Matthew-Barney-Ausstellung in Basel: Am liebsten hat er Vaseline

Das Schaulager Basel widmet sich dem Werk von Matthew Barney und zeigt sämtliche Folgen von "Drawing restraint": Kunstproduktion unter erschwerten Bedingungen.

Matthew Barney, DRAWING RESTRAINT 10, 2005. Dokumentationsfoto © Matthew Barney. Bild: Reggie Shiobara

Matthew Barney löste in den 1990er Jahren einen regelrechten Hype aus, mit seinem überbordend fantastischen, gleichzeitig enigmatischen Filmzyklus "Cremaster" und der Performance-Reihe "Drawing Restraint" (Zeichnen unter erschwerten Bedingungen). Meldungen über spektakuläre Verkaufspreise seiner Arbeiten und die Liaison mit der Musikerin Björk heizten das Interesse der Medien an. Dabei gibt der zurückhaltende Künstler nur sehr wenig über sein künstlerisches Konzept und gar nichts über sein Privatleben preis.

In seinen Kunstfilmen kämpfen Satyrn in einer Luxuslimousine um Vorrang, Freimaurer vollziehen einen blutigen Initiationsritus und ein Liebespaar trennt sich mit Messern die Beine ab. Das Publikum strömt in die Ausstellungen des Superstars, fasziniert von Ekel, Schauder und staunender Verblüffung angesichts der verschwenderischen Kunstexerzitien.

Im Schaulager Basel bietet die Ausstellung "Prayer Sheet with the Wound and the Nail" (Gebetsblatt mit der Wunde und dem Kreuznagel) die Gelegenheit, sich genauer mit diesem Werk zu beschäftigen. Anhand von filmischen Dokumentationen, Requisiten, Kostümen und Zeichnungen präsentiert das Haus sämtliche der bislang 16 Teile von "Drawing Restraint" (DR).

Für die ersten Performances entwickelte Barney seltsame Installationen aus Rampen, Trampolinen, Kletterseilen und Hantelgewichten. Um mit einem Stift auf ein Blatt Papier oder direkt auf einer Wand zu zeichnen, überwand der Künstler diese selbst konstruierten Hindernisse. Da Barney die Zeichenfläche immer nur für den Bruchteil von Sekunden berührte, kamen nur ein paar krakelige Markierungen zustande. Wie Sisyphos setzte der Künstler immer wieder neu an und brachte so die Vergeblichkeit all seiner Mühen zur Anschauung.

Obwohl Matthew Barneys Werk mit kunst- und medienhistorischen wie auch gesellschaftspolitischen Implikationen kokettiert, sieht er sich vor allem durch seine Zeit als semiprofessioneller Footballspieler geprägt. Sehr amerikanisch, wenn man so will, setzen seine gewagten Performances zunächst einmal körperliche Fitness voraus. Für DR 11, 12 und 14 kraxelte er wie ein Extremsportler an Klettergriffen an Museumswänden empor, um in luftiger Höhe eine Zeichnung zu fertigen. Die Zeichnungen von DR 15 entstanden auf offener See. An einem Seil baumelnd und dem Wellengang ausgesetzt, versuchte Barney an der Außenwand einer Motoryacht zu zeichnen.

Den größten Raum nimmt in Basel die Dokumentation des neunten Teils aus dem DR-Zyklus ein. Der Film erzählt von einem Liebespaar, das sich auf einem japanischen Walfangschiff begegnet und sich in Wale verwandelt. Im Untergeschoss des Schaulagers werden drei riesige Skulpturen aus Vaseline präsentiert, die auf die verschiedenen Phasen des Verwandlungsprozesses Bezug nehmen.

Verhärten und verflüssigen

Das salbenartige, extrem formbare Gemisch zählt zu den Lieblingsmaterialien des Künstlers, dessen Werk vom Prozess des Verhärtens und Verflüssigens fasziniert ist. Ein Vorgang, den auch der Pottwal kennt, wenn er das sogenannte Walrat in seinem Kopf hart werden lässt, indem er es durch sein Blasloch mit kaltem Wasser abkühlt. So wird das Tier schwerer und kann abtauchen. Will es zurück an die Oberfläche, erwärmt und verflüssigt es die feste Masse durch Zirkulation seines Bluts.

Zwei Arbeiten hat Barney für das Schaulager neu geschaffen. In DR 17 kommt wieder ein Trampolin zum Einsatz, während DR 18 einen Film, der an der Außenwand des Schaulagers auf zwei LED-Bildschirmen zu sehen ist, mit einer mehrteiligen Installation kombiniert. Die filmische Erzählung beginnt mit einer jungen Frau, die im Garten des Goetheanum, dem Sitz der anthropologischen Gesellschaft nahe Basel, ein Loch gräbt. Später klettert sie eine Wand im Atrium des Schaulagers hoch. Als sie die letzte Sprosse erreicht, reißt diese aus der Wand und die Frau stürzt in die Tiefe. Auf dem Boden durchschlägt die Extremkletterin einen Holzrahmen, der mit einem weißen Tuch bespannt ist. Ob das als Kritik an der anthropologischen Lehre zu interpretieren ist, bleibt rätselhaft.

Ebenso unschlüssig erscheint die Gegenüberstellung von knapp 70 Holzschnitten, Stichen und Zeichnungen aus dem zentralen Bestand des Schaulagers mit dem "Drawing Restraint"-Zyklus. Die Arbeiten aus dem 16. und 17. Jahrhundert zeigen christliche Martyrien, Motive der Passionsgeschichte und der Mythologie. Falls der New Yorker Kurator Neville Wakefield den Künstler als Erlöser und das Schaulager als säkularisierte Kunstkirche inszenieren wollte, geht dieses Kalkül nicht auf.

Denn Barney mimt in seinen Arbeiten weder den Schmerzensmann, noch greift er Motive christlicher Ikonografie auf. Mit Martin Schongauer, Urs Graf und Albrecht Dürer, die es an Drastik nicht haben mangeln lassen, verbindet ihn allein das Thema vom Widerstand des verwundbaren Körpers. Eine Ausnahme bilden Hendrick Goltzius Stiche der vier Himmelsstürmer, die, von Übermut und Selbstüberhebung getrieben, sehr tief fallen. Matthew Barney hingegen steigt unaufhaltsam den Kunstolymp hinauf. Sein Weg scheint ihm jedoch, wie er in einem Interview bemerkte, selbst nicht ganz geheuer zu sein.

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