Missbrauch an Jesuitenschulen: Entschuldigung auf 13 Zeilen

Sonderermittlerin Ursula Raue legt ihren Abschlussbericht vor: Zwölf Jesuiten-Pater und zwei Laien sollen 205 Opfer missbraucht haben. Raue empfiehlt finanzielle Entschädigungen.

Mehr als 200 Missbrauchsfälle dokumentiert: Sonderermittlerin Ursula Raue legte am Donnerstag ihren Abschlussbericht vor. Bild: dpa

MÜNCHEN taz | Das Wort "Opfer" steht in Anführungsstrichen, das Wort "Betroffene" auch. Provinzial Stefan Dartmann, der Chef der deutschen Jesuiten, sitzt vor den Journalisten im Münchner Presseclub und liest eine vierseitige Erklärung vor. In ganzen 13 Zeilen geht es um die Entschuldigung an die Opfer.

"Ausdrücklich wende ich mich an dieser Stelle an alle, die sich als ,Opfer', ,Überlebende' oder einfach ,Betroffene' des Missbrauchs in den Einrichtungen unseres Ordens erfahren", sagt der Ober-Jesuit. "Im Namen des Ordens anerkenne ich mit Scham die Schuld und das Versagen des Ordens und bitte ich sie noch einmal um Entschuldigung."

Es sind gestelzte Sätze, die mehr distanziert klingen als demütig. Dabei hätte der traditionsreiche katholische Orden an diesem Donnerstag viel Grund zur Demut. Die als Sonderermittlerin zum Missbrauch in Jesuiten-Einrichtungen eingesetzte Rechtsanwältin Ursula Raue stellte in München ihren Abschlussbericht vor. Ihr Ergebnis: 205 Opfer von Missbrauch in Schulen und Jugendeinrichtungen der deutschen Jesuiten, zwölf beschuldigte Pater, zwei beschuldigte Laien und systematische Vertuschung durch die Ordensoberen.

"Man hat die Täterkarrieren nicht unbedingt befördert. Man hat sie aber auch nicht besonders verhindert", sagt Raue. Man habe dafür gesorgt, dass Täter bei einem Verdacht versetzt wurden. Die Perspektive der Opfer habe bei den Jesuiten jahrelang keine Rolle gespielt, so Raue. Einem Täter sei gar noch in der Therapie geraten worden, auf keinem Fall aus dem Schuldienst auszuscheiden, "um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren".

Raue hat Missbrauchsfälle im Canisius-Kolleg in Berlin dokumentiert, im Kolleg Sankt Blasien, im Aloisiuskolleg in Bonn, in der Sankt-Ansgar-Schule in Hamburg und in Jugendeinrichtungen in Hannover, Göttingen und Büren. Die Opfer berichten von sadistischen Prügeln, von Patern, die Nacktfotos der Schüler machten, von sexuellem Missbrauch, von Vergewaltigung. Jesuiten-Provinzial Dartmann sagt, man stehe auch zu den Mitbrüdern, die schuldig geworden sind.

"Sie gehören zu uns, und wir werden sie nicht aus unserer Gemeinschaft verstoßen", sagt Dartmann. "Der Schutz ihres Persönlichkeitsrechts muss gewährleistet werden, bei Bedarf auch mit Hilfe von Anwälten." Ermittlerin Raue empfiehlt, die Opfer sollten eine finanzielle Entschädigung bekommen.

Raue meint: Wenn Geld fließe, sei das ein Zeichen, dass es den Jesuiten mit der Aufklärung auch ernst sei. "Vielen Opfern ist das wichtig." Ober-Jesuit Dartmann findet, es sei "wichtiger, Gelder in die Prävention zu stecken". Bei der Frage der Entschädigung wolle man "den Beratungen des Runden Tisches der Bundesregierung nicht vorgreifen". Raue sieht einen besonders großen Nachholbedarf bei der sexuellen Reife der Pater. Bei vielen Patres habe sie eine "sehr kindliche Grundhaltung zur eigenen Sexualität feststellen müssen", erklärt Raue.

Dartmann kann dagegen keine Defizite feststellen. Mit Hilfe von Fachpsychologen werde "das Feld bereits vor dem Eintritt der Kandidaten ausgeleuchtet", so der Provinzial, auch in der Ausbildung der Pater sei es Thema, etwa "im Rahmen eines Nähe-Distanz-Kurses".

Von den beschuldigten Patern leben noch sechs. Gegen die haben die Jesuiten nach eigener Aussage bereits kirchliche Verfahren eingeleitet. Was das heißt? Die Kongregation der Jesuiten in Rom sei informiert worden, sagt Dartmann. Dort werde man entscheiden, ob es für die betroffenen Pater Konsequenzen geben werde.

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