Irakische Polizisten fürchten US-Abzug: "Die Terroristen hetzen uns wie Tiere"

Irakische Polizisten fürchten den Abzug der Amerikaner. Zwar ist die Zahl der Anschläge gesunken, der Job bleibt aber gefährlich. Unterwegs in Bagdad.

Verkehrspolizist im Irak. Bild: reuters

BAGDAD taz | Für Alaa Fakhr Musa hat der Arbeitstag begonnen, wie zurzeit viele seiner Tage beginnen: mit einem Mord. Um halb sechs Uhr morgens war ein Polizist erschossen worden. Die Täter entkamen, auch das wie so oft, unerkannt.

Vier Stunden später steht Musa wenige hundert Meter vom Tatort entfernt an einer Kreuzung im Westen Bagdads und regelt den Verkehr. Der Schweiß rinnt ihm von der Stirn. Auf dem Gehsteig sitzt sein Kollege mit der gezogenen Pistole schussbereit in der Hand, am Boden steht eine Kalaschnikow. "Wir wollen den Bürgern dienen", sagt Musa, "aber die Terroristen hetzen uns wie Tiere." Vor wenigen Tagen war Musa dabei, als drei seiner Kollegen erschossen wurden.

Die Morde sind die jüngsten in einer Serie von Anschlägen und Überfällen auf die Polizei, die seit Monatsbeginn die Hauptstadt in Atem hält. Allein in Bagdad wurden seither zwanzig Polizisten getötet. Bevorzugte Tatwaffen: Pistolen mit Schalldämpfern, um die Attentate leichter auf der Straße ausführen zu können. Aber die gefährlichsten Waffen sind immer noch die Sprengfallen am Straßenrand, in Autos und in Gebäuden.

Beginn des Bodenkriegs: 20. 3. 2003

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Ende des US-Kampfeinsatzes: 19. 8. 2010

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Einsatzdauer: 2.751 Tage

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US-Truppenstärke: maximal 171.000, zuletzt 56.000

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Tote US-Soldaten: 4.419

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Verwundete US-Soldaten: 31.911

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Tote Soldaten verbündeter Streitkräfte: 319

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Tote Mitarbeiter privater Sicherheitsfirmen: 467

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Tote irakische Sicherheitskräfte: zirka 12.000

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Zivile Opfer: 97.196 bis 106.071

Im Irak sind es Männer wie Major Ahmed al-Hashemi aus der Provinz Diyala im Nordosten von Bagdad, die an vorderster Front im Kampf gegen die Sprengsätze stehen. Zweimal schon hat er den gefährlichen Einsatz fast mit dem Leben bezahlt. Im Nacken hat er eine dicke Narbe, in seinem rechten Bein stecken noch immer Splitter.

Zusammen mit fünf seiner Kollegen besucht er derzeit ein Training auf dem amerikanischen Stützpunkt Forward Operation Base Warhorse bei Bakuba. Die Männer wirken wie eine eingeschworene Gemeinschaft. Sie helfen einem Kameraden in den Schutzanzug, setzen ihm den Helm auf und verschließen das Visier der Schutzmaske. Wie ein Astronaut sieht der kleine Mann darin aus. Am Ende der Übung steht eine Sprengung - der Knall durch geht Mark und Bein.

Leutnant John Taylor von der kleinen Marineeinheit, die für die Ausbildung zuständig ist, ist voll des Lobes für die Iraker. "Diese Männer machen den gefährlichsten Job der Welt", sagt Taylor. "Aber sie stehen ihren Mann. Inzwischen wickeln sie ihre Einsätze komplett ohne uns ab."

In diesem Jahr seien in Diyala, der ehemaligen Al-Qaida-Hochburg, bereits 50 bis 60 Sprengsätze explodiert, sagt Hashemi. Dennoch spricht er, ebenso wie die Amerikaner, von einer guten Entwicklung. Vor vier Jahren habe es 1.200 Bombenanschläge gegeben, im vergangenen Jahr noch 295. Wie der gesamte Irak sei Diyala auf dem richtigen Weg, sagt Brigadegeneral Patrick J. Donahue, der Vizeregionalkommandant der US-Truppen.

In seiner neuen Rolle als Ausbilder und Berater werde sich das US-Militär in den nächsten Monaten auf die Ausbildung, Ausrüstung und Verbesserung der Logistik der Iraker konzentrieren, sagt Donahue. "Damit sie bereit sind, wenn es so weit ist", sagt er mit Blick auf den Abzug der letzten US-Truppen. Dieser soll Ende 2011 erfolgen. Der irakische Generalstabschef warnte vorige Woche jedoch, dass der Termin verführt sei. Donahue will sich dazu nicht äußern.

Hashemi ist zwar froh über den Roboter zur Bekämpfung der Sprengfallen. Aber seine Einheit wie überhaupt die Polizei müsse noch viel besser ausgerüstet werden. "Die Amerikaner haben sich zu sehr auf die Armeeausbildung konzentriert und die Polizei vernachlässigt."

In Bagdad fürchtet der Verkehrspolizist Musa den Abzug der Amerikaner schon jetzt. Unter den Polizisten mache sich Furcht breit, sagt Musa. "Viele trauen sich nicht mehr, in Uniform zur Arbeit zu fahren. Es ist wie 2005."

Auch damals stritten sie die Politiker monatelang über die künftige Regierung. Täglich kam es zu Gewaltexzessen. Von den Zuständen damals ist Bagdad momentan weit entfernt. Es gibt keine Massendesertionen, die Regierung zahlt die Gehälter inzwischen pünktlich, und die Sicherheitskräfte sind besser ausgebildet.

Aber mit jedem Anschlag wächst unter den Polizisten die Angst vor einer erneuten Eskalation. "Die Gewalt zehrt an meinen Männer", sagt Leutnant Mohammed Zebun im Ostteil der Stadt. Es brauche schleunigst eine Regierung, die das Vakuum beendet. Anders als sein Kollege Musa befürwortet er den US-Abzug. "Nur Gott kann uns schützen."

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