Nazi-Beratungsprogramm in Sachsen: Die Ratlosigkeit der Mütter
Was, wenn der Sohn zum Nazi wird? Das Modellprojekt "Recall" berät besorgte Eltern. Meist melden sich die Mütter. Über 2010 hinaus ist die Finanzierung jedoch nicht gesichert.
DRESDEN taz | "Mein Sohn ist eigentlich ein sehr guter Mensch …" Mit dieser Floskel beginnen viele Mütter von Jugendlichen, die in die rechte Szene abgedriftet sind, ein Beratungsgespräch. Dass sie die Möglichkeit eines Gesprächs überhaupt haben, ist dem seit 2007 in Sachsen laufenden Bundesmodellprojekt "Recall" zu verdanken. Eltern, die der rechtsextremen Haltung ihrer Kinder ratlos gegenüberstehen, können über eine E-Mail oder ein Telefon Kontakt aufnehmen, auch anonym. Jetzt zog das Projekt eine erste Bilanz.
Seit 2004, als die NPD in den Sächsischen Landtag einzog, häuften sich beim Kulturbüro Sachsen und seinen Mobilen Beratungsteams Anfragen anderer Träger der Jugendhilfe. Wie sollten sie mit verunsicherten Eltern umgehen, deren Kinder mit rechten Einstellungen sympathisieren? Die Bemühungen um ein Angebot für Eltern mündeten mit Hilfe des Bundesprogramms "Vielfalt tut gut" und des Sächsischen Sozialministeriums in das "Recall" genannte Projekt.
"Recall" bewegt sich mit einer Ausstattung von 130.000 Euro jährlich, einer Beratungsstelle in Dresden und drei Beratern in einem bescheidenen Rahmen. Eine weitere Beratungsstelle in Pirna befindet sich im Aufbau. Partner sind neben dem Kulturbüro der Verbund Sozialpädagogischer Projekte und der Paritätische Wohlfahrtsverband Sachsen.
Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen berichtet von den Erfahrungen aus 71 Beratungen in den ersten beiden Jahren. Zu 90 Prozent waren es Mütter, die um Hilfe nachsuchten, und zu 90 Prozent handelte es sich um deren Söhne im Alter zwischen 13 und etwa 25 Jahren. Überwiegend blieb es bei einer einmaligen Beratung, aber ein Fall wurde auch ein ganzes Jahr lang begleitet. Eine "Erfolgsquote" lasse sich nicht ermitteln, denn "wir sind kein Aussteigerprogramm light", sagte Nattke.
Das Gesprächsangebot richte sich ausschließlich an Eltern. Mütter rufen erfahrungsgemäß oft erst dann an, wenn nazistische Haltungen bei ihren Söhnen bereits manifest geworden sind. Erschwerend komme hinzu, dass Eltern dann auch massiv an Autorität verlieren.
Was dennoch getan werden kann, muss im Einzelfall erörtert werden. Mitarbeiter von Jugendhilfeeinrichtungen sind damit meist überfordert. Ein Teil des Projekts besteht deshalb in der Qualifizierung dieser Mitarbeiter. Ziel ist ein flächendeckendes Angebot in allen Landkreisen. Mit der Integration in bestehende Einrichtungen wären auch die Mitarbeiter besser vor Angriffen geschützt, erklärt Hartmut Mann vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Sachsen.
Da sich noch keine Anschlussfinanzierung gefunden hat, ist das Modellprojekt über 2010 hinaus jedoch gefährdet. Dabei handelt es sich um eine Summe in Höhe von etwa 100.000 Euro und außerdem um zweieinhalb Stellen, die mit der Schulung von Fachkräften vor allem eine Multiplikatorenwirkung entfalten sollen.
Leser*innenkommentare
CHE
Gast
Warum muessen Steuergelder fuer so einen Unfug ausgegeben werden, der ganze Kampf gegen Rechts ist doch nichts anderes als eine lukrative Beschaeftigungsmassnahme fuer Soziologen und etc. die sonst keine Arbeit finden.
Van Halen
Gast
Sie werden nicht ernsthaft bestreiten wollen, daß der Kampf gegen rechts immer abenteuerliche Formen annimmt, wobei von interessierter Seite, auch von der Politik, der Kampf gegen links und islamistisch nahezu vernachlässigt wird.
Ich denke an viele Straftaten in den vergangenen Jahren, die sofort durch Politiker und Medien, in unglaublicher Vorverurteilung, dem rechtsextremen Spektrum angelastet wurde. Wobei sich dann herausstellte, daß dies zu unrecht geschah.
Ich erinnere im Osten an einen Polizeidirektor, der von seinem Innenminister gezwungen wurde, selbst harmloseste, angeblich rechtslastige Taten, in die Statistik aufzunehmen.
Max
Gast
Meine Sohn eißte Adolfo. Und das iste gute so. Aber er übertreibte eine bißchene, weile hater sein apulischen Scheffehunde "Blondie" genannte. Wassol isch nur mache?
Totale konsternierte - Massimiliano
atypixx
Gast
"Überwiegend blieb es bei einer einmaligen Beratung"
Das spricht doch für sich. Dann können die Eltern auch bei der Telefonseelsorge anrufen oder mit der Freundin beim Kaffee reden. Warum muss es für alles immer gleich staatliche Stellen geben? ...
Ulrike Pansen
Gast
Die Ratlosigkeit der Mütter
Die Ratlosigkeit der alleinerziehenden Mütter?
Gibt es da Statistiken? Oder wären die politisch zu unkorrekt und antifeministisch?
Max Schneider
Gast
Taschengeld streichen.
Frank
Gast
71 Beratungen für 130000€? Ohne Erfolgsnachweis.
Es geht wohl eher darum, den ansonsten arbeitslosen Mitrabeitern ein Auskommen zu sichern. Denn mit den Jugendlichen selbst wird nicht geredet, man könnte ja argumentativ ins schwimmen kommen.
Peter
Gast
An wen kann ich mich wenden wenn meine Kinder Linksextremisten werden und Molotowcocktails auf Polizisten werfen?
dr.viehblguhd
Gast
wann wird denn nunendlich das aussteigeprogramm für linksautonome z.b.gestartet!?
Da wäre einiges mehr zu tun.
Deutscher Mutti-Orden
Gast
Man wüsste doch gern, was die Mitarbeiter den besorgten Müttern raten. Dies ist ja wohl Kern der Arbeit dieser Einrichtung, wenn der Artikel das nicht herausarbeiten kann, fragt sich der Leser natürlich zu Recht, warum soviel Geld dafür ausgegeben werden soll...ein Modellprojekt ???
Gesamtgesellschaftliches Versagen (die Eltern tragen natürlich auch eine Teilschuld) soll also von sogenannten Beratern rekompensiert werden, eine tolle Strategie...
Die NPD und die "freien Kräfte" werden herzlich lachen.
Wenn man Verbrechern mit dem "pöhsen-pöhsen" Mutti-Zeigefinger droht, werden sie sich nicht zu Engeln wandeln.