Streit um arisiertes Haus: Der Kronzeuge aus Amerika

In Hamburg streitet die jüdische Gemeinde über die Zukunft einer arisierten Villa in bester Lage. Der Gemeindevorstand hat einen Käufer, das charismatisch-orthodoxe Chabad-Zentrum will selbst übernehmen. Es geht auch um die Einheit der Gemeinde.

Verblasste Kindheitserinnerungen: Juergen Schulz vor der Villa in der Rothenbaumchaussee 19, die seiner Großtante gehörte. Schulz war dort zu Besuch, bevor seine Familie in die USA emigrierte. Bild: Miguel Ferraz

Zum Sitz der Jüdischen Gemeinde im Hamburger Grindelviertel geht es durch eine Sicherheitsschleuse. Eine Tür geht auf, der Besucher tritt ein, und erst wenn die erste Tür zu ist, geht die nächste auf, die ins Innere der Talmud Thora-Schule führt. Und dann steht drinnen auf den Treppenstufen ein Wachmann und will die Ausweise sehen.

"Sie sehen ja, es ist gar nicht so leicht, bei uns hereinzukommen", sagt Karin Feingold, Vorstandsmitglied der Gemeinde, und lächelt hinter ihrer großen Brille. Zusammen mit Ruben Herzberg, dem Gemeindevorsitzenden, hat sie zu dem Treffen geladen. Darf ich vorstellen, Professor Juergen Schulz und Professor Ann Schulz, Rhode Island, USA, die Schulzens lächeln ins Leere hinein, der Sinn der Zusammenkunft scheint ihnen nicht ganz klar.

Juergen Schulz, 83, 1938 aus Hamburg in die USA emigriert, lehrte Kunstgeschichte, erst in Berkeley und dann an der Brown University, Spezialgebiet: venezianische Renaissance, aber deswegen ist er nicht hier. Schulz ist einer der letzten Nachfahren der vormaligen jüdischen Besitzer einer Villa, um die es in Hamburg seit Jahren Streit gibt. Die Villa liegt in bester Lage an der Hamburger Rothenbaumchaussee und gehört zurzeit der Lehrergewerkschaft GEW, davor dem Nationalsozialistischen Lehrerbund, der sie 1935 für den äußerst niedrigen Preis von 40.000 Reichsmark den jüdischen Besitzern abkaufte.

Nach dem Holocaust wurde die Gemeinde von 72 Überlebenden wiedergegründet. 1947 zählte sie 1.268 Mitglieder. 1925 hatte Hamburg fast 20.000 jüdische Einwohner gehabt.

2003 kommen Shlomo und Chani Bistritzky nach Hamburg, um als Gesandte der Chabad Lubawitsch-Bewegung die Diaspora-Gemeinde zu unterstützen. Die Bewegung hat ihre Wurzeln im chassidischen Judentum und fordert die Einhaltung der religiösen Gesetze.

2007 wurde Ruben Herzberg nach einem scharf geführten Wahlkampf zum Gemeindevorsitzenden gewählt. Er hatte seinem Vorgänger Andreas Wankum Misswirtschaft vorgeworfen.

2008 trennte sich der Gemeindevorstand um Herzberg von dem langjährigen Rabbiner der Gemeinde, Dov-Levy Barsilay. Der Vorwurf lautete, er habe sein Rabbiner-Diplom gefälscht. Barsilay blieb aber Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz und ist weiter in Schleswig-Holstein tätig.

2009 schloss der Gemeindevorstand den ehemaligen Vorsitzenden Andreas Wankum aus der Gemeinde aus. Er könnte keine zureichenden Dokumente vorlegen, dass seine Mutter Jüdin sei.

2010 wurde Wankum von der Orthodoxen Rabbinerkonferenz rehabilitiert. Gleichzeitig entbrennt ein Streit um den Kauf der arisierten Villa in der Rothenbaumchaussee. Wankum ist einer der Berater von Chabad Lubawatisch.

