Fehmarnbelt-Querung: Wenn Gleise trennen

Ob Tunnel oder Brücke - das größte Verkehrsprojekt Deutschlands erfordert den Ausbau der Bahnstrecken im Hinterland Ostholsteins. In der Bevölkerung stößt das nicht nur auf Zustimmung: Entlang der geplanten Trasse haben sich Bürgerinitiativen gegründet. Es geht um Kammmolche, Umwege und die Breite der Mähdrescher. Ein Besuch in der Lübecker Bucht.

Noch ist es ruhig und eingleisig in Scharbeutz: Wird die Bestandstrasse ausgebaut, fahren hier Güterzüge und ICE. Bild: Ulrike Schmidt

Die Bahnstrecke von Lübeck hoch Richtung Fehmarn führt keine 50 Meter am Wohnhaus von Frauke Redderberg vorbei. Das Küchenfenster ist einen Spalt geöffnet, aber die ab und an vorbeifahrenden Züge sind kaum zu hören. "Da ist wieder einer", sagt Redderberg. Leises Rauschen, zu sehen ist nichts. Die Redderbergs haben einen Lärmschutzwall aufgeschüttet, als das Gleisbett in den 70er Jahren verbreitert wurde, um Platz für ein zweites Gleis zu schaffen. Seitdem gibt es hier keine Schranke mehr und der direkte Weg vom Hof zu 80 Hektar Land ist versperrt. Sie müssen runter vom Hof, rauf auf die Umgehungsstraße, über die Brücke.

Das zweite Gleis ist bisher nicht gebaut worden, das könnte sich aber ändern, wenn mit der Brücke über den Fehmarnbelt oder dem Tunnel darunter die Schienenanbindung durch Ostholstein käme. Dann würden nicht mehr nur ein paar Nahverkehrszüge am Hof der Redderbergs in Scharbeutz vorbeirauschen, sondern auch Fernverkehrs- und Güterzüge.

"Wenn das Straßen- und Schienennetz für die Querung ausgebaut wird, werden wir in Ostholstein zum Transitland", sagt Redderberg. Das will sie nicht hinnehmen, glaubt nicht daran, dass die neue Strecke den Landstrich beleben könnte, sich mehr Unternehmen ansiedeln würden und mehr Touristen aus Dänemark kämen, wie die Befürworter sagen. "Die Züge fahren hier doch nur durch", sagt sie. Eine neue Haltestelle würden sie auch nicht bekommen und die ICE hielten vielleicht in Lübeck, aber selbst da sei nicht sicher, ob es genug Fahrgäste für einen ICE-Halt gäbe.

Redderberg hat die Bürgerinitiative "Tourismusort statt Transitort" mitgegründet, ist die erste Vorsitzende. Ihre Initiative ist Mitglied in der Allianz gegen eine feste Fehmarnbelt-Querung, einem Zusammenschluss von mittlerweile zehn Bürgerinitiativen, die sich entlang der möglichen Trasse gegründet haben, die zur 19 Kilometer langen Brücke über den Belt oder zum 17,6 Kilometer langen Tunnel führen soll. Ihr Ziel: Das Verkehrsprojekt verhindern, das der Bundesverkehrsminister derzeit als das wirtschaftlichste Bahnprojekt Deutschlands einschätzt.

Noch ist nicht entschieden, wo genau die zweispurige Trasse durch Ostholstein verlaufen würde. Im Gespräch sind fünf Varianten, eine davon ist der Ausbau der Strecke zwischen Bad Schwartau und Neustadt, die an Redderbergs Küchenfenster und unweit der Seebäder in der Lübecker Bucht mit ihren Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen vorbeiführt. Die Bürgermeister und Tourismusbetriebe haben sich gegen den Ausbau dieser Bestandstrasse ausgesprochen, zu laut, zu nah an den Orten, zu unattraktiv für die Gäste. Immerhin ist Schleswig-Holstein das drittbeliebteste Urlaubsziel in Deutschland. Und das wolle man nicht gefährden.

Der Kreis Ostholstein hat die Bahn und die betroffenen Gemeinden an einen Tisch geholt und eine unabhängige Betroffenheitsanalyse erstellen lassen. Herausgekommen ist die sogenannte X-Trasse, die nahezu parallel zur Autobahn 1 verlaufen würde. "Laut Betroffenheitsanalyse ist die X-Trasse die sozialverträglichste Variante, weil am wenigsten Menschen betroffen wären", sagt Redderberg. Sie wäre eine der etwa 4.400 Betroffenen.

"Ich zeige Ihnen, was das für uns bedeuten würden", sagt Redderberg, und mit dem Auto gehts runter vom Hof auf die Umgehungsstraße, über die Brücke, einen triefnassen Feldweg entlang Richtung A 1, an der ihr Land im Westen endet. "Wir haben hier noch 120 zusammenhängende Hektar", sagt sie und deutet hinter sich in den nieselgrauen Tag, auf die abgeernteten Maisfelder: "Die X-Trasse würde diese Fläche zerschneiden." Das sei problematisch, weil nur große und eckige Flächen rentabel zu bestellen seien.

"Wir erbringen mit unserer Biogasanlage rund 15 Prozent des Energiebedarfs der Gemeinde Ratekau", sagt Redderberg, deren Handy während des Gesprächs unablässig klingelt. Und das könnten sie nur leisten, wenn sie entsprechend große Flächen hätten, um Mais anzubauen. Sozialverträglich sei das alles nicht. "Die Fehmarnbelt-Querung lässt uns die Wahl zwischen Pest oder Cholera und deswegen wollen wir sie ganz verhindern."

