ARBEITSMARKTPOLITIK: Ein Euro mehr

Rot-rot-grün beschließt, den Mindestlohn für öffentliche Aufträge auf 8,50 Euro anzuheben. Beim Thema Hartz IV regiert in der Koalition dagegen der Dissens

Trotz Arbeit arm soll nicht sein, wer für das Land Bremen arbeitet. Bild: dpa

Mit Zustimmung der Linkspartei hat die rot-grüne Regierungskoaltion gestern beschlossen, dass Firmen, die im Auftrag Bremens arbeiten, ihren Beschäftigten künftig mindestens 8,50 Euro pro Stunde zahlen müssen. Bisher reichten - laut einer 2009 verabschiedeten Regelung - 7,50 Euro Stundenlohn aus. Auszubildende sind von dieser Regelung allerdings ausgenommen. Wie viele Menschen von der Neuregelung möglicherweise profitieren, ist jedoch unklar. Weder im Finanzressort noch bei der Arbeitnehmerkammer oder beim Gesamtpersonalrat gibt es genaue Daten zu der Frage, wie viele Menschen in Bremen derzeit im öffentlichen Auftrag, aber prekär beschäftigt sind.

Umso heftiger war die parlamentarische Debatte, die sich gestern im Parlament zur Frage des Mindestlohns entspann. Die Linkspartei forderte zehn Euro ein - und wurde dafür von den Grünen als "populistisch" gescholten. SPD-Fraktionschef Björn Tschöpe bemühte gar Walter Ulbricht (SED), um den Vorstoß von links heftig zu kritisieren. Ex-Fraktionschef Oliver Möllenstädt (FDP) wiederum attestierte der SPD, von der Linkspartei getrieben zu werden, den "Klassenkampf" zu erproben und sich zum "Held der Arbeiter" aufzuschwingen. Die scheidende Linkspolitikerin Inga Nitz hingegen gab sich staatstragend: "Mit dem Vergaberecht haben wir neue Maßstäbe gesetzt."

Wer als AlleinstehendeR 8,36 pro Stunde bekommt und 35 Stunden pro Woche arbeitet, hat am Monatsende 1.265 Euro brutto, 950 Euro netto und keinen Anspruch mehr auf ergänzende Sozialleistungen. Mit diesem Lohn, so SPD und Grüne in ihrem "Dringlichkeitsantrag", würden Vollzeit Arbeitende eine Rente "oberhalb der Altersgrundsicherung erreichen". Nitz indes rechnet vor, dass man mit 9,62 Euro Stundenlohn nach 45 Versicherungsjahren "in die Altersarmut" entlassen werde und noch auf aufstockende Sozialleistungen angewiesen sei. Heute schon haben 4.000 BremerInnen einen Vollzeitjob, bekommen aber auch Sozialhilfe oder Hartz IV. Insgesamt gibt es in Bremen 18.000 "Aufstocker", zumeist Mini- und Teilzeit-Jobber.

Die Grünen halten das Ergebnis der Vermittlung bei der Hartz-IV-Novelle "für nicht zustimmungsfähig". Bremen wird dem Hartz-IV-Kompromiss im Bundesrat deshalb heute nicht zustimmen. Auch wenn der Koalitionspartner SPD dies gerne getan hätte - ob der in den Verhandlungen erreichten Verbesserungen. Die Bremer CDU forderte gestern ebenfalls eine Zustimmung Bremens ein.

Die Grünen würden nicht erneut ihre Hand für ein Gesetz heben, das "nicht verfassungskonform" sei, sagte der sozialpolitische Sprecher Horst Frehe. Der erzielte Kompromiss stelle zwar in Bezug auf das Bildungspaket für Kinder aus armen Familien eine Verbesserung dar. "Die Fortschritte beim Bildungspaket können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass fast fünf Millionen erwachsene Hartz-IV-Beziehende im Regen stehen gelassen werden."

Das ist ein Angriff auf SPD-Bürgermeister Jens Böhrnsen: Er ist Vorsitzender des Vermittlungsausschusses von Bundestag und -rat. Das Gremium billigte den Kompromiss am Mittwoch. mnz

Wer unmittelbar im öffentlichen Dienst in Bremen beschäftigt ist, bekommt derzeit mindestens 8,51 Euro pro Stunde. Auch die Putzkräfte liegen schon heute über dem neuen Mindestlohn, so das Finanzressort. Bei den Wachleuten, so Doris Hülsmeier vom Gesamtpersonalrat, käme es aber "immer mal wieder" vor, dass sie weniger bekämen. Nicht alle Dienststellen würden "von sich aus" den Mindestlohn zahlen, aber alle zumindest dann, wenn sie darauf hingewiesen würden. 2008 hatte der Senat einräumen müssen, dass etwa 100 von der bremischen Verwaltung bezahlte ArbeitnehmerInnen weniger als 7,50 Euro bekommen hatten.

Finanz-Staatsrat Henning Lühr sieht die Anhebung des Mindestlohns um einen Euro auch ohne genaue Daten als "machbar" an und versprach, die öffentlichen Aufträge "systematisch" zu analysieren. Man könne den Beschluss jedoch nicht "auf Knopfdruck" umsetzen.

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