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Sicherheitsvorkehrungen ausgeweitetParlament im Fadenkreuz

Hunderte Meter Absperrgitter, Kuppel und Dachterrasse des Reichstags sind geschlossen: Der Reichstag ist nun abgesperrt. Trotzdem herrscht Gelassenheit.

Sicherheit? Oder Pose? Oder beides? Bild: reuters

Tristes Berliner Regierungsviertel. Die Sonne des Wochenendes ist weg, die Wolken hängen tief, es regnet. An diesem Montagmorgen, als es noch dunkel war, um sechs Uhr, hat sich die Gegend verändert.

Hunderte Meter Absperrgitter begrenzen den Reichstag nun, schließen die Abgeordnetenhäuser mit ein. Die Bundespolizei sichert die Zufahrtswege. Dutzende Polizisten sind im Einsatz, ab sofort rund um die Uhr. "Plausible Hinweise" auf eine Bedrohung des Gebäudes gebe es, begründet Berlins SPD-Innensenator Ehrhart Körting.

Letzte Woche hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière Deutschland so konkret wie nie zuvor vor islamistischem Terror gewarnt. Seitdem tickt das Land anders. Nirgendwo zeigt sich das deutlicher als im politischen Machtzentrum. Es gilt als potenzielles Anschlagsziel. Es gebe Hinweise, dass Terroristen diese Woche einreisen könnten, warnt de Maizière. Der CDU-Innenminister gilt in Berlin als seriöser Politiker. Er wolle nur warnen, wenn wirklich Gefahr bestehe, hatte er zu Beginn seiner Amtszeit betont.

Jetzt ist es demnach so weit. An diesem Montagmorgen wird die abstrakte Gefahr in Berlin konkret: Neben den zahlreichen Absperrungen bleiben nun auch Kuppel und Dachterrasse des Reichstags geschlossen.

Vor dem Haupteingang, wo sonst eine Menschenschlange wartet, um auf die Kuppel zu gelangen, stehen jetzt Polizisten, die Maschinenpistole geschultert. Sie schweigen, eine Dienstanweisung. Sie achten darauf, dass keiner der wenigen Touristen die Absperrung übertritt. Immer wieder nähern sich vereinzelt Personen, fragen nach Einlass - und drehen bald wieder ab.

Der Reichstag ist an diesem Montag zur Hochsicherheitszone geworden.

Es ist ein dummer Zufall, dass Baruch Schler und seine Frau Eva gerade an diesem Tag das erste Mal Berlin besuchen. Das Paar wohnt eigentlich am Stadtrand von Tel Aviv in Israel. Lange hat Baruch Schler als Arzt in der Schweiz gearbeitet. Er spricht fehlerfreies Deutsch. "Ärgerlich", findet er die Sperrung. Von Angst spüre er nichts, terroristische Gefahren seien in Israel "ganz normal". Fühlen Sie sich bedroht? "Deutschland fühlt sich bedroht", sagt er. Besser aufpassen müssten die Deutschen nun - das tun auch die Schlers zu Hause. Aber wer übertreibe, "spielt den Terroristen in die Hände".

Gelassen reagieren auch die vielen Angestellten im Bundestag auf die Situation. Ein Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten sagt, er arbeite "wie immer". Ein Wachmann an den Türen witzelt, er habe keine Angst, "höchstens vor Journalisten". Und eine Angestellte des Besucherdienstes sagt, sie könne sich ja auch nicht unter der Bettdecke verstecken. "Es ist halt mein Job."

Mit der Hausmitteilung 268/2010 hat die Bundestagsverwaltung die Mitarbeiter der Abgeordnetenbüros am Montagmorgen um Unterstützung gebeten. "Sie unterstützen unsere Sicherheitsbemühungen, indem Sie der Pflicht zur offenen Trageweise der Hausausweise in den Bundesliegenschaften uneingeschränkt nachkommen", steht dort, "und keine Gepäckstücke in den allgemein zugänglichen Bereichen unbeaufsichtigt abstellen oder lagern".

Nüchtern klingt das. So ist die Stimmung zu Beginn der Woche, die eine Zäsur darstellt, weil die Bedrohung laut Innenexperten noch nie so konkret war wie jetzt. So ist die Stimmung auch im Reichstag, dem Gebäude, das vielleicht ein konkretes Anschlagsziel ist. So scheint sie auch bei Innenminister de Maizière selbst zu sein, der in all seinen Interviews der vergangenen Tage peinlich genau darauf achtet, die Balance zwischen zu viel und zu wenig Warnung zu finden. Auch wer an diesem Montag durch das Parlamentsgebäude läuft, könnte denken: Je näher eine Gefahr ist, desto cooler, desto nüchterner die Reaktion der Betroffenen.

Im Paul-Löbe-Haus, dem Abgeordnetenhaus, wird just an diesem Montag der Weihnachtsbaum im Foyer an der riesigen Fensterwand zur Spree aufgestellt. Zwei Arbeiter versuchen sich an einer Leiter, plötzlich ein Knall. "Boah, ein Terroranschlag", sagen zwei Männer in Sakkos, die gerade vorbeilaufen. Sie lachen. Die Leiter war umgefallen, mehr nicht.

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5 Kommentare

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  • N
    Nordwind

    Schon die Bekanntgabe des Einreisetermins und der Route der Terroristen zeigte, dass es sich hier um eine Inszenierung handelt.

     

    Wo bleiben eigentlich die kritischen Journalisten. Also jene, die nicht in einen unsinnigen Alarmismus verfallen und die Dinge einmal hinterfragen.

     

    Denn entweder wurde diese Information (wenn sie denn richtig ist)von jemanden in einer Sicherheitsbehörde durchgesteckt. Oder die Informationen sind schlicht von interessierter Seite erfunden.

     

    In beiden Fällen haben wir offensichtlich ein Problem. Statt die Dinge zu hinterfragen inszeniert der Journalismus in allen Blättern und auf allen Kanälen unkritisch ein imaginäres Gefahrenpotential das sich ausschliesslich auf ominöse, weil nicht fassbare, Quellen stützt.

     

    Echte Journalisten würden hier nicht mit der Herde im Nebel stochern oder Stimmungsberichte verfassen. Sie würden anfangen zu recherchieren.

  • MM
    Mina Mühsam

    Deutschland setzt mal wieder auf die Angst der Bürger um unsere Freiheiten einzuschränken. Die Polizeipräsenz ist nur der Anfang. Später werden die Gesetze geändert. Es gibt Entwarnung und die Gesetze bleiben. Oder es wird ein Polizeistaat angestrebt um sich zusammenschließen zu können mit USA und wer noch Lust hat weiter und diesmal endgültig den gesamten mittleren Osten auszuradieren. Wenn jemand einen Anschlag verüben will, halten ihn oder sie weder Gesetze noch Sicherheitsmaßnhmen ab. Welche Sicherheit haben wir als Bürger, dass unsere Regierung - die sich wahrlich nicht als vertrauenswürdig bewiesen hat - vor allem nicht in Berlin und Hamburg - nicht anfängt UNS als Bürger zu terrorisieren? Und HAT sie das nicht schon längst? Weg mit den Kita-Gebühren, her mit der Erbschaftssteuer für Reiche, etc. pp. Wir haben weder Sicherheiten, noch eine bewegende Opposition zur Führungsriege. Das ist so gewollt, damit wir Bürger regierbar bleiben, und nicht verlangen, über die Finanzen, die aus UNSERER Tasche stammen, mitzubestimmen. Gerecht wäre es, eine Datenaufnahme aller steuerzahlenden Personen jährlich zu machen, und jeden das Geld aufteilen zu lassen. Jeder möge sich die Konsequenzen vorstellen. So finanzieren wir die Sicherheit der Politiker und Reichen. Anders könnten wir nicht nur Arbeitsplätze schaffen, sondern jeden deutschen und nichtdeutschen Steuerzahler herzlich begrüßen, die Kinderbetreuung, Bildung und Umwelt grundsanieren, und und und... Vielleicht geht es ja nur mir so, aber ich dachte ich lebe in einer Demokratie. Dieses System ist keine Demokratie. Sonst würde ich als deutsche Steuerzahlerin persönlich gefragt werden. Würden Sie das nicht auch wollen? Herzliche Grüße, Mina Mühsam.

  • M
    max

    ein interessanten "Nebeneffekt" der Sperrungen?

     

    http://bit.ly/eJ8qlE

     

    Kann ja nun nicht stattfinden.

  • V
    vic

    "Der CDU-Innenminister gilt in Berlin als seriöser Politiker", schreiben sie.

    Warum nur, frage ich mich. Mir drängt sich ein anderer Eindruck auf.

    Nun ja, wie`s scheint hat wenigstens die politische Elite Angst vor den bösen Terroristen aus dem Morgenland.

  • N
    nasowas

    ja perfekt, das bleibt dann einfach so bis die gefahr vorbei ist. das sind ja scheinbar sehr konkrete infos die dem ministerium vorliegen. so freitag abends 17 uhr. bei der nächsten warnung dann halt nochmal. rundum schutz für alle.