Das wollen auch Jörn Funck und Klaus Knebelkamp, die aus dem südlich von Scharbeutz gelegenen Sereetz zu Frauke Redderberg gekommen sind. "Wir werden immer als die ollen Umweltspinner abgestempelt", sagt Funck und breitet auf Redderbergs Küchentisch zwischen Kaffeetassen, Keksteller und einem Kännchen mit frischer Kuhmilch Luftaufnahmen eines 350 Hektar großen Naturschutzgebiets unweit von Sereetz aus. Mittendurch würde die X-Tasse verlaufen.

"Das ist doch unmöglich", sagt Funck, der sich seit den 80er Jahren mit dem Umweltschutzverein Sereetz für die Renaturierung des Gebiets einsetzt, das vor ihnen auf dem Tisch liegt - mit Erfolg. Die Gemeinde Ratekau, zu der Sereetz gehört, ist seit den 80er Jahren eine Modellgemeinde für Umweltschutz und bekam 2007 den zweiten Preis im Wettbewerb "Bundeshauptstadt im Naturschutz", in der Klasse der Gemeinden zwischen 10.000 und 30.000 Einwohnern.

"Und jetzt haben sich die Gemeinden hier auf die X-Trasse geeinigt mit dem Totschlagargument, dass wir Großprojekte brauchen", sagt Funck und zerrt ein Foto von einem Kranich mit flauschigem Nachwuchs aus dem Fotostapel. Mit dem Finger tippt er auf den Vogel: "Die Kraniche wären wir los, die Kammmolche wären auch weg und außerdem würde die Vogelfluglinie empfindlich gestört." Das will er sich nicht gefallen lassen. Schließlich werde für die Autobahn 44 in Hessen für 218,1 Millionen Euro der 4,1 Kilometer lange Hirschhagen-Tunnel gebaut - wegen einer Kolonie Kammmolche. "Wir brauchen das als Waffe", sagt Funck.

Das von den Befürwortern vorgebrachte Argument, die X-Trasse werde für den zu erwartenden Güterverkehr einer Fehmarnbelt-Querung gebraucht, stößt in der Küche auf wenig Zustimmung. "Es gibt hier doch gar keinen Güterverkehr!" sagt Knebelkamp. "Welche Züge sollen denn hier fahren? Das ist doch alles Unfug." Die Trasse über den Großen Belt via Flensburg, über die seit 1997 der Güterverkehr und die Nachtzüge für den Personenverkehr von Deutschland nach Kopenhagen geleitet werden, sei immer noch nicht ausgelastet. Etwa 80 Güterzüge fahren dort am Tag, 78 Züge sollen nach der aktuellen Prognose der Hanseatic Transport Consulty auf der neuen Strecke über die Fehmarnbelt-Querung fahren. Da stimme doch was nicht.

"Die Distanz zwischen Hamburg und Kopenhagen würde sich um etwa 160 km gegenüber dem Weg über den Großen Belt verkürzen. Das ist doch gar nichts", sagt Knebelkamp. Und dafür werde hier ihre ganze Arbeit für den Umweltschutz zunichte gemacht. Funck und Knebelkamp bleiben noch an Frauke Redderbergs Küchentisch sitzen, so oft komme man nicht zusammen und es gibt viel zu besprechen.

Von Scharbeutz führt die Straße gen Norden immer entlang der Ostsee, die irgendwo im Novembernebel verschwindet. Nach wenigen Kilometern erreicht man Wintershagen, eine Ansammlung von Häusern und Höfen, hindurch schlängelt sich ein aufgeweichter Weg. Inmitten von 500 Hektar Land liegt das Gut Wintershagen - hinter einem verschlossenen Tor am Ende einer Allee. Cord Nissen ist seit 1999 Verwalter auf dem Hof, lebt hier mit seiner Familie und dem Hund Arko.

"Kommt die X-Trasse, wären wir doppelt betroffen", sagt Nissen. "Die Bestandstrasse läuft sowieso schon über unser Land. Käme die neue Trasse, würden wir zehn Hektar Fläche verlieren." Sicher stünde ihnen in dem Fall eine Ausgleichsfläche zu. Aber die X-Trasse würde den direkten Weg zu den Feldern abschneiden und pro Erntesaison für alle eingesetzten Maschinen einen Umweg von 500 Kilometern bedeuten. Hinzu käme, dass die Mähdrescher umgerüstet werden müssten. Bisher müssen Nissens Leute keine einzige öffentliche Straße befahren, um zu den Feldern zu kommen. Käme die X-Trasse, müssten sie auf normale Straßen ausweichen und dort dürfen nur Maschinen fahren, die maximal drei Meter breit sind. Seine kommen auf eine Breite von 4,50 Metern.

"Ganz ehrlich, das ist doch eine Kindergartenplanung", sagt Nissen, der für die CDU im Finanzausschuss der Gemeinde sitzt. "Die sollen einfach die Bestandstrasse ausbauen, die Anwohner sind das mit der Bahn doch gewöhnt." Denn gegen die Fehmarnbelt-Querung ist er nicht. "Wir können uns solchen Projekten doch nicht verweigern", sagt Nissen, der an wirtschaftliche Synergieeffekte für die Region glaubt. "Brücken verbinden die Menschen und mit dieser Meinung halte ich nicht hinterm Berg - auch wenn das hier nicht allen gefällt."

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