Westen. Die Gegend wird auch "Midtown South" genannt. Die Madison Avenue beginnt am Südende des Parks, an der 23. Straße.

Name: benannt nach dem Beaux-Arts-Bügeleisenhaus von 1902, einem der ersten Wolkenkratzer der Welt

Einwohner: 30.000

Architektur: Neben dem Flat Iron Building enthält das Viertel auch das Empire State Building, das Metropolitan Life Insurance Building und den Met Life Tower, der 1909 das höchte Bauwerk der Welt war.

Hotels: The Roger Williams, Ace Hotel, The Carlton, Red Roof Inn

Little Korea: eine Ansammlung koreanischer Restaurants zwischen 30. und 34. Straße, Broadway und Fifth Avenue

Und noch immer mangelt es nicht an jener Klientel, die die Rezession selbst hervorgebracht hat: Frauen auf Arbeitssuche, die sich für ihr Vorstellungsgespräch auftakeln. "Frisieren können sich viele Frauen auch allein, aber die wenigsten können sich die Nägel selbst lackieren", erklärt Jenny. Mal ganz abgesehen von einer Verzierung des Nagelbetts mit einem Halbmond aus Rheinkieseln, wie sie Jenny einer ihrer Stammkundinnen, dem freiberuflichen Model Jolika Ullah, mit der Pinzette appliziert. Die kostspielige Dekoration kann sich Jolika, die an einem öffentlichen College am Ground Zero Psychologie studiert, nicht selber leisten - ihr Freund bezahlt. Er ist gerade nach 18 Monaten aus dem Irak zurückgekehrt, und Jolika überlegt, selbst in die Armee einzutreten und nach Afghanistan zu gehen. "Ich bin in Bushwick in Brooklyn aufgewachsen, das war auch eine Kriegszone", erklärt sie, während sie Fruchtpunsch aus einem Plastikglas mit Cocktailschirmchen trinkt. "Ich fürchte mich vor gar nichts."

Am Freitag um sechs Uhr früh föhnt Jenny in Paillettenjacke und Glitzerstiefeletten der internationalen Börsenmaklerin Colleen Marocco die Lockenmähne glatt - um sieben muss die Kundin im Büro sein, denn ihre Firma hat Bauprojekte in fernen Zeitzonen, in China und Indien. Eine Stunde vergeht, ehe jede Haarsträhne bis auf einen romantischen Schnörkel auf der Schulter glattgezogen ist. "Ich fühle mich wie ein Rockstar", meint Colleen und hofft, dass die Illusion übers Wochenende hält - "es darf nur nicht regnen!" Jenny hilft ihr in den Mantel und hebt vorsichtig die fragile Pracht über den Kragen. Dann öffnet sie ihrer treuen Kundin die Glastür und wirft einen besorgten Blick in den Morgenhimmel, wo sich finstere Wolken im Dämmerlicht zusammenziehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.