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Kommentar LidlBilliges Kalkül

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Lidl verschweigt sein ökonomisches Interesse. Mit einem Mindestlohn will er die schlechter bezahlende Konkurrenz verdrängen. Es geht hier nicht um soziale Wohltaten.

W enn sich ausgerechnet der Lidl-Konzern als Vorkämpfer für soziale Gerechtigkeit darstellt, lohnt es sich, die Motive näher zu betrachten. Wem nutzt es also, wenn der Discounter jetzt öffentlichkeitswirksam einen Mindestlohn von zehn Euro fordert?

Die wohlklingenden Sätze, die Lidl-Chef Kisseberth an die Bundestagsfraktionen - und selbstverständlich auch an die Nachrichtenagenturen - schickte, sind zunächst einmal kostengünstige Imagepflege. Seit Jahren macht der Lebensmittelanbieter immer wieder von sich reden, weil er Mitarbeiter unter Druck setzte und bespitzelte. Bei vielen - im Zweifel: ehemaligen - Kunden dürfte sich das Bild eines gewissenlosen Ausbeuters festgesetzt haben. Ein wenig demonstrativ zur Schau gestelltes soziales Gewissen schadet da nicht.

Außerdem verschweigt Lidl sein ökonomisches Interesse. Die nach Hauptkonkurrent Aldi mächtigste Lebensmittelkette in Deutschland will mit einem Mindestlohn jene Konkurrenten aus dem Markt drängen, die teilweise deutlich schlechter bezahlen. Es geht also eher um den strategischen Ausbau von Marktmacht denn um soziale Wohltaten.

anja weber

Ulrich Schulte leitet das Inlands-Ressort der taz.

Nebenbei bemerkt: Ob Lidl seinen Mitarbeitern tatsächlich mindestens zehn Euro zahlt, wie das Unternehmen behauptet, kann man glauben oder nicht. Überprüfen lässt es sich nicht, denn Intransparenz gehört zum System Lidl. Die Kette ist als Stiftung organisiert, sie muss deshalb keine Geschäftszahlen veröffentlichen. Und sie bekämpft Betriebsratsgründungen, um Gewerkschaften Einblick zu verwehren. Dem wolkigen Appell stehen also Taten gegenüber, die ihm widersprechen.

Dabei steht außer Frage: Ein gesetzlicher Mindesttarif würde Dumpinglöhne verhindern, die Kaufkraft der Konsumenten stärken und noch vieles mehr. Doch eine Regierung aus CDU und FDP wird den nie und nimmer einführen. Entsprechend fällt die Antwort auf die Eingangsfrage leicht. Wem nutzt die Lidl-Forderung? Vor allem Lidl selbst.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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14 Kommentare

 / 
  • HS
    Hans Stoffel

    @Schattenfels

     

    Wenn schon EUSA und nicht EUDSSR, denn sogar in den USA hat man verstanden, das sich eine Marktwirtschaft ohne Mindestlohn auf Dauer selbst zerstört.

     

    In der EU weiß man das eigentlich auch - es ist mal wieder eine deutsche Spezialität, auf einen gesetzlichen Mindestlohn zu verzichten - und ganz sicher der Grund dafür, das D die Konjunkturlokomotive der EU ist (das ist Sarkasmus - für alle, die das nicht verstehen).

     

    Es grüßt Euch: Stoffel

  • S
    Schattenfels

    Hallo, liebe Genossen!

     

    Zunächst: da fehlt ein "bzw." zwischen "müssen" und "gleich" in meinem Beitrag, sonst macht der Satz keinen Sinn.

     

    Es scheint hier jeder der Meinung zu sein, dass ein Mindestlohn ohne weitere Konsequenzen funktioniert und die Welt der Arbeitnehmer "gerechter" macht.

     

    Mit meinen Argumenten hat sich aber leider keiner auseinandergesetzt: Natürlich nicht, wie sollte man sie auch inhaltlich widerlegen? Das einzige was kommt, ist dumpfes Gepolter und viel unbegründete Meinung:

    "Der neoliberalen Ideologie fehlt der Blick für die Zusammenhänge. Deswegen ist sie abgrundtief dumm und nicht überlebensfähig." oder: "neoliberale (Angst -)Argumente" usw...

     

    @ P. Zimmermann: Sie behaupten, die Lebensmittelpreise seien "zu gering". Bitte sagen sie mir, was wäre DER "richtige" Preis für ein Stück Butter. Ich hätte es gerne auf den Cent genau, sie scheinen es ja zu wissen. Ich weiß es nicht, deshalb bin ich der Meinung, dass Markt und Wettbewerb als Preisfindungverfahren besser geeignet sind als eine staatliche Planungsbehörde, die die Preise nach Gutdünken festsetzt. Der Zusammenbruch eines jeden sozialistischen System gibt mir recht, die Anmaßung exakt dieses Wissens endet irgendwann in der Mangelwirtschaft.

