Protest am 1. Mai: Blockade und Bionade
Erstmals seit 2004 wollte die NPD am 1. Mai durch Berlin ziehen, ausgerechnet in Prenzlauer Berg. Erfolglos. Doch die Kiezbewohner folgen sehr verschiedenen Interessen.
BERLIN taz |Am Vormittag hatte der Berliner Innensenator noch mit seinem Parteifreund Wolfgang Thierse gefrotzelt. "Wehe, du setzt dich auf die Straße, dann gehts rund!" Doch um kurz vor halb vier sitzt Bundestagsvize Thierse von der SPD dann auf der Straße. In Anzughose, blauem Hemd und grünem Anorak. Brummbärig sieht der 66-Jährige aus mit seinem ergrauten Bart. "Thierse, blockier se", rufen die Menschen.
600 Neonazis kommen nicht mehr weiter. Sie stecken fest, gleich am Anfang ihrer Demonstration. Thierse hält sie auf, zusammen mit dem Bezirksbürgermeister und Abgeordneten von Grünen und Linkspartei. Was für ein Bild! Journalisten eilen zu dem Grüppchen. Fotoapparate klicken. Und jetzt? Gehts jetzt rund?
Die Polizei fordert die Promis auf, die Straße zu räumen. Einmal, zweimal, dreimal. Sie appelliert an die Vernunft, erinnert ans Grundgesetz. Die Politiker bleiben sitzen. Bis tatsächlich Polizisten anrücken. Thierse ist als Erster dran. Es ist dem Polizisten ein bisschen unangenehm. "Darf ich Ihnen helfen?", fragt er und zieht Thierse am Arm nach oben. Platzverweis.
Ein paar Häuserblocks weiter im Südwesten des Prenzlauer Bergs, wo Thierse seit Langem wohnt, deutet an diesem Samstag nichts auf Demonstration und Konfrontation hin - vom Lärm der Polizeihubschrauber abgesehen. Bis Mitte der Neunzigerjahre flogen auch hier am Kollwitzplatz am Maiwochenende noch Steine, rückten Wasserwerfer an. Geschäftsleute vernagelten ihre Ladenfenster. Heute drängen sich rechts und links der Kollwitzstraße Verkaufsstände mit Biospargel aus Brandenburg, Delikatessen aus aller Welt und Kleidchen für die kleinen Prinzessinnen aus der Nachbarschaft. Polizeiautos drehen hier nur in Miniatur auf den Kinderkarussells ihre Runden. Allerdings ohne das übliche Rummelplatzgedudel. Das hat sich Philipp Strube, der Veranstalter des Maifestes rund um den Platz, verbeten. Und auch Politik gehört nicht mehr zum Programm.
7000 Polizisten
Strube, 48 Jahre, rote Umhängetasche, schwarzes Brillengestell und Lederjacke im Retrolook, kennt die Vorlieben jener, die in diesem Viertel leben. Seit zehn Jahren veranstaltet er samstags auch den Wochenmarkt am Kollwitzplatz, wegen exquisiten Sortiments und Promidichte eine Touristenattraktion. Am ersten Maiwochenende will er den Anwohnern hier im Herzen des "Bionade"-Kiezes eine möglichst "ruhige, entspannte" Vergnügungsmeile bieten. Und dieses Konzept, so sein Kalkül, das sei jenen, die "illegal Spaß haben wollen", hoffentlich viel zu langweilig. Strube selbst lebt seit 16 Jahren in Prenzlauer Berg. Den alten Zeiten trauert er nicht nach. "Ganz ehrlich: Mir tut die Polizei an so einem Tag leid."
7.000 Beamte sind im Einsatz. Zusätzlich zur üblichen Randale linker Autonomer hatte zum ersten Mal seit sechs Jahren die NPD eine Demo angemeldet. Die Gewerkschaft der Polizei warnte sogar vor Toten.
