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Hilfe für GriechenlandDie Rückkehr der Krisenkanzlerin

Angela Merkel versuchte, die Krise in Griechenland aus dem Wahlkampf in NRW herauszuhalten - vergeblich. Ihre Wahlkampftermine diese Woche sagte sie ab.

Angela Merkel gab am Mittwoch eine Regierungserklärung zur Griechenland-Hilfe, an der sich Deutschland mit 22,4 Milliarden Euro Krediten in drei Jahren beteiligt. Bild: dpa

BERLIN taz | Die Absage kam am Montag um 10.50 Uhr. "Aufgrund der aktuellen politischen Entwicklung", teilte die CDU-Parteizentrale mit, werde die Bundeskanzlerin ihre Wahlkampftermine in Alsdorf und Mönchengladbach "nicht wahrnehmen". Es war das letzte Zeichen, dass der Wahlkampf in NRW, so wie er von den Parteien geplant war, jetzt sein Ende fand.

Über zweifelhafte Finanzpraktiken des CDU-Landesverbands hatten sich die Strategen zuvor den Kopf zerbrechen müssen, über die Wirkungen schwarz-grüner Spekulationen in konservativen Milieus, über die Popularität der SPD-Spitzenkandidatin und die mangelnde Beliebtheit des schwarz-gelben Bündnisses in Berlin. Das alles relativierte sich nun. Bis zum Sonntag wird in Nordrhein-Westfalen ein griechischer Wahlkampf geführt, um die Zukunft des Euro und die Zahlungsfähigkeit ganzer Staaten. Und weil das Thema so viel größer ist als die Koalitionsfrage in einem Bundesland, darf es nicht einmal nach einem Wahlkampf aussehen.

An diesem Mittwoch berät der Bundestag in erster Lesung über die Griechenlandhilfe. In einer Regierungserklärung sagte Merkel, was sie seit Montag schon in allen Fernsehsendern sagt: "Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Zukunft Europas und damit um die Zukunft Deutschlands in Europa."

Am vorigen Donnerstag war die Kanzlerin noch nach Siegen und Hürth geflogen. Zwei Tage nachdem die griechischen Staatspapiere auf Schrottstatus abgestuft waren, einen Tag nachdem Merkel die Präsidenten von IWF und Weltbank im Kanzleramt empfangen hatte. Sie hat es bei ihren Wahlkampfauftritten gemacht wie stets in Situationen, in denen sie das Ende nicht absehen kann: Sie sagte zu Griechenland kaum etwas, jedenfalls nichts, worauf man sie später festlegen könnte. Stattdessen sprach sie über die Integration alleinerziehender Mütter.

Nach ihrer Rückkehr in die Hauptstadt begann sie, die Öffentlichkeit auf die neue Lage einzustimmen. Am Sonntag wurden die europäischen Hilfszusagen beschlossen, 110 Milliarden Euro, was der Zahl nahekam, die FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle auf einer Brasilienreise ausgeplaudert hatte. Statt nach Alsdorf und Mönchengladbach ging Merkel am Montag in die Fernsehstudios. Nun schlüpfte sie in die Rolle, die sie schon im Krisenherbst 2008 erst mit Verzögerung fand, in die Rolle der Krisenkanzlerin.

Es erinnert ohnehin viel an die dramatischen Wochen vor anderthalb Jahren, als die Finanzkrise voll ausbrach. Der Bundestagsbeschluss im Eilverfahren, damals für die Banken, diesmal für die Griechen und den Euro. Der gemeinsame Auftritt mit dem Koalitionspartner, wobei der Merkel-Vize Guido Westerwelle zur Sache wenig beizutragen hatte. Es wirkte, als hätte Merkel ihn nur vor die Kameras gezerrt, um ihn sichtbar einzubinden.

Wichtiger ist die Einbindung der Opposition, vor allem der SPD. Am Montag hatten sich Ex-Finanzminister Peer Steinbrück und Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Spiegel zur Krise eingelassen. Gefährlich für Merkel war nicht der Inhalt, sondern der Auftritt. Die Intervention der "Stones" beschwor die Frage herauf, ob die Kanzlerin mit dem Neuling Westerwelle und dem eigenwilligen Wolfgang Schäuble so verlässlich kooperieren könne wie mit ihren Vertrauten aus der SPD.

Umso intensiver ist das Bemühen, die SPD bis zur Abstimmung am Freitag für das Krisenpaket einzunehmen. Am Dienstagvormittag trafen sich die Vorsitzenden aller Bundestagsfraktionen. Eine gemeinsame Resolution zur Finanzmarktregulierung soll es geben. Umstritten ist die Forderung der SPD nach einer Transaktionssteuer für Finanzgeschäfte, wie sie auch die Kanzlerin im Umfeld der letzten Bundestagswahl kurz forderte und damit Proteste der FDP hervorrief.