    Ansonsten freue ich mich im Gegensatz zu Ihnen darüber, dass die Fleischverarbeitung in Deutschland so wettbewerbsfähig ist, die Arbeitnehmer in dieser Branche, denen Sie den Job wegnehmen möchten, sicher auch.

     

    @ nahab:

    "Laender (der EU) mit Mindestlohn:

    Belgien, Bulgarien, Estland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn

    ...die Eu dem Untergang geweiht!!(?)"

     

    Ja. Und der Mindestlohn ist einer der vielen Mosaiksteinchen, die die EUDSSR ausmachen und ihrem wirtschaftlichen Untergang weihen.

     

    @ merte

     

    "Inflation ist die einzige Möglichkeit des Staates, Schulden ab zu bauen, weshalb er, der Staat, dagegen ist, weiss auch nur die CDU."

     

    Inflation bedeutet Enteignung, und trifft vor allem kleine Sparer und weniger die Reichen, die sich eine anständige Finanzberatung leisten können und ihre Vermögen rechtzeitig schützen. Ich kann mir als Liberaler kaum etwas unsozialeres vorstellen.

  • F
    Feindbilder

    Mann, mann liebe taz. Feindbilder in allen Ehren, auch bei mir gehört Lidl dazu. Eben wegen der beschriebenen Mitarbeiterbehandlung und Intransparenz. Aber was man Lidl dann doch nicht vorwerfen kann, ist, dass sie von ihren Mitbewerbern fordern, das diese ebenfalls ordentliche Löhne zahlen.

  • D
    Daniel

    Hier geht's um einen branchenspezifischen Mindestlohn, und davon gibt es unter schwarzgelb mehr als unter rotgrün. Aber das weiss der "Leiter Inlandsressort" sicher.

  • G
    Glücklicher "Arbeitsloser"

    Soweit ist es also schon gekommen, dass ein Großunternehmer einen Mindestlohn fordert, und zwar mehr als Gewerkschaften.

     

    Darauf wird die Regierung sicher nicht eingehen, denn der "Lohn" ist für die nur insoweit ein Thema, als dass niemand verhungern soll, weil das per Grundgesetz nicht vorgesehen ist. So streitet man dann um 5,- mehr KdF-vorstand-IV.

     

    Der Regierung geht es um "Beschäftigung" und dafür ist niederiger "lohn" besser, denn dann muss zum Lebensunterhalt länger lohngearbeitet werden, man ist länger unter der Aufsicht der privaten (Lohn)Sklaventreiber.

     

    Bei Gericht oder in JVAs ist es doch gängige Praxis abzuklären ob jemand einer "geregelten Arbeit" nachgeht. Wenn ja, gibt´s Bewährung statt Knast bzw. Freigang.

    Lohnarbeit ist privatisierter Knast.

     

    Mehr Stundenlohn hieße, weniger Stunden fürs gleiche Geld, also weniger privatisierter Knast.

    Und das wird die Regierung nicht zulassen.

  • U
    Uwe

    Die Forderung nach einem Mindestlohn ist richtig, egal von wem. Dass die Motive näher beleuchtet werden ist ebenfalls richtig.

    Und wenn hier wieder jemand nach marktradikaler Manier vor einer höheren Arbeitslosigkeit warnt, dass kann man nur sagen:

    Wenn der Mindestlohn Arbeitsplätze kostet (aus dem Ausland ist derartiges allerdings nicht bekannt), dann kostet er eben Arbeitsplätze. Die Forderung nach einem Mindestlohn ist trotzdem richtig.

  • S
    selber

    Aber so kurz vor Weihnachten ist so eine Meldung doch rührend, da wird einem ganz barm ums Herz beim Weihnachtslidlsingen.

    Erst ab dem 1.1. wird dann wieder knallhart kalkuliert.

  • N
    nahab

    @ Schattenfels:

     

    neoliberale (Angst -)Argumente, die ungluecklicherweise bei dem einen oder anderen Leser ankommen moegen;

     

    wie eben beschrieben, auch als Inflation bezeichnet, von der europaeischen Zentralbank und Deutschland auf staerkste bekaempft (schwaecht den Export)

     

    Laender (der EU) mit Mindestlohn:

    Belgien, Bulgarien, Estland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn

    ...die Eu dem Untergang geweiht!!(?)

  • C
    Celsus

    Dabei kann mal so eine begrüßenswerte Forderung von einem Konzern kommen, der in der Vergangenheit negativ aufgefallen ist durch die Behandlung seiner Mitarbeiter oder ähnliche Dinge. Klar: Die Firmen können sich da durchaus aus Werbegründen für ihre Firma so entschieden haben.

     

    Aus meiner Sicht ist es aber zu begrüßen, wenn da Konzerne für den Mindestlohn sind. Es zeigt, dass das gesellschaftliche Klima sich in die richtige Richtung ändert. Und nicht nur bei Einzelpersonen bin ich für die doch immer geforderte "Resozialisierung" und die Vermeidung übertreibener Verteufelungen.

