Chinesische Bürgerrechtler und der Nobelpreis: Die Symbolkraft leerer Stühle

Die offiziellen chinesischen Medien verschweigen die Nobelpreisvergabe, Bürgerrechtler ehren Preisträger Liu Xiaobo auf andere Weise.

Leerer Stuhl während der Zeremonie. Bild: dpa

PEKING taz | Chinesische Bürgerrechtler haben ein neues Symbol: den leeren Stuhl. Wer am Freitag Blogs und Twitterportale wie "t.sina" anklickte, entdeckte eine erstaunliche Auswahl entsprechender Fotos. Einige standen ohne Kommentar da, andere hatten lakonische Erklärungen wie "mein Bürostuhl". Auch wenn der Name "Liu Xiaobo" nicht auftauchte, wissen Eingeweihte, woran die Stühle erinnern sollen: an den unbesetzten Ehrenplatz bei der Nobelpreisfeier in Oslo, an den Preisträger in seiner Gefängniszelle in Nordostchina und an seine Frau und seine Freunde im Hausarrest.

Chinas CCTV-Nachrichtenkanal eröffnete seine Meldungen um 20 Uhr (13 Uhr Osloer Zeit) mit Berichten über eine Wirtschaftskonferenz in Peking. Zweites Thema: die Daten der offiziellen Feiertage 2011. Drittes Thema: das traurige Leben eines einfachen Mannes, der sich für andere aufgeopfert hat. Über den Friedensnobelpreisträger kein Wort. Das BBC-Fernsehen, ohnehin fast nur in Ausländerwohnblocks und internationalen Hotels zu sehen, war seit Donnerstag geblockt. Bei CNN wurden die 20-Uhr-Nachrichten geschwärzt. Vor Norwegens Botschaft gab es vormittags kleinere Proteste gegen die Preisverleihung. Vor dem Gebäude der UN-Vertretung in Peking demonstrierten einige Petenten anlässlich des Tages der Menschenrechte, aber nicht wegen Liu.

Die Reaktionen der Pekinger Politiker auf den Preis haben das Ausmaß der Hysterie erreicht: Von einer "Verschwörung des Westens" ist die Rede, von "Clowns" in Oslo, und "Respektlosigkeit" gegenüber China. Künstler, Rechtsanwälte und selbst ein 81-jähriger Ökonom wurden daran gehindert, das Land zu verlassen - um die "nationale Sicherheit" zu schützen.

Die Schärfe, mit der Peking auf den Friedensnobelpreis reagiert, weckt bei älteren Chinesen böse Erinnerungen. Eine Schriftstellerin, die während der Kulturrevolution (1966-76) zehn Jahre im Gefängnis saß, sagt, sie habe noch bis vor Kurzem daran geglaubt, dass sich das politische Klima bessere. "Aber jetzt sehe ich wieder dunkle Zeiten kommen." Sippenhaft wie den Hausarrest für Lius Frau habe es seit den 90er Jahren nicht gegeben.

Die bissigen Blogger und die Schriftstellerin sind eine Minderheit. Niemand weiß, wie groß der Anteil der Chinesen ist, die überhaupt von dem Friedensnobelpreis für Liu gehört haben. Die Zensur ist wirksam. Nur wer sich wirklich interessiert, umgeht die Blockaden im Internet. Die wenigen Berichte, die in Chinas Presse zum Friedensnobelpreis erschienen sind, haben dieselbe Stoßrichtung: Sie werfen "dem Westen" vor, China "fremde Werte" überstülpen, seinen Aufstieg als neue Weltmacht torpedieren zu wollen und den Chinesen ihren wirtschaftlichen Erfolg zu missgönnen. Professoren der Akademie der Wissenschaften und anderer Institute sahen in dem Preis den "Inbegriff des neuen Zusammenpralls zwischen dem Westen und China", wie die chinesischsprachige Ausgabe des KP-Blattes Global Times schrieb. Dass der Preis dieses Jahr an Liu verliehen wird, zeige nur die "kollektive Angst des Westens vor Chinas Aufstieg". Über Lius Reformvorstellungen erfuhren die Leser nichts. Denn in der KP haben sich Hardliner durchgesetzt, die nichts von demokratischen Reformen halten und die die begonnene innerparteiliche Debatte über allmähliche Öffnung begrenzen wollen. Deshalb ist kaum zu erwarten, dass sich die Situation bessert, wenn sich die Aufregung über die Preisverleihung gelegt hat.

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