Lange hatte die Gewerkschaft gebraucht, um sich von ihrem Besitz zu trennen, jetzt wollte sie die Immobilie für 2,5 Millionen Euro an Hamburgs Jüdische Gemeinde geben, die allerdings hoch verschuldet ist. Herzberg hatte darum einen jüdischen Unternehmer eingeschaltet, der das Geld geben wollte. Zehn Jahre mietfrei, so war es abgemacht, sollte die Jüdische Gemeinde ins Erdgeschoss ziehen dürfen, die oberen drei Stockwerke wären für die Akademie der Weltreligionen an der Hamburger Universität reserviert gewesen.

Noch bevor der Vertrag unterschriftsreif war, flog der Name des Käufers auf: Es war Burton Feingold, ein Freund Herzbergs und Ehemann von Gemeindevorstand Karin Feingold. In der Hamburger Gemeinde kam es zu Protesten, Rabbi Shlomo Bistritzky wurde im Hamburger Abendblatt mit der Bemerkung zitiert, Herzberg lasse "wertvolle Immobilien an seine Günstlinge verschachern", eine Formulierung, die der Rabbi im nachhinein unglücklich findet. Herzberg wiederum zeigte sich "tief gekränkt" und versicherte, Feingold habe "nur Gutes tun" wollen, außerdem habe Bistritzky die Villa selber kaufen wollen.

Rabbi Bistritzky gehört zur Jüdischen Gemeinde Hamburg, doch obwohl die Gemeinde seit zwei Jahren keinen Rabbi mehr hat, ist Bistritzky nur ein "freier Mitarbeiter, mit dem wir einen Honorarvertrag haben", wie Herzberg bei jeder Gelegenheit betont. Bistritzky liest die Thora, er spricht Gebete, zelebriert Beerdigungen - aber der Gemeinde-Rabbiner ist er nicht. 2003 ist er mit Frau und Kindern aus Israel gekommen, weil ihn die charismatische Chabad-Lubawitsch-Bewegung nach Hamburg geschickt hat, in die Stadt seiner Vorfahren. Bistritzky und seine Frau sind Schluchim, Botschafter, die von der Bewegung mit Sitz in New York in die Exilgemeinden in der ganzen Welt geschickt werden. Bistritzky sagt, er wolle "den Leuten helfen, ihr Jüdischsein zu leben".

Der Rabbi sitzt in seinem winzigen Büro, vor sich einen alten Laptop und ein iPhone, hinter sich ein Poster des letzten Führers der Chabad-Bewegung, Rebbe Menachem Mendel Schneerson. In der Jüdischen Gemeinde zu Hamburg seien "höchstens 15 Familien" orthodox, schätzt Bistritzky, die anderen hielten die Vorschriften der Thora nicht ein. Bistritzky ist gekommen, um das zu ändern. "Wir zwingen niemand, wir laden ein", sagt er. 613 Ver- und Gebote gebe es für Juden, viele allerdings gelten nur in Israel, oder nur für Männer.

Sein Chabad-Zentrum liegt versteckt hinter einer Shell-Tankstelle, im zweiten Stock eines dünnwandigen Gebäudes, alle Türen sind offen. Das Chabad-Zentrum ist inzwischen so etwas wie eine zweite Hamburger Synagoge, beim Freitagabend-Gebet seien in ihrem Zentrum oft 100 Leute, in der Synagoge der Jüdischen Gemeinde vielleicht 20, sagt Bistritzky, der ja beides macht und es darum wissen muss.

"Chabad vermittelt, dass Jüdischsein Spaß machen kann", sagt die Managerin Gabriele Kellermann, die eigens aus Bremen nach Hamburg zu Rabbi Bistritzky reist, weil ihr die Jüdische Gemeinde in Bremen zu langweilig ist. In der jüdischen Gemeinde in Hamburg, sagt sie, sei es noch schlimmer, da gehe es "nur noch um Kaffeekränzchen und Klezmermusik", mit Jüdischsein habe das nichts zu tun.

Bistritzky wollte die Villa in der Rothenbaumchaussee 19 kaufen, weil sein Zentrum zu eng wird. Er war schon in Verhandlungen mit der GEW, doch als die Jüdische Gemeinde auf den Plan trat, hatte Chabad keine Chancen mehr - sehr zu Bistritzkys Ärger. "Was hat eine Akademie der Weltreligionen mit Jüdischsein zu tun?", fragt er. "Wäre ein Jüdisches Zentrum nicht besser?"

