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Falsche ForscheridentitätKennen Sie Ike Antkare?

Der so genannte h-Index misst den Einfluss wissenschaftlicher Arbeiten. Einer der bekanntesten Informatiker der Welt ist demnach Ike Antkare. Und doch ist ihm niemand je begegnet.

Den Namen kennt die Suchmaschine, ein Passbild dazu lässt sich nicht finden: Ike Antkare. Bild: screenshot / google.com

PARIS taz | Das ist die entscheidende Frage derzeit vor der Kaffeemaschine in den französischen Forschungslabors: "Kennen Sie Ike Antkare? Nein, wirklich?" Immerhin figuriert er laut Google-Recherche auf dem Internet unter den zehn bekanntesten Informatikspezialisten und vor allem mit einem „h-Index“ von mehr als 90, dem in Fachkreisen berühmten Gradmesser des Rufs, den hundert am meisten zitierten Wissenschaftlern, weit vor Albert Einstein.

Naja, werden Sie richtig sagen, der Erfinder der Relativitätstheorie sei halt auch schon lange tot. Doch Ike Antkare (englisch ausgesprochen wie "I can't care", umgangsdeutsch: „Mir ist's wurscht“) geht da viel weiter: Er hat gar nie gelebt!

Der vermeintlich so prominente Forscher ist nämliche eine völlig virtuelle Figur, den der lebensechte Cyril Labbé, ein Informatikspezialist und Dozent an der Universität Grenoble eigens erschaffen hat, um die Fehleranfälligkeit und Absurdität der Kriterien zur Erstellung dieser h-Index-Skala zu beweisen. Wer hat die angebliche Doktorarbeit von Ike Antkare mit dem unsinnig klingenden Titel „Construire l'e-business en utilisant des modalités psycho-acoustiques“? Wahrscheinlich niemand. Doch das ist nicht von Bedeutung, es reicht so häufig wie möglich in verschiedenen anderen wissenschaftlichen Artikeln zitiert zu werden.

Labbé produzierte seinen Angaben zufolge für sein Modell mit einem Textgenerator rund hundert Artikel mit vage wissenschaftlich anmutenden Themen, die alle auf Labbés Internetseite unter dem Autornamen Ike Antkare publiziert waren und die sich vor allem gegenseitig zitierten. Den Rest besorgte die Datenbank Google Scholar, die wissenschaftliche Arbeiten erfasst und zur quantitativen Berechnung ihrer „Bibliometrie“ mit dem h-Index dient.

Erfasst werden jedoch, wie Cyril Labbés amüsantes Experiment belegt, nicht nur wissenschaftliche Beiträge, sondern auch, was dem irgendwie gleicht - etwa ein PDF-Dokument, das beschreibt, wie aus "Ike Antkare" der Name eines weltbekannten Forschers werden konnte. Das wäre nicht so tragisch, wenn dieser h-Index nicht unter anderem auch als Grundlage von Nominierungen und Beförderungen dienen würde.

Selbst nachdem Ike Antkare von seinem Erfinder längst demaskiert wurde, führt er übrigens – wie eine Recherche mit Google Scholar ergibt – seine scheinwissenschaftliche Pseudoexistenz weiter. Der h-Index des virtuellen Spitzenreiters ist sogar auf 96 gestiegen. Wer ehrlich ist und zugibt, ihn nicht gekannt oder gar gelesen zu haben, kommt fein raus.

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7 Kommentare

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  • S
    sideshow60

    Leider ist der Autor und wohl auch der "Vater" von Ike einem Irrtum aufgesessen. Denn zuallererst einmal entspricht die Anzahl der Zitationen, die auf der Google Schoolar Seite für die Artikel angezeigt wird nicht dem berüchtigten h-Index. Dieser berrechnet sich nämlich, indem die Publikationen absteigend nach der Anzahl ihrer Zitationen geordnet werden. Die Position, bei der die Anzahl der Zitationen der Publikation mit der Platzierung in der Liste übereinstimmt, entspricht dann dem h-Index. Einer einfachen Rechnung zufolge kann demnach ein Wissenschaftler, der 10 Veröffentlichungen und in jeder alle vorhergehenden zitiert hat, maximal einen h-Index von 5 erreichen, da auf Grund des Faktors "Zeit" - zumindest praktisch - in der ersten Publikation nicht schon die letzte zitiert werden kann. Das ergibt bei der von Google Scholar angegebenen Zahl von 116 Veröffentlichungen von Ike einen h-index von maximal 58 - es sei denn, er wurde bereits durch andere Wissenschaftler zitiert.

