Teheraner Regisseur Jafar Panahi: Der unsentimentale Humanist
Jafar Panahi macht revolutionäre Filme ohne Schaum vor dem Mund. Seine Protagonistinnen begehren selbst im Film noch auf - zum Beispiel gegen den Regisseur.
Schon einmal landete Jafar Panahi hinter Gittern. Am New Yorker JFK-Airport. Im Frühjahr 2003 reiste er vom Hongkonger Filmfestival zum Filmfestival von Buenos Aires. Als er im Transitbereich aufgefordert wurde, sich die Fingerabdrücke abnehmen zu lassen, weigerte er sich. Er musste zehn Stunden in Gewahrsam zubringen.
Jafar Panahi kam 1960 im iranischen Minaeh zur Welt, im armen Teheraner Süden wuchs er auf, schon früh betätigte er sich als Parteigänger der Revolution. Doch ehemalige Kollegen berichten, wie aus dem zunächst für die Zensur arbeitenden Aktivisten in nächtlichen Sichtungen an der Teheraner Film- und Fernsehhochschule ein passionierter Cineast wurde. Einigen propagandistischen Auftragsarbeiten, deren Ausführung man besser nicht ablehnte, folgte dann die Assistenz bei dem großen iranischen Regisseur Abbas Kiarostami - eine wichtige Station. Nach dem Dreh zu Kiarostamis "Quer durch den Olivenhain" (1994) half der Meister seinen Assistenten, eine Skizze, die ursprünglich nur als Kurzfilm gedacht war, auszuarbeiten. So entstand 1995 "Der weiße Ballon".
Panahi folgt darin der kleinen Razieh bei ihren Wegen durch die große Stadt. Sie hat den mühsam von der Mutter erbettelten Geldschein, mit dem sie sich zum persischen Neujahrstag einen Goldfisch kaufen möchte, verloren. Der Versuch, den Schein aus dem Gully zu fischen, wird zu einem abenteuerlichen Unterfangen.
Dieses Debüt hat bereits alle Zutaten des iranischen Erfolgskinos: überzeugende Laiendarsteller, einen humanistischen, unsentimentalen Grundton; dazu kommen geradezu magische, einen ungreifbaren Bedeutungsüberschuss produzierende Sequenzen.
Der Folgefilm von 1997, "The Mirror", erzählt eine ähnliche Geschichte: Als Minas Mutter nach Schulschluss nicht auftaucht, macht sich die Kleine alleine auf den Weg nachhause, quer durch Chaos und Lärm der gewaltigen Metropole Teheran.
Die Urteile: Im Dezember 2010 wurden die Filmemacher Jafar Panahi und Mohammad Rasoulof zu jeweils sechs Jahren Haft und zwanzig Jahren Berufsverbot im Iran verurteilt. Die Berlinale hatte zuvor Panahi in die internationale Jury der diesjährigen Filmfestspiele eingeladen und hält nun symbolisch an dem Juryplatz für ihn fest.
Die Filme: Vor der Aufführung des Films "Offside" am 11. Februar um 16.30 Uhr soll als Zeichen der Solidarität mit den zwei iranischen Regisseuren ein allgemeines Zusammenkommen auf dem Roten Teppich stattfinden. Prominente Gäste wie der iranische Regisseur Rafi Pitts haben sich dazu angekündigt. Außerdem werden in den folgenden Festivaltagen Panahis Filme "Der Kreis", "Crimson Gold", "Der weiße Ballon" und "Untying the Knot" gezeigt.
Die Diskussion: Am Donnerstag, 17. Februar, findet eine Diskussionsrunde im HAU 1 mit den Regisseuren Rafi Pitts, Ali Samadi Ahadi, Sepideh Farsi und der Autorin und Aktivistin Mehrangiz Kar über die Zensur und die Einschränkung der künstlerischen Freiheit im Iran statt.
Seine ersten Filme folgen Kiarostamis Erfolgsrezept des iranischen Kinderfilms: Ein Kind ist, vielen Widerständen zum Trotz, auf der Suche; Beharrlichkeit und die tatkräftige Solidarität von Kameraden führen schließlich zum Ziel. Viel wurde hineininterpretiert in dieses Genre: die Unmündigkeit des iranischen Volkes angesichts übermächtiger Autoritäten, das Tabu, urbane Realitäten abzubilden, auch eine gewisse Orientierung an den Exotismus-Bedürfnissen westlicher Festivals.
