Kommentar Integrationsbarometer: Studie ohne Opfer
Das Integrationsbarometer zeigt den Feuilletons und Politikredaktionen wie weit entfernt von der Wirklichkeit ihre Debatten sind. Denn es geht um soziale, nicht um kulturelle Diskurse.
D iese Studie müssen alle lesen, die mit Integrationspolitik zu tun haben. Denn das Integrationsbarometer des Sachverständigenrats ist ein fundierter Kontrapunkt zu der mitunter hysterisch und mit wenig Kenntnis geführten Debatte über das vermeintliche Scheitern der Integration. Es zeigt, dass die Bevölkerung - sowohl mit als auch ohne Migrationshintergrund - die Lage der Einwanderungsgesellschaft viel positiver und pragmatischer sieht, als Politik und Publizistik dies nahelegen.
Dabei blenden die Experten des Sachverständigenrats die massiven Probleme, die es unter anderem bei der Bildung und auf dem Arbeitsmarkt gibt, nicht aus. Sie wählen einen anderen Ansatz: Sie erheben, was beide Seiten der Einwanderungsgesellschaft voneinander halten und erwarten - und liefern so Informationen, die es bislang in dieser Breite nicht gab. Das Integrationsbarometer ist damit eine wichtige Ergänzung zu zahlreichen Studien, die strukturelle Daten wie Arbeitslosigkeit und Bildungsabschlüsse von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund miteinander vergleichen.
Hier bietet es wertvolle Erkenntnisse für viele Beteiligte: Es zeigt den Feuilletons und Politikredaktionen, wie weit entfernt ihre Debatten mitunter von der Lebensrealität der Menschen sind. Es verdeutlicht der Politik, wie unwichtig den Menschen vor Ort die Frage nach Assimilation oder selbstbewusstem Leben kultureller oder religiöser Tradition ist, und für wie wichtig sie dagegen Sprachkurse, Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit und für Chancengleichheit im Bildungswesen erachten.
Und auch die Migrantenorganisationen müssen ihre Lehren ziehen: Zeigt die Studie doch, dass die Deutschen, anders als häufig behauptet, keine Integrationsmuffel sind. Auch spielen Diskriminierungserfahrungen weit seltener eine Rolle als angenommen. Von ihrem Opferdiskurs können sie sich also getrost verabschieden.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott