Wenn Wetter arm macht

Hurrikane, Überflutungen, Trockenheiten – sie treffen vor allem die Ärmsten auf der Welt. Deshalb muss der Klimawandel in den Blickwinkel der Armutsbekämpfung rücken

Die Zeiten, als man noch hoffen konnte, den Klimawandel abzuwenden, sind vorbei

„Katrina“, „Rita“, „Stan“, „Wilma“, „Alpha“ – noch nie hat eine Hurrikan-Saison in der Karibik eine solche Vielzahl an Stürmen gebracht. Gleich mehrere Rekorde sind gefallen: zum ersten Mal drei Stürme der Hurrikan-Kategorie fünf, zum ersten Mal mehr als zwölf Hurrikane. Das hat das Thema Klimaschutz auf die Titelseiten vieler Zeitungen gebracht.

Nun lässt sich bei einem Einzelereignis nie sagen, ob es Zufall oder Konsequenz des vom Menschen verursachten Klimawandels ist. Doch gibt es eine Vielzahl wissenschaftlicher Belege, dass menschliches Handeln – das Anheizen der Atmosphäre durch die Verbrennung von Öl, Gas, Kohle und andere Faktoren – es wesentlich wahrscheinlicher macht, dass solch enorm starke Wetterextreme auftreten. Die tatsächliche Dimension der Konsequenzen in den nächsten Jahrzehnten sind noch nicht abzusehen, aber die zahlreicher werdenden warnenden Stimmen aus der Klimawissenschaft lassen Schlechtes erahnen.

Der Hurrikan „Stan“ hat am schlimmsten über Guatemala gewütet, einem der ärmsten Länder der Erde. Es hatte sich vorher nicht einmal von dem letzten zerstörerischen Hurrikan „Mitch“ von vor sechs Jahren erholt. Hier starben mehr als 2.000 Menschen, zahlreiche Dörfer wurden durch Erdrutsche zerstört. Der Hurrikan „Katrina“ hat zwar vor allem über die reichste Nation der Erde – die USA – Zerstörung gebracht. Doch sowohl „Stan“ als auch „Katrina“ zeigen: Es sind vor allem die Ärmsten der Bevölkerung, die von den Stürmen betroffen sind. In vielen Fällen sind sie gesellschaftlich marginalisiert. Geringes Einkommen, fehlender Zugang zu Ressourcen, geringes Bildungsniveau: Das alles sind Faktoren, die die Verwundbarkeit gegenüber Risiken des Klimawandels erhöhen. Die oftmals auch räumliche Marginalisierung erschwert zudem die Hilfe im Katastrophenfall, wie auch das Beispiel Pakistan zeigt.

Der Fokus der internationalen Entwicklungspolitik richtet sich derzeit darauf, die so genannten Millennium Development Goals (MDGs) zu erreichen. Die Armut bekämpfen, Ernährung und Trinkwasserversorgung der Ärmsten sichern, Aids und Malaria eindämmen – auch ohne den Klimawandel sind hier die Herausforderungen enorm und erfordern einen noch umfangreicheren Einsatz als bisher. Schreitet der Klimawandel jedoch ungebremst weiter voran, könnten Erfolge bei diesen Zielen wieder zunichte gemacht werden.

Guatemala, wo der Schaden durch Hurrikane die Entwicklung des Landes um Jahre zurückgeworfen hat, ist hier ein warnendes Beispiel. Auf all die genannten Entwicklungsprobleme hat der Klimawandel jetzt schon negative Auswirkungen, die sich in Zukunft weiter verschärfen werden. Eine weiter deutlich ansteigende Temperatur könnte die Möglichkeit des Weizenanbaus in vielen südasiatischen Ländern drastisch einschränken. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO waren bereits im Jahr 2000 weltweit rund 154.000 Tote auf den Klimawandel zurückzuführen, dies vor allem durch die Ausbreitung von Malaria, Denguefieber und Durchfallerkrankungen.

Die Zeiten, als man noch hoffen konnte, den globalen Klimawandel vollends abzuwenden, sind inzwischen vorbei. Zu lange wurde der notwendige Klimaschutz verzögert. Das heißt keineswegs, dass die Verringerung von Treibhausgasemissionen jetzt nichts mehr bringen würde: im Gegenteil: Noch schneller muss auf klimafreundliche Energieträger umgestellt werden, um großflächig gefährliche Auswirkungen zu vermeiden, wie es die UN-Klimarahmenkonvention zum Ziel hat. Nach Meinung vieler Wissenschaftler sollte dazu die globale Temperaturerhöhung auf unter zwei Grad Celsius bis Ende des Jahrhunderts gegenüber 1860 begrenzt werden – ein Ziel, das auch von der neuen Regierung in der Koalitionsvereinbarung wieder politisch bestätigt wird – und enorme Anstrengungen erfordert.

Gleichzeitig führt aber kein Weg daran vorbei, sich auf die nicht mehr vermeidbaren Konsequenzen vorzubereiten und Anpassungsmaßnahmen zu ergreifen. Dies gilt besonders zum Schutz der Ärmsten auf der Welt. Viele Entwicklungsorganisationen sehen sich zunehmend der Situation ausgesetzt, dass die Nothilfe bei Wetterkatastrophen einen immer größeren Teil ihrer Ressourcen absorbiert. Dadurch fehlen Mittel, die dringend benötigt würden, um die Armut in weiten Teilen der Welt zu bekämpfen. Deswegen beginnen große Entwicklungsorganisationen zunehmend, ein „klimapolitisches Bewusstsein“ herauszubilden.

Ein eindrückliches Beispiel hierfür sind die Entwicklungen in Großbritannien. Dort hat sich vor einiger Zeit eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich aus altbewährten klimapolitischen Organisationen auf der einen Seite und weltweit agierenden Entwicklungshilfeorganisationen auf der anderen Seite zusammensetzt. Beide Seiten profitieren von den wechselseitig unterschiedlichen Erfahrungen und haben ihr Wissen und ihre Kontakte unter anderem in zwei prägnanten Studien formuliert: „Up in Smoke?“ und „Africa – up in smoke?“ fragen nach den Lebensperspektiven unterschiedlichster Menschen und Bevölkerungsgruppen, die angesichts eines sich dramatisch verändernden Weltklimas zunehmend düsterer erscheinen. Nicht zuletzt bei den Aktionen zum G-8-Gipfel im Juli im schottischen Gleneagles, der Afrika sowie den globalen Klimawandel zum Schwerpunkt hatte, haben diese Organisationen gleichzeitig eine aktivere Armutsbekämpfung und konsequenteren Klimaschutz gefordert.

Schreitet der Klimawandel voran, werden Erfolge im Kampf gegen Armut zunichte gemacht

Auch in Deutschland beginnen Organisationen wie Brot für die Welt oder die Deutsche Welthungerhilfe, sich zunehmend mit den Konsequenzen des Klimawandels für ihre Hauptzielgruppe – die Ärmsten – und ihre tägliche Arbeit auseinander zu setzen. Germanwatch bringt seine langjährigen klima- und entwicklungspolitischen Erfahrungen in diese Debatte mit ein. Nach wie vor besteht Armutsbekämpfung natürlich nicht nur oder auch nur in erster Linie aus Klimapolitik. Ein verstärktes politisches Engagement der Entwicklungsorganisationen in diesem Bereich sollte nicht dazu führen, dass der Einsatz im Kampf gegen Unterernährung, Aids und Malaria et cetera weniger nachdrücklich betrieben wird.

Dennoch ist ein stärkeres Engagement der Entwicklungsorganisationen in der internationalen und nationalen Klimapolitik unbedingt wünschenswert. Zum einen, um den politischen Druck für eine verantwortungsvolle Klimapolitik zu erhöhen. Zum anderen kann auch die klimapolitische Debatte enorm davon profitieren. Denn Organisationen mit Erfahrungen in der Katastrophenvorsorge und der Nähe zu den Betroffenen können wichtige Inputs geben, beispielsweise, wie die Anpassung der Entwicklungsländer an den Klimawandel effektiv unterstützt werden kann. Denn auch umgekehrt gilt: Armutsbekämpfung ist die beste Vorsorgestrategie gegen kommende Extremereignisse. SVEN ANEMÜLLER