Tunesischer Präsident Ben Ali zurückgetreten: Das Ende eines Diktators
Punkt 18:50 Uhr, Freitag, kam die in Tunesien lange erwartete Nachricht. Präsident Zine El Abidine Ben Ali ist zurückgetreten und hat das Land verlassen.
TUNIS taz | Das tunesische Staatsfernsehen TV7 unterbrach eigens sein Programm. In einer Sondersendung der Nachrichten verkündete Premierminister Mohammed Ghannouchi die Neuigkeit: Er kündigte an, dass er selbst als Übergangspräsident fungieren werde und mit allen politische Kräften in Kontakt treten wolle, um dann Neuwahlen vorzubereiten. Er rief die Tunesier zur Einheit auf. Der Präsident sei "vorübergehend nicht mehr in der Verfassung, das Amt auszuüben". Ghannouchi verlas die Erklärung im Beisein der Präsidenten der beiden tunesischen Parlamentskammern, Fouad Mebazaa und Abdallah Kallal.
Das familiäre Umfeld von Ben Alis Frau Leila Ben Ali, geborene Trabelsi, soll ebenfalls das Land verlassen haben. Es hielten sich gestern Gerüchte, dass ein Flugkapitän sich geweigert habe, sechs Mitglieder des Clans auszufliegen. Die Familie Trabelsi ist besonders verhasst, da sie sich in den Jahren der Privatisierung der einstigen Staatswirtschaft alles angeeignet hat, was lukrativ erscheint.
Dem Rücktritt des 74-jährigen Präsidenten war eine knapp einmonatige Protestwelle vorhergegangen. Was als Unmut gegen die Jugendarbeitslosigkeit begann, wuchs sich zu einer Bewegung gegen die Diktatur Ben Ali aus. In der letzten Woche wurden von Polizei und Armee um die 100 Jugendliche bei Niederschlagungen von Demonstrationen erschossen.
Nur knapp eine Stunde, bevor bekannt wurde, dass Ben Ali das Land verlassen hat, war ein Ausnahmezustand über das gesamte Land verhängt worden. Zwischen 18 und 6 Uhr herrscht Ausgangssperre. Die Armee sperrte den Luftraum über Tunesien und besetzte den Flughafen Tunis/ Carthage unweit des Präsidentenpalastes.
Bereits Donnerstag hatte das Innenministerium verschiedene Oppositionspolitiker geladen, um mit ihnen über die Möglichkeit einer Übergangsregierung der nationalen Einheit zu diskutieren. Der bekannteste Oppositionelle, der Vorsitzende der Fortschrittlich Demokratischen Partei Nejib Chebbi, der 2009 gegen Ben Ali in den Wahlen um das Amt des Staatsoberhauptes angetreten war, erklärte sich im französischen Nachrichtensender France24 grundsätzlich zu einem solchen Modell bereit.
Wohin Ben Ali ausgereist ist, wurde nicht bekannt. Ben Ali hatte Tunesien 23 Jahre lang mit eiserner Hand regiert. Der ehemalige Sicherheitschef war 1987 an die Macht gekommen, als er gegen den Vater der Unabhängigkeit Habib Bourguiba unblutig putschte. Ben Ali erklärte seinen Vorgänger kurzerhand für altersenil.
Nach der Bekanntgabe des Rücktritts von Ben Ali blieb es in der Hauptstadt Tunis ruhig. Vereinzelt waren Youyous, die Freudenrufe der tunesischen Frauen, zu hören. Die Polizei zeigte starke Präsenz im Stadtzentrum. Es waren immer wieder Schüsse zu hören. Ob diese mit scharfer Munition abgegeben wurden, war nicht herauszufinden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies