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Kommentar Brandanschlag auf S-BahnBegründung aus dem Baukasten

Gereon Asmuth
Kommentar von Gereon Asmuth

Mit dem Brandanschlag sollte alles Böse dieser Welt getroffen werden. Im Verkehrschaos stecken geblieben sind jedoch die Berliner, die auf die S-Bahn angewiesen sind.

D as war ein Volltreffer. Mit einem schlichten Kabelbrand haben Unbekannte am Montag in Berlin für ein umfassendes Chaos gesorgt. Tausende Fahrgäste der S-Bahn kamen nicht mehr weiter, Telefonnetze und Internetverbindungen wurden lahmgelegt, selbst die Homepage der Bahn war phasenweise gestört.

Phasenweise gestört waren offensichtlich auch der oder die Täter. Zu dieser Auffassung muss man jedenfalls kommen, wenn man das im Internet verbreitete Bekennerschreiben für echt hält.

Da wird als Begründung für den Anschlag ein Argumentationsmix geliefert, der wie aus dem Baukasten für linksradikale Pamphlete zusammengestöpselt wirkt. Die technisch offensichtlich sehr kenntnisreich und zielgenau ausgeführte Attacke soll tatsächlich als Symbol für den Kampf gegen so ungefähr alles Böse herhalten, was man sich nur vorstellen kann: gegen EU und die Atomkonzerne, gegen die Waffenexporteure und die Regierung, gegen die Flüchtlingspolitik - und gegen Berlin, die Hauptstadt des Bösen.

Wow! Und all dies trifft man also, in dem man Berlins rumpelige S-Bahn lahmlegt?

amelie losier

GEREON ASMUTH leitet das Berlin-Ressort der taz.

Man müsste das Schreiben umgehend als bloßen Fake abtun, wenn es in seiner Diktion nicht doch leider recht authentisch wirken würde.

Das macht es umso schlimmer. Denn auf Verständnis darf man mit so einem Quatsch nicht einmal bei den Gutwilligsten hoffen. Die Massen, die nun im Verkehrschaos stecken, werden jedenfalls kaum von der herbeifabulierten Gesellschaft ohne Herrschaft, sondern eher von einer Stadt mit funktionierendem Nahverkehr träumen.

Wenn die S-Bahn bisher nicht kam, konnten die Wartenden zu Recht auf die substanzschädigende Profitgier der Bahn schimpfen. Jetzt meckern sie über diese durchgeknallten, linken Atomkraft- und Kapitalismuskritiker. Na super!

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Gereon Asmuth
Ressortleiter taz-Regie
Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters
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4 Kommentare

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  • VK
    von Kommentor

    Der Kommentatorin kann ich nur zustimmen. So etwas riecht kaum nach "linker Politik" sondern vielmehr nach der klassischen Strategie der Spannung - also nach der Methode, mit der man "die Linken" oder andere unliebsame Bewegungen in der Bevölkerung unbeliebt machen will.

    Aus der Vergangenheit sind eine Reihe solcher Anschläge mit falschen Zuschreibeungen dokumentiert, unter anderem vom Schweizer Historiker Daniele Ganser, etwa in Italien, Spanien und Südafrika. Jetzt also auch in Deutschland?

  • HJ
    Hans J. G.

    Man braucht keine ausgeprägte Analysefähigkeit für die Annahme, daß dies in die Kategorie Fanal gehört, die Täter also nicht um Verständnis betteln. Dazu genügt ein Blick auf die 70er.

    Derartige Kommentare gibt's in der Sushi-Bar. Dazu braucht's keine TAZ.

  • AC
    Anjetta Christner

    Ich schließe mich dem Kommentar vollinhaltlich an. Die Frage ist ja überhaupt nicht, ob es legitim ist, Gewalt gegen Sachen anzuwenden, um Atomkraftwerke abzuschalten. Das könnte man ja nochmal separat diskutieren, wenn denn die geringste Aussicht auf Erfolg bestünde. (Möglicherweise würde sich ja eine Mehrheit von Menschen durchaus bereit erklären, für ein paar Stunden auf den S-Bahn-Betrieb zu verzichten, wenn sich dafür ein Abschalten eintauschen ließe. Schließlich sehen eine Menge Leute Atomkraft mittlerweile sehr kritisch.)

     

    Aber genau diese Aussicht auf Erfolg besteht ja überhaupt nicht. (Und um Zustimmung gefragt hat uns vorher auch keiner.) Wer sowas tut, hat komplett den Verstand verloren, denn er schadet dem Ziel, das er angeblich anstrebt.

  • K
    Kommentatorin

    Sehr schöner Kommentar. In der Tat ist das Belennerschreiben seltsam vage, wogegen der Anschlag denn nun eigentlich gerichtet sein sollte, und in der Tat erfolgte der Anschlag offenbar mit großem technischen Wissen und sehr Zielgenau - gegen Berlins rumpelige alte S-Bahn.

     

    Bin ich die Einzige, die sich da über den möglichen Zusammenhang mit der von Fridrichs angestoßenen Debatte zur Verlängerung der Antiterrorgesetze wundert? Und dann der Verweis im 'Bekennerschreiben' auf die Atompolitik - die Berliner S-Bahn transporiert Atommüll? wohl eher nicht. Aber für Stimmungsmache gegen die Anti-Atom-Proteste taugt das Ganze allemal.

     

    Das Ganze riecht für mich weniger nach einer Aktion der autonomen Linken, sondern mehr nach einer gezielten V-Aktion. Sorry.