Kommentar Afghanistan: Die Logik der Frühjahrsoffensive

Überrascht dürfte eigentlich niemand sein von der Eskalation am Hindukusch. Aber mit einer realistischen Einschätzung der Lage ist noch lange kein erfolgversprechender Ausstieg gefunden.

In Afghanistan ist der Winter endgültig vorbei, die Kampfsaison hat wieder mit voller Wucht begonnen. Waren im Süden des Landes, wo der Frühling eher kommt, die US-Truppen schon im Februar in der Provinz Helmand in die lang angekündigte Großoffensive gegangen, die sie demnächst im Raum Kandahar fortsetzen wollen, weichen die Taliban und ihre Verbündeten jetzt offenbar in den Norden aus und attackieren dort die Bundeswehr. Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit starben jetzt mehrere deutsche Soldaten.

Sven Hansen ist Redakteur im Auslandsressort der taz.

Dabei sehen die Attacken auf die Bundeswehr nicht nur nach Entlastungsangriffen für den Süden aus. Sie könnten auch eine bewusste Strategie sein, in Deutschland eine noch stärkere Stimmung gegen den Kampfeinsatz zu erzeugen. Momentan eskaliert der "gefühlte" Konflikt für die skeptische deutsche Öffentlichkeit viel schneller, als der schneidige Bundesverteidigungsminister rhetorisch wie militärisch aufrüsten kann.

Trotzdem passiert jetzt eigentlich nur das, was längst voraussehbar war und was allzu gern überhörte Stimmen vorausgesagt hatten. So war nicht nur das Wiederaufflammen der Kämpfe im Frühjahr absehbar gewesen, sondern auch, dass die im letzten Jahr beschlossene Aufstockung der internationalen Truppen zu einer weiteren Eskalation des Konflikts führen würde. Manche Militärs hatten das auch nie beschönigt, sondern immer gesagt, der Weg zum erhofften Frieden führe erst einmal über mehr Krieg. Genau diese Eskalation findet jetzt statt, wobei der Frieden allerdings in den Sternen steht.

Auch war vorauszusehen, dass Bundeswehrsoldaten verstärkt angegriffen und getötet werden, wenn sie öfter ihre geschützten Lager verlassen. Eben das traf jetzt offenbar ein bei den zwei letzten tödlichen Angriffen auf die Bundeswehr, die im Zusammenhang mit Patrouillen stattfanden. Die deutschen Soldaten sind jetzt im Norden in einer ähnlich verlustreichen Lage, wie sie Amerikaner, Briten und Kanadier im Süden und Osten schon seit längerer Zeit erleben. Überrascht dürfte eigentlich niemand sein. Wenn das jetzt trotzdem der Fall ist, kann dies nur damit erklärt werden, dass die Realitäten immer noch verkannt wurden. Ein erfolgversprechender Ausweg ist mit einer realistischen Einstellung allein allerdings noch lange nicht gefunden. Und so wird es weiter und mehr tote deutsche Soldaten am Hindukusch geben.

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Asienredakteur seit 1997, studierte Politologie in Berlin und Communication for Development in Malmö. Organisiert taz-Reisen in die Zivilgesellschaft, Workshops mit JournalistInnen aus Südostasien und Han Sens ASIENTALK. Herausgeber der Editionen Le Monde diplomatique zu Südostasien (2023), China (2018, 2007), Afghanistan (2015) und Indien (2010). Schreibt manchmal auch über Segeln. www.fb.com/HanSensAsientalk @SHansenBerlin

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