    Weiterhin ist es undenkbar, dass sich eine wissenschaftliche Institution bei der Auswahl ihrer Mitarbeiter oder bei der Vergabe von Fördermitteln auf die Ergebnisse einer Google-Recherche verlässt. Dafür stehen andere Webseiten zur Verfügung, die sich nicht mit dem Durchstöbern von Webseiten auf vermeintliche PDFs selbst blockieren, sondern sich auf Artikel in referierten Fachzeitschriften konzentrieren und zudem den h-Index richtig berechnen. Und in diesen ist ein Ike Antkare nicht bekannt.

    Da hat dann also ein kleiner gelangweilter französischer Informatiker mit dem großen Google gespielt und freut sich nun, dass er es ausgetrickst hat - und die Presse bauscht es auf, ohne es zu verstehen.

  • N
    Name

    Wer hat die angebliche Doktorarbeit von Ike Antkare mit dem unsinnig klingenden Titel „Construire l'e-business en utilisant des modalités psycho-acoustiques“?

     

    Verb dringend gesucht...

  • B
    Benjamin

    Der Fehler liegt hier aber wirklich bei Google Scholar und nicht bei der Idee des h-index. Um das zu erklaehren, muss man sich klarmachen, was der h-index eigentlich ist (was in dem Artikel hier leider fehlt).

     

    Der h-index ist eine recht neue Erfindung und soll 2 Fliegen mit einer Klappe schlagen. Die Idee ist, dass man die Anzahl der publizierten Artikel und die Anzahl der Referenzen auf diese Artikel miteinander in Verbindung bringt. Praktisch sieht das so aus. Ein Wissenschaftler publiziert 5 Artikel innerhalb einiger Jahre, von denen manche sehr oft, andere weniger oft in anderen Artikeln zitiert werden:

     

    Artikel # Zitate, die auf den Artikel verweisen

    1 12

    2 7

    3 5

    4 2

    5 0

     

    Der h-index ist jetzt einfach die Zeile in der Tabelle, wo die Anzahl der eingehenden Zitate gerade noch groesser ist als die Artikel-Zahl, in diesem Beispiel also 3. In anderen Worten, der Forscher im Beispiel hat 3 Artikel publiziert, die mehr als 3 mal zitiert wurden.

     

    Das Problem bei Google Scholar ist in der Tat, dass es auch nicht gepruefte PDF Dateien als "Artikel" betrachtet. So laesst sich recht einfach ein hoher h-index erreichen. Aber wenn man von "peer-review" geprueften Artikeln in respektablen Journalen ausgeht, ist es sehr schwierig, gleichzeitig viel zu publizieren und auch viel zitiert zu werden, da auch in der Wissenschaft Quantitaet und Qualitaet oft gegensaetzlich zueinander stehen. Insofern ist der h-index oft ein besseres Mass der Leistung als z.B. der "Impact Factor", der nur die Anzahl der Zitate misst.

  • TR
    Thomas Rivinius

    Naja, wer sich bei wichtigen Personalentscheidungen auf google verlaesst, hat es aber auch verdient, dass er sein Institut mit Phantasiefiguren fuellt. Damit sowas nicht passiert, gibt es natuerlich auch bibliometrische Dienstleister, die sowas ernster angehen als eine Suchmaschine und z.B. Selbstzitationen und nach Veroeffentlichungsart extra werten. Der Service kostet halt.

     

    Andererseits, Prof. Kabelschacht ist seit ueber dreissig Jahren im Geschaft und hat sogar ein Buero (na ja, so so eine Art Buero jedenfalls) am Max-Planck-Institut fuer Physik...

  • JS
    Jens Schlegel

    witziger Artikel, nur ein Fehler....

    " Wer hat die angebliche Doktorarbeit von Ike Antkare mit dem unsinnig klingenden Titel „Construire l'e-business en utilisant des modalités psycho-acoustiques“?" So, leider kommt der Sinn des Satzes erst am Schluss... Also, was kommt etwa: ge- lesen, -schrieben, -druckt, -glaubt, ....? Oder was anderes?

    :-)

  • DW
    Der Wissenschaftler

    Tja, dies zeigt wieder nur mal, dass Google nicht unfehlbar ist. Da die Arbeiten von besagtem Ike Antkare nicht in begutachteten Fachzeitschriften erschienen sind, ist die ganze Person inklusive ihres "h-index" in ernsthaften und soliden Literaturverzeichnissen schlicht nicht existent...

  • TL
    Thomas Ludwig

    Wenn der h-Index irgendwie ernstgenommen werden soll, dann bezieht er sich auf Veröffentlichungen, die "peer-reviewed" sind. Bezieht man dieses Kriterium ein (was ernstzunehmende Datenbanken ermöglichen), dann wird Ike Antkare einen h-Index=0 haben.

     

    Wenn man sich irgendetwas aufregen will, dann bitte über "Google Scholar" und nicht über den h-Index. Es gibt schlechtere Metriken.