1. Mai: Revolution von oben

Sechs Jahre lang wurde das Myfest in Kreuzberg von Silke Fischer und ihrer Crew organisiert. Nachdem die Kiezfürstin abgetreten ist, hat das Bezirksamt die Zügel angezogen.

Pappbecher statt Scherben: Höchstens so soll es laut Bezirksamt nach dem Myfest auf den Straßen aussehen. Bild: ap

"Natürlich wird das Myfest dieses Jahr anders." Aus dem Mund von Jörg Flähmig klingt das beinahe wie ein Versprechen. Eigentlich ist Flähmig Büroleiter von Franz Schulz, dem grünen Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg. In diesen Tagen aber plagt ihn sein dienstlich verordneter Nebenjob - als Organisator des Myfestes zwischen Görlitzer Bahnhof und Oranienplatz.

Um zu verstehen, warum das Myfest anders werden soll, muss man wissen, wie es vergangenes Jahr war. Voll war es, noch voller als sonst, die Stimmung ausgelassen, vor den zahlreichen Bühnen wurde getanzt und getrunken.

Für den Nachschub sorgten die Kids aus dem Kiez und die Händler, die die Bierkästen in den Hausfluren turmhoch stapelten. "Eigentlich durfte das Bier nur aus Bechern verkauft werden", erinnert sich Flähmig. "Doch irgendwann hat der erste das Becks in Flaschen verkauft, weil es schneller geht. Am Ende haben es alle so gemacht."

Am Ende, das war bald auch das Ende des Fests und der Anfang eines 1. Mai, der Berlin nach Jahren der Krawallfreiheit wieder Straßenschlachten lieferte. In Kreuzberg, empörte sich Innensenator Ehrhart Körting (SPD), "wurden Polizisten zur Steinigung freigegeben".

Myfest und Steinigung? Vom Vorwurf, dass das Kreuzberger Fest die Randale befeuert habe, will Jörg Flähmig nichts wissen. Froh ist er trotzdem, dass die Organisatoren der "Revolutionären 1.-Mai-Demonstration" dieses Jahr nicht durch das Fest wollen. Letztes Jahr zog die Demo mitten durch das Myfest.

Flähmigs Haltung ist verständlich. 2009 hat ihm der Innensenator 180.000 Euro für das Myfest überwiesen. Musik auf mehreren Bühnen, Ordnerjobs für Jugendliche, das ist für Körting von Anbeginn eine Investition in Deeskalation gewesen. Tatsächlich ging die Randale in Kreuzberg seit dem ersten Myfest 2003 Jahr für Jahr zurück.

Bis zum letzten Jahr. 497 verletzte Beamte zählte die Polizei, ein Jahr zuvor waren es 112 gewesen. "Es war klar, dass wir handeln mussten", sagt Myfest-Organisator Flähmig, nicht ohne zu betonen, dass das Fest 2009 für ihn ein Erfolg war. Mit 35.000 Besuchern kamen fast doppelt so viele wie 2008.

Inzwischen hat das Bezirksamt den Worten auch Taten folgen lassen. Nicht mehr nur Flaschen und Dosen hat Jörg Flähmig diesmal auf den Index gesetzt, sondern den Alkoholverkauf generell. "Wer ein Bier trinken will, kann das auch in einer Gaststätte tun. Auf der Straße gibt es keinen Alkohol."

Auch wenn Flähmig betont, dass der Charakter des Myfestes als Fest von unten der gleiche bleibe, ist im Kiez ein heftiger Streit entbrannt. Die Künstlerin Mo.Skito, eine der Myfest-Macherinnen der ersten Stunde, hat sogar das Handtuch geworfen. In einer wütenden Presseerklärung schrieb sie: "Die Inhalte gingen verloren und die Grenzen unseres Gebiets wurden von der Polizei aufgeweicht." Vor allem aber seien Entscheidungen von oben verordnet worden, die man nicht mehr mittragen könnte.