Jedes Zugeständnis wäre ein neuerlicher Affront gegenüber dem Koalitionspartner, der in dieser Woche ohnehin zwei Schicksalsschläge zu gewärtigen hat: die Versenkung der Steuersenkungspläne durch den Schätzerkreis am Donnerstag und den möglichen Verlust der Regierungsbeteiligung in NRW.

An den Herbst 2008 erinnert auch Merkels Rolle als "Madame Non". Damals wehrte sie sich wochenlang gegen das internationale Drängen auf schuldenfinanzierte Wirtschaftshilfen. Als das deutsche Konjunkturpaket dann kam, etwas langsamer und etwas kleiner, warnten dieselben Kommentatoren plötzlich vor dem Weg in den Schuldenstaat.

Diesmal ist es auf der einen Seite die europafreundliche Elite, die Merkel vorwirft, sie habe durch wochenlange Hilfsverweigerung die Zuspitzung der Krise herbeigeführt. Auf der anderen Seite steht eine skeptische Bevölkerung, die in jedem Euro für Griechenland eine Verschleuderung von Steuergeld sieht. Zu ihrem Sprachrohr hat sich in den letzten Wochen Bild gemacht. Dazwischen die Kanzlerin, die sich zugutehält, dass sie die harten Sanierungsbedingungen für Griechenland durch ihren langen Widerstand erst durchgesetzt hat.

Wie sich das alles auf die Wahl am Sonntag auswirken wird, das vermag mittlerweile kaum noch jemand vorauszusagen, selbst jene nicht, die vor kurzem noch bereitwillig über Schwarz-Grün oder Schwarz-Rot spekulierten. Die jüngste Umfrage stammt noch aus der Woche vor dem Hilfsbeschluss.

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10 Kommentare

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  • A
    avelon

    Wochenlang gab es ein großes Schweigen der Bundeskanzlerin. Nun, vor den NRW-Wahlen kann es fuer sie nicht genuegend ´Regen zur Nation´ geben.

     

    *sing* Voellig losgeloest von der Erde *sing* ...schwebt das politische Raumschiff über dem Souverän, der nichts mehr zu sagen hat, als alle vier bis fuenf Jahre Kreuzchen zu machen.

  • PL
    Phil Leicht

    Wenn ich mich an die heute Morgen von Ihr gehaltene Rede zurückerinnere, was mir bei diesem Blah Blah Blah sehr schwer fällt, dann dreht sich mir noch immer der Magen um! Was mich aber am meisten stört, ist dies, dass der einzelne Bürger nur Angst um seine Ersparnisse um seine Werte hat ohne zu merken, dass er selbst schon seit Jahren betrogen wird, wie sein Kapital immer weiter abgewertet wird....

    Anstatt sich über Griechenland aufzuregen sollte man seine Wut an die richtigen Stellen adressieren!

     

    Wir werden verarscht und merken es noch nicht einmal

     

     

    ...während in Griechenland die Bevölkerung gegen diesen Betrug ankämpft feiern unsere Obigen unseren Dicken..... was soll man dazu sagen?

    !

  • J
    joHnny

    "entscheidung des tages 5.5.2010"

    Merkel hat die griechische sache nicht zu lange

    l a u f e n lassen , sie hat die sache zu lange

    f a u l e n lassen!...

     

    PS: ihre stellungnahme als nicht-mutter zu

    alleinerziehenden müttern ist nicht

    verkehrt - sonntag haben wir auch Muttertag!

  • J
    Jakobinerin

    Schwarz-Gelb kann es nicht.

    Schon einmal 1990 haben sie die Weichen falsch gestellt, die Sozialkassen geplündert anstatt einen Solidarpreis ehrlich aufzurufen.

     

    Jetzt schon wieder! Ohne Wenn und Aber müssen die EURO-Mitgliedsländer miteinander solidarisch sein!

     

    Wer "versteht" denn noch, was Merkel und ihre Chaos-Koalition dem Volke in ihrer Regierungserklärung zum "Finanzstabilisierungs"-Gesetz mitteilt?

     

    CDU und FDP fehlt die Fähigkeit mit Bürgern auf einer gemeinsamen kognitiven Ebene zu kommunizieren.

  • S
    Sch

    Griechenland Deutschlands Vorbild, Deutschlands Kraft?

     

    Schon vor mehr als 10 Jahren war die Bilanz in Griechenland nicht anders, der Euro hat nur hinausgezoegert, was alle verhindern wollten.

     

    Wenn Griechenland (theoretisch) aus der Euro-Zone herauskippt, kann die Tuerkei nicht hinein.

    Aber eine gemeinsame Sonderzone wollen beide

    gemeinsam auch nicht.