Herzberg sagt, er verstehe Bistritzkys Enttäuschung, schließlich habe der mitsamt seiner Familie in die GEW-Villa einziehen wollen. Bistritzky sagt, das stimme, aber seine Wohnung sei immer eine Dienstwohnung, Tag und Nacht hätten sie Besuch, schon jetzt halte seine Frau in den Privaträumen die Sonntagschule ab.

Inzwischen liegen die Nerven auf beiden Seiten blank, darum hat Herzberg Juergen Schulz bestellt, den feinsinnigen Kunstprofessor aus Rhode Island. An die Villa in der Rothenbaumchaussee erinnert er sich kaum, die habe wohl einer Großtante gehört, und er sei zu Besuch gewesen, "aber das ist lange her".

Eine Position zu dem Streit um das Haus hat Schulz aber. Chabad Lubawitsch, sagt er, würden sich in den USA immer mit anderen Jüdischen Gemeinden streiten. Das Haus in der Rothenbaumchaussee dürfe "keiner kleinen Sekte gehören, die sich mit anderen zankt", sondern müsse für alle offen sein. Er hätte sich ein Museum gewünscht, das der jüdischen Community in Hamburg gewidmet wäre, "nicht nur denen, die offiziell der Gemeinde angehören".

Das ist nun genau das Argument von Herzberg, der sagt, die Jüdische Gemeinde repräsentiere alle Juden, sogar die, die gar nicht in der Gemeinde seien. Die einen hielten es mit dem religiösen Vorschriften streng und die anderen wieder nicht. "Wir werden auf keinen Fall eine Lösung zulassen, bei der Partikularinteressen eine Rolle spielen", sagt Herzberg bei dem Treffen in der Talmud Thora-Schule, und dann wiederholt er den Vorwurf, Rabbi Bistritzky habe selbst in eine Etage der Villa einziehen wollen. Eine weitere Etage sei für die Gäste von Chabad vorgesehen gewesen, sagt Herzberg, der in Hamburg vor allem als engagierter Schulleiter des Reformgymnasiums Klosterschule bekannt war, bevor er 2007 Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde wurde.

Wie es mit der Rothenbaumchaussee 19 weitergeht, ist allerdings weniger klar denn je. "Wir stehen zu unserem Beschluss", sagt Andreas Hamm, Referent bei der Hamburger GEW, zu den Plänen, an Feingold zu verkaufen. Für ihn ist er "der Investor der jüdischen Gemeinde", aber genau das ist inzwischen die Frage. Sind die 2,2 Millionen Euro, die als Kaufpreis kursieren, ein Schnäppchen, wie Herzbergs Vorgänger, der Immobilienunternehmer und CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Wankum meint? Seiner Meinung nach liegt der Verkehrswert der Immobilie bei 4,5 bis 5 Millionen. Ein Gutachten der Gewerkschaft von 2008 hatte den Wert der Villa dagegen auf 2,5 Millionen taxiert, ein Nachlass von 20 Prozent sollte eine Art Wiedergutmachung sein.

Ob Feingold bei der Stange bleibt, ist ungewiss. Der Unternehmer sei "tief getroffen", dass er jetzt öffentlich beschuldigt werde, sagte Herzberg in der Talmud Thora-Schule. Karin Feingold wollte sich zu den Aussichten nicht äußern. "In der Tat bin ich verheiratet, namensgleich mit Burton Feingold", sagte sie, sie könne aber nur sagen, "dass es mehrere Interessenten für das Gebäude gibt".

Die Gefahr, dass bei einem privaten Käufer das Haus später wiederverkauft werden könnte, wenn nicht von ihm selbst, dann von seinen Erben, sieht Karin Feingold nicht. "Man kann erwarten, dass, wer auch immer das Haus kauft, Verantwortung zeigt über seinen Tod hinaus", sagt sie, und dabei zittert ihre Stimme.

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