"Ja", sagt Soner Ipekcioglu, seit Jahren einer der Organisatoren. "Dieses Jahr wird es anders. Allein schon wegen des Geldes." Rund 30.000 Euro weniger kommen diesmal vom Innensenator - Ehrhart Körtings Rache, meint mancher im Kiez. "Eine absolute Katastrophe", sagt auch Ipekcioglu. Doch hingeschmissen hat er noch nicht. Auch in diesem Jahr macht sein Satzbüro die Plakate fürs Myfest. Richtig dabei ist er aber auch nicht mehr. "Der Bezirk hat alles an sich gezogen", schimpft er. "Das ist kein Fest mehr von unten, sondern ein Fest von oben."

Das glaubt auch Klaus Buchelt. In einem offenen Brief an Kreuzbergs Bezirksbürgermeister Franz Schulz beklagt sich der Rentner, der im Quartiersrat Kottbusser Tor aktiv ist, dass die Jugendlichen im Kiez in diesem Jahr kaum Ansprechpartner hätten. "Wo ist die Offenheit in diesem Jahr geblieben?", fragt er. "Soll die Veranstaltung in diesem Jahr zu einer geheimen Kommandosache gemacht werden?"

Jörg Flähmig kennt die Kritik, sie ist nicht neu. Dass dieses Jahr alles anders ist, hat auch mit einer Personalie zu tun. Kaum hatte sich das Tränengas 2009 über Kreuzberg verzogen, zog Silke Fischer die Konsequenzen. Sechs Jahre lang hatte die ehemalige Hausbesetzerin, Kreisvorsitzende der SPD und Bezirksamtsmitarbeiterin das Myfest organisiert. "Wenn Menschen zu brennenden Fackeln werden, habe ich nur noch Hoyerswerda im Kopf", sagte die 50-Jährige gleich nach der Randale der Berliner Zeitung.

Doch es war nicht nur der Krawall, der Silke Fischer aufgeben ließ. Fischer, die SPD-Frau, und Schulz, der grüne Bürgermeister, das passte schon lange nicht mehr. Darüber hinaus stritten sich die Organisatoren des Myfests mit denen des parallel stattfindenden Mariannenplatzfestes. Halina Wawzyniak etwa, Kreischefin der Linken, warf ihrer SPD-Kollegin Fischer vor, alles Geld für das Myfest zu beanspruchen.

Auch Jörg Flähmig weiß, dass in diesem Jahr die Post-Fischer-Ära angebrochen ist. "Silke Fischer war Monate freigestellt, um das Myfest zu organisieren, so etwas können wir uns nun nicht mehr leisten."

Ganz unglücklich scheint Flähmig darüber nicht zu sein, waren doch Neuerungen immer wieder an Fischer und ihrem weit gesponnenen Netz an Mitarbeitern gescheitert. Diesmal aber hat sich der Bezirk durchgesetzt. "Einen Stand dürfen nur noch Anwohner betreiben, die nachweisen können, in Kreuzberg einen Wohnsitz zu haben", sagt Flähmig. "Der 1. Mai ist ein Feiertag, das gilt auch für Kreuzberg. Gewerblicher Handel bleibt in diesem Jahr strikt untersagt."

Flaschenverbot, kein Alkohol an Ständen, kein Handel. Viele Anwohner werden darüber froh sein. Allzu sehr ist in ihren Augen das Myfest über die letzten Jahre zum Rummel geworden, zur Gelddruckmaschine für ein paar wenige.

Soner Ipekcioglu hingegen bleibt skeptisch. Das mit dem Flaschenverbot finde er zwar gut, auch das mit dem Alkoholverbot an den Ständen. Dass der Bezirk den Gewerbetreibenden aber die Verkaufsstände verboten habe, sei unmöglich. "Da haben sich die Jugendlichen immer etwas dazuverdient. Das fehlt jetzt. Das Bezirksamt verliert langsam den Kontakt zum Kiez."

Wenn Kiez gleichbedeutend wäre mit Silke Fischer und ihrer einstigen Crew, hätte er wohl recht.

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