     

    Natuerlich braucht Europa eine andere Finanzkontrolle.

    Aber schon vor vielen vielen Generationen

    war Falschgeld beliebt,

    es wird meisst in und durch die staatl. Druckereien in Auftrag gegeben.

     

    Was ist ein Staat wert?

    Was kann in Zahlung oder Berechnung gegeben werden,

    um aus den Schulden herauszukommen?

    Die Leistung der kommenden Generationen?

    Wir sind hoffnungslos verschuldet,

    das ist aber die Realitaet in allen Staaten.

     

    Deswegen konfus zu werden,

    nutzt nichts.

     

    Wir hatten letztes Jahr Finanzcrash,

    haben es den anderen gezeigt,

    es geht weiter ohne Konsequenzen,

    das wird nun nachgemacht.

     

    Deutschland als Beispiel?

    Kann ich nicht sehen.

    Wahrscheinlich als falsches Beispiel?

    Schon moeglich.

    Wahrscheinlich.

     

    Bis jetzt sind die Grundaufgaben

    der Wirtschafts-Sozial-Bildungs-(Finanz)-Politik

    garnicht geloest.

    Jede Wirtschaft, die Krieg fuehrt,

    verliert.

    Einfache Rechnung.

     

    No money = no war!

    Kein Geld = kein Krieg!

     

    Menschlichkeit?

    Ja, wer will das hier richtig anwenden?

  • G
    GonZoo

    Fräulein Merkels Gespür für unlösbare Probleme, für die sie lieber bei anderen die Schuld sucht, dürfte die wahre Ursache sein. Jetzt, da die Umfragen verheißen, daß NRW verloren ist, hält sie sich fern, um nicht von Rüttgers mit in den Abgrund gerissen zu werden.

  • C
    Carsten

    Kascha Kruczkowski, Spitzenkandidatin für die Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo) in NRW, schreibt: "Zum Ende des Wahlkampfes in NRW wird es immer deutlicher, welche richtungsweisende Bedeutung dieser Landtagswahl auf Bundesebene zukommt. Die Strategie der sogenannten etablierten Parteien, alle für den Bürger relevanten Fragen zum Thema Rettungspakete an deutsche oder ausländische Finanzinstitute und Kürzungen bei Einrichtungen des Gemeinwohls und Sozialwesens aus dem Wahlkampf herauszuhalten, zeigte sich von Anfang an."

     

    Wir brauchen weder eine Währungsunion noch eine inzwischen völlig ausgeuferte EU-Bürokratie, die Unsummen an Steuergeldern verpulvert und als Dank dafür ganze Industriezweige mit völlig unsinnigen EU-Richtlinien kaputt macht.

     

    Zurück zur D-Mark, Souveränität und Vernunft!

  • L
    Lügenbarone

    Unglaublich, jahrelange Bilanzfälschungen und Schönrechnungen (sprich: BETRUG) werden jetzt von anderen EU-Staaten (natürlich die BRD vorne dran) mit barer Münze aufgewogen. Ein klares Signal an alle anderen Länder mit finanziellen Problemen: Die anderen werden schon zahlen.

  • N
    Nigredo

    Wenn es um Griechenland geht, darf es "keine guten und schlechten Schulden geben" - Wenn es um Deutschland geht, muss man Schulden machen, um Besserverdienende zu unterstützen...

    Wenn es um Banken geht und die deutsche Finanzkrise geht, muss man "antizyklisch" handeln, also Geld rausschmeissen, weil keines da ist - Wenn es um Griechenland geht, darf man erst Geld geben, wenn es sich selbst kaputtspart indem es die Binnennachfrage völlig zerstört.

    Wer soll diesen Stümpern noch glauben?

     

    Jahrelang haben wir auf Kosten der Griechen gelebt, wie wir auf Kosten ganz Europas leben - und jetzt, wo die Griechen Hilfe brauchen, kommen wir mit so einem nationalistischen Scheiss daher? Schäm dich, Deutschland.

    Wenn wir den Griechen wirklich helfen wollen, und den Spaniern und Portogiesen und den Italienern, dann müssten WIR den Euro verlassen - aber damit wären wir ja ruiniert.

     

    Und noch ein Letztes: Ist das nur Einbildung, oder ist das wieder so ein rassischer Affekt, die blonden, blauäugigen Isländer extra in die EU holen zu wollen, um ihnen helfen zu können, und die Griechen rausschmeißen zu wollen, damit man ihnen nicht helfen braucht?

  • F
    freidenker

    Hai TAZ,

     

    war echt schön. Tagelang war das Merkel nicht bei euch zu sehen bis eben.

     

    Ihr seid trotzdem o.k.

     

    Das ist nicht sarkastisch gemeint.