Schon früh am Morgen herrscht deshalb eine angespannte Stimmung im Norden des Stadtteils. An der Bornholmer Brücke, wo 1989 friedlich die Grenze geöffnet wurde, wollen sich nun die Neonazis treffen. Zwei Stunden vor dem geplanten Beginn blockieren Gegendemonstranten eine Kreuzung, einzelne versuchen eine Polizeikette zu durchbrechen. Die Polizei setzt Pfefferspray ein. Flaschen fliegen. Eskaliert die Gewalt?
Es kommt alles anders. Von ein paar brennenden Reifen und Mülltonnen abgesehen verhalten sich die Gegendemonstranten im Laufe des Tages weitgehend friedlich. An die 10.000 Menschen versammeln sich an mehreren Plätzen, darunter Antifa-Aktivisten und Punks, aber auch bürgerliche Protestierer, Eltern mit ihren Kindern und Rentner mit roten Nelken in der Hand. Anwohner stehen auf Balkonen und klopfen auf Töpfe, auf Transparenten steht: "Berlin bleibt bunt, Scheiße bleibt braun."
Und die Neonazis? Gegen Mittag haben sich erst um die 50 auf einem umzäunten Gelände versammelt, von wo aus ihr Marsch starten soll. Viele von ihnen sind schwarz gekleidete "Autonome Nationalisten", die für ihre Militanz berüchtigt sind. Aber wo bleibt der Rest der Rechten? Bis zu 3.000 sollten es angeblich werden, jetzt steht hier ein jämmerliches Häuflein, umringt von dutzenden Journalisten. Es ist ein bisschen wie im Zoo.
Ein Neonazi-Anführer geht ans Mikrofon und faselt etwas von einer "Reconquista unserer Städte für die Deutschen". Von seiner wirren Rede ist kaum etwas zu hören. Nachbarn beschallen den Sammelplatz vom Balkon aus mit Bob Marley.
Erst Austern, dann Golfen
Ein paar hundert Meter weiter südlich auf dem Kollwitzplatzfest haben längst nicht alle etwas für dieses Treiben übrig. Mit Kinderwagen zur Straßenblockade, das ist vielen auch zu heikel.
An einem Bistrotisch steht Sven Schneider, 37 Jahre alt, und gönnt sich frische Austern. Der FDP-Anhänger ist im Dezember nach Berlin gezogen. Er will zum Golfen, nur muss er vorher noch seinen Mercedes holen, den er sicherheitshalber im Parkhaus gelassen hat. Den Nazi-Aufmarsch und die Gegendemos nennt Schneider "beide gleichermaßen verwerflich". Die linke Szene werde oft verharmlost, sagt er: "Aber letztlich sind es doch die Linken, die Autos anzünden."
Schneider wundert sich ein bisschen über die Leute in seiner neuen Heimat Prenzlauer Berg. "Die haben nach außen immer noch den Anschein, sehr alternativ zu sein", sagt er. "Aber für mich ist das ein ziemlich oberflächliches, versnobbtes Linkssein." Man müsse sich doch nur die BMWs, Porsches und Maseratis anschauen. Und erst die Kinderwagen für 1.000 Euro! Die Austern immerhin waren okay.
"Demonstrieren? Für was denn?", fragt ein anderer junger Mann. Er steht hinter einem Stand mit japanischen Zehensocken. "Es bringt nichts, gegen Nazis zu demonstrieren, damit gebe ich denen nur die Aufmerksamkeit, die sie haben wollen."
Gut vier Stunden brauchen die Neonazis, um 700 Meter weit zu marschieren. Immer wieder durchbrechen Demonstranten und Anwohner Absperrungen. Ein paar Schritte weit kommen die Rechten noch nach der Sitzblockade durch Thierse und die anderen Berliner Politpromis.
Doch an der nächsten Straßenkreuzung warten bereits tausende Gegendemonstranten. Die Polizei hat die Dächer räumen lassen, aus Angst, Nazigegner könnten Steine herunterschmeißen. Wasserwerfer stehen bereit. Doch da machen die Rechten um 16.40 Uhr kehrt, nach einem längeren Gespräch mit der Polizei.
Ein Neonazi-Kader hetzt auf dem Rückzug zur S-Bahn noch gegen die "politische Polizei" und die "linke Journaille". Es geht im Gejohle der Anwohner unter.
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