Polizeieinsatz gegen "Stuttgart 21"-Gegner: Grüne wollen Untersuchungsausschuss

Die Grünen im Landtag fordern, dass ein Untersuchungsausschuss klärt, wer die brutalen Szenen im Schlossgarten zu verantworten hat. Gegner sehen Chancen für Schlichtungsgespräche schwinden.

Der Wasserwerfereinsatz soll ein parlamentarisches Nachspiel haben. Bild: dpa

STUTTGART dapd/dpa | Die Grünen im baden-württembergischen Landtag wollen einen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des Polizeieinsatzes im Stuttgarter Schlossgarten vor knapp zwei Wochen beantragen. "Im Zentrum steht die Frage: Wer hat für diesen Strategiewechsel vonseiten der Politik gesorgt und wer trägt die Verantwortung für genau diesen Polizeieinsatz", sagte der innenpolitische Sprecher Uli Sckerl am Mittwoch. Es habe sich um den härtesten Einsatz "seit vielen Jahrzehnten" gehandelt. "Da halten wir vollständige Aufklärung für dringend notwendig."

Die Polizei war vor knapp zwei Wochen gegen Demonstranten vorgegangen, die das Fällen der Bäume im Unteren Schlossgarten für das umstrittene Bahnprojekt "Stuttgart 21" verhindern wollten. Bei dem Einsatz wurden über 100 Personen verletzt, darunter auch sechs Polizisten.

Schwere Folgen hat der umstrittene Polizeieinsatz den dabei verletzten Stuttgart-21-Gegner Dietrich Wagner: Er bleibt seinen Ärzten zufolge auf einem Auge blind. Beim Einsatz eines Wasserwerfers habe er Prellungen auf beiden Augen erlitten und werde noch stationär behandelt, sagte eine Sprecherin des Stuttgarter Katharinenhospitals der dpa. Auf einem Auge werde der Rentner keine Sehfähigkeit mehr erreichen. Auf dem anderen könne er nach zwei Operationen Menschen grob erkennen. "Es gibt aber eine leise Hoffnung auf weitere Besserung", sagte die Sprecherin.

Uli Sckerl verwies darauf, dass es ausdrücklich kein Untersuchungsausschuss gegen die Polizei sein solle. "Wir haben eine Reihe von Hinweisen, dass vonseiten der Politik, der Landesregierung im Vorfeld erheblicher Einfluss auf die Polizeiführung und die Strategie dieses Einsatzes ausgeübt wurde", sagte Sckerl. Unter anderem gebe es Anhaltspunkte, dass Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) "an mindestens einer Strategie- und Einsatzbesprechung führend beteiligt war".

Geklärt werden solle zudem die Frage sein, ob das Fällen der Bäume rechtmäßig gewesen sei. Hierfür wollen die Grünen wissen, zu welchem Zeitpunkt welche Personen in der Landesregierung, den Ministerien, in Landesbehörden oder im Regierungspräsidium Stuttgart Kenntnis von einem Schreiben des Eisenbahnbundesamt hatten, in dem dieses naturschutzrechtliche Bedenken gegen das Fällen der Bäume erhoben hatte.

Ein Untersuchungsausschuss muss mindestens von einem Viertel der Mitglieder des Landtags beantragt werden. Die Grünen können die Einsetzung des Gremiums daher nicht erzwingen, sondern sind auf die Unterstützung der SPD angewiesen. Die SPD favorisiert eine Aufarbeitung der Vorfälle mithilfe einer parlamentarischen Anfrage. Sckerl warb dennoch um die Unterstützung der Sozialdemokraten und zeigte sich optimistisch, dass "uns das bis zur nächsten Plenumssitzung des Landtags in Baden-Württemberg gelingen wird". Möglichst am 27. oder 28. Oktober solle über den Antrag abgestimmt werden. Bis Januar wollen die Grünen die Untersuchung abgeschlossen haben.

Trotz verhärteter Fronten im Konflikt um das Bahnprojekt halten die Grünen ein Gespräch zwischen Gegnern und Befürwortern weiter für möglich. "Die Hürden sind überspringbar, wenn man nur will", sagte der Grünen-Fraktionschef im Gemeinderat, Werner Wölfle, am Mittwoch. Der Schlichter Heiner Geißler hatte sich am Dienstag mit Gegnern des Riesenprojekts getroffen, bei dem unter anderem der Bahnhof unter die Erde verlegt werden soll. Geißler zeigte sich danach optimistisch, die Fronten noch aufbrechen zu können. Ein erstes Treffen beider Lager wird an diesem Freitag oder Anfang kommender Woche erwartet.

Gegner geben Schlichtungsgesprächen kaum Chancdn

Dagegen sehen die außerparlamentarischen Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 die Chancen für Schlichter Heiner Geißler schwinden. Der Sprecher der sogenannten Parkschützer, Fritz Mielert, hält Geißlers Erfolgsaussichten für gering. Schlichtungsgespräche mit der Bahn und Baden-Württembergs CDU/FDP-Landesregierung seien nur denkbar, "wenn während dieser Gespräche keine weiteren Fakten geschaffen werden", sagte Mielert am Mittwoch dem Rundfunk Berlin-Brandenburg.

Bahnchef Rüdiger Grube und die Landesregierung lehnen jedoch einen von den Gegnern als Bedingung für Gespräche geforderten vollständigen Bau- und Vergabestopp ab. "Ich gehe im Moment nicht davon aus, dass es Herr Geißler schafft, bis Freitag diesen Konflikt aus der Welt zu schaffen", sagte Mielert.

Der baden-württembergische CDU-Landtagsfraktionschef Peter Hauk rief im Deutschlandradio Kultur die Gegner auf, "die Schützengräben zu verlassen". Sie müssten ihre Bedingung für eine Schlichtung herunterschrauben. Mit einer Bauunterbrechung könne man leben, wenn es nicht zu Verzögerungen im Gesamtprojekt komme, sagte Hauk. So könne der Südflügel des Bahnhofs vorläufig stehen bleiben. Zudem würden im Schlossgarten derzeit keine weiteren Bäume gefällt. In der Frage, ob Stuttgart 21 gebaut werde, werde es am Ende jedoch keinen Kompromiss geben, betonte der Christdemokrat.

Südflügel-Abriss war für 2012 geplant

Unterdessen ist bekannt geworden, dass der Südflügel des Stuttgarter Hauptbahnhofs ursprünglich erst in zwei Jahren abgerissen werden sollte. Das berichtete das Magazin Stern am Mittwoch vorab unter Berufung auf vertrauliche Planungsunterlagen.

Ein Sprecher des baden-württembergischen Verkehrsministeriums bestätigte am Mittwoch, dass der faktisch notwendige Termin für den Abriss der 20. August 2012 gewesen sei. Da die Mieter den Südflügel jedoch schneller als geplant geräumt hätten, habe man aus wirtschaftlichen Erwägungen entschieden, den Abbruch gleich an den des Nordflügels anzuschließen. Angesichts der angespannten Situation rund um das Großprojekt habe man nun jedoch beschlossen, "Tempo rauszunehmen" und den Abriss auf einen späteren Zeitpunkt zu datieren. Dies sei ein Zugeständnis an die Projektgegner. Die Planungsunterlagen seien somit geändert worden.

Vor rund einer Woche hatten Landesregierung und Bahn einen vorläufigen Abrissstopp am Südflügel verkündet und dies als deutliches Signal des Entgegenkommens an die Gegner des Projekts dargestellt. Das Magazin zog diese Darstellung in seinem Bericht in Zweifel.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.