Die Wahrheit: Der Schweizer Obama und das Orang-Utan-Prinzip

Ahnenforscher, Staats- und Völkerrechtler verbindet ihre Anhänglichkeit an die Idee der Blutsverwandtschaft.

Mit Akribie und oft aus dubiosen Motiven verfolgen sie zurück, von wem jemand abstammt. Die Juristen sprechen vom ius sanguinis, dem Blutsrecht. Wenn nicht gerade eine rassistische Regierung das Sagen hat, ist Ahnenforschung eine eher harmlose Spielerei. Jeder Ahnenforscher kann den Nachweis führen, dass X oder Y "direkt" von Karl dem Großen abstammt. Was die Abstammung betrifft, so wird es nach hinten hin stockdunkel.

Die Schweizer standen 1961 nicht direkt an Barack Obamas Wiege. Aber etwa zehn Generationen früher wanderten 1715 mit der Schwäbin Anna Barbara Kieffer und Hans Gutknecht aus Kerzers im Kanton Bern mutmaßliche Vorfahren Obamas ins Elsass aus. Gutknechts gab es freilich in jener Gegend fast so viele wie Müllers und Meiers in Berlin. Den Sohn Christian zog 1749 es nach Amerika, wo er sich mit eigenwilliger Übersetzung vom "guten Knecht" zur "guten Nacht" aufhübschte und sich Goodnight nannte. Eine Tochter heiratete um 1800 Jacob Dunham, und Dunham hießen noch Obamas echte Großeltern.

Nach dem Ahnenforscher Hans Herren ist Obama zu 50 Prozent Kenianer, zu 35 Prozent Engländer, zu 4,6 Prozent Schotte, zu 3,9 Prozent Ire, zu 3,7 Deutscher, zu 1,5 Prozent Waliser, zu 0,97 Prozent Schweizer und zu 0,097 Prozent Franzose (Tages-Anzeiger, 14. 7. 2010).

Weniger gemütlich ist es, wenn Staats- und Völkerrechtler nach der Abstammung fragen, um jemandem Rechte zu gewähren oder abzusprechen. Welche Konsequenzen das Abstammungsprinzip hat, wusste schon der Orientalist Ernest Renan (1823-1892), der Bismarcks Reichsgründung von 1871 so kommentierte: "Fast überall, wo die hitzigen deutschen Patrioten sich auf ein altes germanisches Recht berufen, können wir ein noch älteres keltische Recht belegen, und vor den Kelten lebten dort … die Lappen; und vor den Lappen waren es Höhlenmenschen und vor den Höhlenmenschen die Orang-Utans."

Der Artikel 116 des Grundgesetzes folgt dem Orang-Utan-Prinzip, denn er definiert nicht nur - wie jede Verfassung -, wer deutscher Staatsangehöriger ist und wer nicht, sondern schafft ein Drittes: den "deutschen Volkszugehörigen". Die einmalige Rechtskonstruktion des "sonstigen Deutschen" wurde 1949 erfunden, um Optionen auf 1945 verlorene Deutsche sowie deren Nachkommen als virtuelle Staatsbürger aufrechtzuerhalten wie bis in die Siebzigerjahre den Traum vom "Deutschland in den Grenzen von 1937". Die "sonstigen Deutschen" sind Abruf-Deutsche, das heißt Nachkommen von Menschen, die einst nach Osten ausgewandert sind und sich dort "zum deutschen Volkstum bekannt" haben, wie es ein Bundesgesetz von 1961 formulierte, das die Floskel wörtlich von Wilhelm Frick, Hitlers Reichsinnenminister, übernahm. Erst 1993 wurde die "Vererbbarkeit" der deutschen Volkszugehörigkeit nach dem Orang-Utan-Prinzip eingeschränkt. Man sollte das Prinzip den Ahnenforschern überlassen.

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