  • M
    merte

    von Schattenfels,

    Wo hat er denn gesagt das er es schlecht findet?

    Möchtest Du das, mir scheint eher, Du bist dagegen.

    Inflation ist die einzige Möglichkeit des Staates, Schulden ab zu bauen, weshalb er, der Staat, dagegen ist, weiss auch nur die CDU.

    merte

  • PZ
    P. Zimmermann

    Wer oder was hindert denn Lidl daran jetzt seinen MitarbeiterInnen schon 10 € zu bezahlen? Warum brauchen sie erst ein Gesetz, wenn sie es mit der Menschlichkeit ernst meinen? Für mich ist diese Aktion auch äußerst unglaubwürdig, besonders wenn man bedenkt, wie Lidl in der Vergangeheit mit den Versuchen der Mitarbeiter sich gewerkschaftlich zu organisieren umgegangen ist.

    @schattenfels

    DIe Lebensmittelpreise in Deutschland sind eh auf ganzer Linie zu niedrig, genauso wie die Löhne. Eine Folge der schlechten Arbeitsbedingungen und Bezahlung von Lieferanten und Mitarbeitern. Das meiste von dem was in den Supermärkten verkauft wird, würde ich eher als "Sterbehilfe" denn als Lebensmittel bezeichnen. Schauen Sie sich doch mal einen modernen Viehmastbetrieb an. Oder eine Großschlachterei mit rumänischen und bulgarischen Billigstarbeitskräften. Deutschland ist in der gesamten Lebensmittelbranche ein Niedriglohnland. Vor allem in der Erzeugung. Die Dänen z.B. lassen Fleisch fast nur noch in Deutschland verarbeiten, weil es da am billigsten ist. Dazu wird das Fleisch 2 mal hin- und hergefahren, anstatt nur einmal aus Niedersachsen nach Dänemark. Der Transport ist billiger als die Verarbeitung vor Ort. Die Umweltbelastung, die Zerstörung der Straßen, verursachen doch auch Kosten. Die trägt die Allgemeinheit und nicht die Unternehmen, deren Aktionären hier ihre Profite machen. Das geht auf Kosten der Umwelt, der Tiere, der Menschen. Dieses neoliberale Lehrbuchgeschwätz von Teuerung und Inflation soll nur die Menschen davon abschrecken zu fordern, was Ihnen zusteht. Auf lange Sicht ist eine gerechte Bezahlung aller sicher die bessere Lösung. Doch dann müssen sich die Menschen auch überlegen ob sie einen Großteil der angebotenen Waren überhaupt brauchen oder wollen. Brauchen wir denn wirklich geschmacklose spanische Tomaten und Auberginen im tiefsten Winter zu einem Kampfpreis?

    Der neoliberalen Ideologie fehlt der Blick für die Zusammenhänge. Deswegen ist sie abgrundtief dumm und nicht überlebensfähig.

  • W
    Wolfgang

    Die Wachleute bei Lidl erhalten weniger als 7 Euro-Std. Die 10-Euro-Std. müssen auch für die unterbezahlten Mitarbeiter von Fremdfirmen (nicht nur) bei Lidl ihre Anwendung finden.

    Merke: Selbst kämpfen! - und nicht warten auf den Weihnachtsmann oder -frau von der Leyen!

     

    Trotz alledem!

  • S
    Schattenfels

    Wenn Linke für einen Mindestlohn sind, ist er gut. Wenn Lidl dafür ist, ist er schlecht. Ich lach mich kaputt!

     

    "Dabei steht außer Frage: Ein gesetzlicher Mindesttarif würde Dumpinglöhne verhindern, die Kaufkraft der Konsumenten stärken und noch vieles mehr."

     

    Dass die Preise steigen werden, wenn die Leute mehr verdienen, weil die Unternehmen

     

    a) wissen, dass sie mehr verlangen können und

    b) mehr verlangen müssen, da ihre Lohnkosten steigen

     

    wird vom Autor natürlich nicht verstanden. Am Ende bleiben Inflation und Teuerung übrig, außerdem eine höhere Arbeitslosigkeit, da insbesondere kleinere Unternehmen knapp kalkulieren und Leute entlassen werden müssen gleich bankrott gehen, was Marktriesen wie Lidl langfristig eine Monopolstellung sichern könnte.

    Am Ende verdienen die Menschen real keinen Cent mehr, wenn sie entlassen werden und/oder es zur Monopolstellung Lidls kommt, sogar weniger.

    Aber wenn man so kurz denkt, wie Herr Schulte, ist ein Mindestlohn natürlich toll.

  • M
    merte

    Dann ruf ich doch mal die Lidl-Mitarbeiter auf, sich zu äussern, falls sie unter 10€ die Stunde haben!

    Sonst ist der Kommentar Klasse, an das ausbooten der Konkurrenz durch Lohn.., ja was egtl, was ist dasGgtl von Dumping, ist mal ganz was Neues.

    Den Binnenmarkt zu stärken ist doch längst überfällig.

    merte