Debatte Sicherungsverwahrung: Kultur des Wegschließens

Die Regierung hat bei der Gesetzesreform keine Vorkehrungen gegen Missbrauch getroffen. Nun müssen es Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht wieder hinbiegen.

Haftstrafe oder Sicherungsverwahrung? Die Aussicht ist die gleiche. Bild: AndreasF. / photocase.com

Die Sicherungsverwahrung droht zu einer Standardmaßnahme der deutschen Kriminalpolitik zu werden. Schon seit 1998 stieg die Zahl der Verwahrten um mehr als 160 Prozent auf heute über 520 Personen. Ausgerechnet die Reform der liberalen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger befördert die Ausweitung.

Die Zahl der Betroffenen könnte sich mittelfristig auf einige tausend vervielfachen. Sicherungsverwahrung, das ist die massivste präventive Maßnahme des Staates. Hier werden Menschen, die zum Teil abscheuliche Verbrechen begangen haben, auch nach Verbüßung der Strafe nicht aus der Haft entlassen. Vielmehr bleiben sie vorsorglich weiter weggesperrt, bis sie nicht mehr als gefährlich gelten.

Ewig schuldige Sexualtäter

Die Reform dieser Haft nach der Haft hat zwei Teile und zwei Anlässe. Zum einen will die Regierung verhindern, dass mehr als hundert Verwahrte kurzfristig entlassen werden müssen. Diese können sich auf ein Urteil des Straßburger Gerichtshofs für Menschenrechte berufen, doch mithilfe einer neuen Begründung sollen viele von ihnen weiter hinter Gittern bleiben.

Die Diskussion über dieses heikle Manöver hat in den letzten Monaten den Blick auf die eigentliche Reform der Sicherungsverwahrung verstellt. Sie wäre aber ohnehin gekommen, denn sie setzt eine Vorgabe des schwarz-gelben Koalitionsvertrags um. Geplant ist, die Sicherungsverwahrung künftig auf Gewalt- und Sexualstraftäter zu konzentrieren.

Notorische Einbrecher, Betrüger und Heiratsschwindler, die heute noch 7 Prozent der Verwahrten ausmachen, sollen nicht mehr vorsorglich weggesperrt werden können. Die Sicherungsverwahrung darf dann auch nicht mehr nachträglich - also erst in der Haft - verhängt werden. Hier kommt die Bundesregierung einem erneuten Urteil des Straßburger Gerichtshofs zuvor.

Kern der Reform ist jedoch die deutliche Ausweitung der sogenannten vorbehaltenen Sicherungsverwahrung. Bei ihr wird die Verwahrung im Strafurteil noch nicht verhängt, sondern nur angedroht. Die eigentliche Entscheidung fällt am Ende der Strafhaft. Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung gibt es zwar schon seit 2004, aufgrund restriktiver Vorgaben spielt sie bisher aber keine große Rolle.

Künftig soll sie jedoch schon über Ersttäter verhängt werden können, und ein Hang zu Straftaten muss nicht mehr nachgewiesen werden. Das ist durchaus konsequent. Denn wenn sich die Sicherungsverwahrung zu Recht auf Gewalt- und Sexualtäter fokussiert, will niemand auf den x-ten Rückfall warten, bevor die Bevölkerung geschützt werden kann.

Verwahrung überstrapaziert

Nun besteht aber umgekehrt die Gefahr, dass aufgrund eines verhängnisvollen Automatismus viel zu viele Menschen in Sicherungsverwahrung landen. Künftig dürfte die Verwahrung bei schweren Gewalt- und Sexualtaten im Urteil fast schon routinemäßig vorbehalten werden - es ist ja noch keine endgültige Entscheidung … Wenn dann aber nach Verbüßung der Haftstrafe geprüft wird, ob die Sicherungsverwahrung wirklich angeordnet wird, hängt dem Straftäter schon das Etikett des potenziellen Rückfalltäters an, das er kaum noch loswird. Die Zahl der Verwahrten könnte so geradezu inflationär steigen.

Denn wie soll ein Straftäter beweisen, dass er doch nicht gefährlich ist? Unter den hochreglementierten Umständen der Strafhaft ist das kaum möglich, darin sind sich Experten einig. Erforderlich sind Vollzugslockerungen wie Hafturlaub oder die Verlegung in den offenen Vollzug, bei denen sich der Gefangene bewähren kann.

Es ist aber sehr zweifelhaft, ob man Vorbehaltsgefangenen solche Lockerungen der Vollzugspraxis überhaupt zugestehen wird. Viele Anstaltsleiter werden dies gerade mit Verweis auf die erhöhte Gefährlichkeit verweigern. Hier wäre eine gesetzliche Klarstellung sinnvoll gewesen, dass auch Gefangene mit Verwahrungsvorbehalt grundsätzlich einen Anspruch auf Haftlockerungen haben. Leider hat die Bundesregierung darauf verzichtet.

Therapie als letzte Chance

Immerhin könnte ein Gefangener am Ende der Haft noch geltend machen, dass er erfolgreich an einer Therapie teilgenommen hat und nun nicht mehr gefährlich ist. So kann der Gefangene sogar hinter Gittern aktiv etwas tun, um die angedrohte Sicherungsverwahrung noch abzuwenden. Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Wer eine Therapie verweigert oder abbricht, was nicht selten ist, gilt schnell als besonders rückfallgefährdet und wird der Sicherungsverwahrung kaum entgehen. "Selbst schuld", könnte man sagen.

Doch ein Staat, der sich vorbehält, Menschen vorsorglich wegzuschließen, muss vorher alles versuchen, genau dies zu verhindern. Er muss den Betroffenen weit entgegenkommen, etwa indem er einem Gefangenen, der sich mit dem Gefängnistherapeuten überworfen hat, einen externen Therapeuten anbietet.

Und ein Gefangener, der sich für unschuldig hält, wird zwar meist die Aufarbeitung der bestrittenen Tat verweigern, kann sich aber vielleicht auf eine Behandlung einlassen, in der er die Kontrolle über seine Aggressionen lernt. Am besten wäre deshalb ein Therapieanspruch für alle Vorbehaltsgefangenen gewesen, doch auch dies fehlt im Reformgesetz.

Der Gesetzgeber setzt ganz darauf, dass Gutachter und Gerichte mit dem neuen Instrumentarium verantwortungsvoll umgehen werden. Doch ist dies wahrscheinlich in einer gesellschaftlichen Stimmung, die von größtmöglicher Risikovermeidung geprägt ist? Gerade bei Rückfalltätern wird heute immer bohrender nachgefragt, ob der Rückfall nicht vermeidbar gewesen wäre. Und im Nachhinein ist man ja immer schlauer. Welcher Richter, welcher Sachverständige wird da einem Straftäter mit vorbehaltener Sicherungsverwahrung eine Chance geben, wenn er im Fall des Scheiterns von den Boulevardmedien an den Pranger gestellt wird?

Der Gesetzgeber hat wenig gegen die Gefahr getan, dass die vorbehaltene Sicherungsverwahrung ausufert. Jetzt müssen wieder Bundesgerichtshof und Verfassungsgericht die Kohlen aus dem Feuer holen.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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