Panahi fügte eigenes hinzu. In "The Mirror" kommt es auf halber Strecke zu einem narrativen Bruch: Plötzlich will Mina beziehungsweise ihre Darstellerin nicht mehr mitspielen, verweigert sich der Autorität des Regisseurs und zieht eigener Wege durch die Straßen, derart nun das Kamerateam dirigierend. Ein Zwergenaufstand gegen die Erzählungen der Großen und Mächtigen, eine zivile Rebellion gegen die ideologische Marschroute.
Während Kiarostami und andere iranische Regisseure zumeist Jungen auf die Heldenreise schicken, halten bei Panahi kleine Heldinnen trotzig die Nase hoch. Sein nächster Film hat ein fast komplett weibliches Ensemble: "Der Kreis" bringt dem Vierzigjährigen 2000 den Goldenen Löwen in Venedig ein. Wie bei einem Staffellauf wechselt die Erzählperspektive von einer Protagonistin zur nächsten, bis sie wieder bei der ersten anlangt. Sechs Frauenporträts: zwei Freigängerinnen, eine Davongelaufene, eine Drogensüchtige, eine ist mit einer ungewollten Tochter schwanger, eine hat illegal abgetrieben.
Diese Outcasts verkörpern unterschiedliche Altersstufen, so dass "Der Kreis" auch einen Lebenszyklus durchläuft, hinter den vielen Gesichtern nur ein Archetyp durchscheint. Die Männer sind hier eher blass gezeichnet, so wie die Erwachsenen bei den Kinderfilmen, nicht wirklich böse, nur eben nicht betroffen, redundant. Der jetzt zu sechs Jahren Haft und 20 Jahren Berufsverbot verurteilte Regisseur verurteilte selber niemanden.
2006 erhält er für seine Komödie "Offside" auf der Berlinale den Silbernen Bären. Im Iran sind seine Werke verboten. Zuschauer finden sie dennoch auf dem DVD-Schwarzmarkt. "Ich vermute", sagt Panahi, "dass in Ländern, die eine Zensur haben, ein mangelndes Vertrauen zu den offiziellen Medien, der Presse und dem Kino die Piraterie steigert. Der Zuschauer will natürlich das Original, weiß aber, dass er es im Kino oder im Fernsehen nur zensiert zu sehen bekommt."
Um Schwarzseher geht es auch in "Offside": Da wollen einige fußballbegeisterte Teheraner Girlies während eines WM-Qualifikationsspieles verbotenerweise ins riesige Azadistadion gelangen, als Jungen verkleidet. Sie werden gestellt, werden festgehalten und beginnen die jugendlichen Wachsoldaten zu necken. Hier, hinter den Tribünen, vom Schlachtenlärm umtost, spielt ein Großteil des Filmes.
Wie die Frauen am Ende des "Kreises", so werden auch die Mädchen in "Offside" im Mannschaftswagen abtransportiert, doch der allgemeine Siegesjubel der Fans schwappt auch in die Kabine über, die Digitalkamera wechselt schließlich nach draußen und nimmt ein Bad in der Menge. Im euphorischen Taumel, in den Verbrüderungsgesten und gesungenen Liedern auf den Straßen Teherans spürt man dieselbe Sehnsucht, die man im Juli 2009 bei den Wahlunruhen erleben konnte.
Trotz seines Engagements für die Grüne Bewegung versteht sich Panahi nicht als "politischer Filmemacher", weil er die westliche Festschreibung des iranischen Kinos auf die Politik leid ist und auch weil er die iranische Polemik kennt, seine Filme würden im Ausland nur aus politischen Gründen ausgezeichnet. "Ein schlechter Film", sagt er, "kann nicht von der Politik gefördert und ein Film, der etwas aussagt, kann nicht durch die Zensur beeinträchtigt werden". Und: "Ich bin ein sozialer Filmemacher. Wenn etwas in einer Gesellschaft unterdrückt wird, wenn es Probleme gibt, taucht das an anderer Stelle wieder auf, und dort filme ich dann."
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