Die Große Bergstraße im Wandel: "Wo sollen wir denn jetzt hin?"
Von der neuen Ikea-Filiale steht noch kein Stein. Der Umbau der Großen Bergstraße hat dennoch längst begonnen. Mehreren Mietern ist schon gekündigt worden.
Auf den ersten Blick ist in der Großen Bergstraße, sieht man von der Lücke ab, die das Frappant gelassen hat, alles beim Alten: Da ein Gemüseladen, hier eine Bäckerei, die ein Franzbrötchen für 49 Cent bewirbt (anderswo kostet es gerne mal einen Euro), und auch der "True Rebel Store" bringt noch immer systemkonforme Mode-Marken wie Fred Perry unters Volk. Und doch, und doch …
Das traditionsreiche Sanitätshaus Funke etwa. Seit mehr als 55 Jahren in der Großen Bergstraße, Ecke Schumacherstraße. Nun weg. Über dem Ladengeschäft residiert dagegen noch der Verein "Integrationshilfe", der sich um Haftentlassene kümmert. Allerdings auch nur noch wenige Tage: "Man hat uns bis zum 30. Juni gekündigt - ohne Begründung", sagt der Geschäftsführer Peter Matthiesen.
Er weiß natürlich auch so, warum. Ikea. "Die glauben alle, das Möbelhaus ist der Messias, und wenn der kommt, kann man ja mal die Miete verdoppeln", sagt Matthiesen. Übrigens selber einer, der die Ansiedlung von Ikea unterstützte, und nun, "Ironie des Schicksals", sagt er, als ein erstes Opfer dasteht. Und das, obwohl von dem Klotz noch kein Stein steht. Was ihn ärgert, sind auch die Kosten, die jetzt für den Verein durch den Umzug entstehen. Man könnte auch sagen, für den Steuerzahler, da der Verein vollständig mit Mitteln der Sozialbehörde finanziert wird.
Matthiesen wäre gern in Altona geblieben, hat aber kein bezahlbares Domizil im Bezirk gefunden und weicht nun an den Steindamm aus. Das Sanitätshaus Funke, spezialisiert auf Gesundheitsbälle, Inkontinenz-Bettbezüge und Gehhilfen, hat mehr Glück gehabt und einige Schritte Richtung Nobistor eine Ladenfläche gefunden, vormals von einem Lottoladen genutzt. Der sei aufgrund von Mieterhöhungen rausgegangen, erzählt Stefanie Wobbe, Mit-Geschäftsführerin des Sanitätshaus. Sie selbst kann die Miete, die "schon heftig" sei, nur bezahlen, weil sich ihr Laden von der Fläche verkleinert hat.
Auch Stefanie Wobbe gehörte zu den Unterstützern der Ansiedlung Ikeas. "Im Nachhinein bereue ich das", sagt sie jetzt. Was ihr bleibt, ist die Hoffnung, dass mit Ikea mehr Laufkundschaft den Weg in ihren Laden findet, und sich damit die gestiegenen Mietkosten wieder hereinholen lassen.
Unvergleichlich mehr erhofft sich offenbar das Hamburger Immobilienunternehmen Bruhn. Dem gehört das Geschäftshaus, das die Integrationshilfe und das Sanitätshaus verlassen mussten, nebst einigen anderen Gebäuden in der Umgebung.
In der Neuen Großen Bergstraße, die Fußgängerpassage zum Altonaer Bahnhof, gehört dem Unternehmen die Zeile gegenüber des Jeans-Stores "Hundertmark". Die soll abgerissen werden, laut der Mopo ist C&A an der Location interessiert. Es gehe um Millionen - und um die Existenz eines Imbiss-Besitzers, an dessen Geschäft noch Aufkleber mit dem Schriftzug "Neueröffnung" kleben, und das schon wieder geschlossen ist.
Der 37-jährige Müslin Sahin soll für Ablöse, Gebühren und Umbauten 60.000 Euro in den Imbiss gesteckt haben, nur um ein Dreivierteljahr später von Bruhn eine Kündigung seines Vertrags bis 2013 ins Haus geschickt zu bekommen. Müslin zieht vor Gericht, verliert seinen Fall und befindet sich nun seit mehr als 25 Tagen im Hungerstreik. Soweit die Mopo.
Die Firma Bruhn bedauert den Fall, weist aber entschieden alle Schuldvorwürfe zurück. Mietrückstände, unbeantwortete Mahnungen - da habe man gekündigt, so Per Eric Hansen. Außerdem habe man dem Mieter von vornherein klar gemacht, dass 2013 definitiv Schluss ist, "da steckt man doch in einen Imbiss nicht 60.000 Euro für Ablöse und Umbau hinein".
Auch beim Gebäude Ecke Schumacherstraße wehrt sich das Unternehmen gegen Vorwürfe, rabiat gegen die Mieter vorgegangen zu sein. Dem Sanitätshaus und der Integrationshilfe etwa habe man langfristige Mietverträge angeboten. Die aber hätten Flexibilität, und darum kurzfristige Verträge gewollt. "Und Flexibilität gilt nun mal für beide Seiten", sagt Hansen.
Auch die Stadtentwicklungsgesellschaft Steg sieht den Umbau Altona gelassen. Ihr Stadtteilbüro liegt in der Großen Bergstraße gegenüber der ehemaligen Finanzbehörde, die die Stadt leer stehen lässt. "Im Moment", sagt Lutz Schmitz, "sind wir mit der Entwicklung noch relativ zufrieden." Dass Daddelhallen, Rammsch- und Handyläden wegziehen, sei ja das Ziel des Sanierungsvorhaben gewesen, das 2006 aufgelegt wurde. Wenn jetzt einige Mieter das Maß nicht halten können, sei das natürlich blöd, betreffe aber auch nur "Einzelschicksale".
Neben dem geschlossenen Imbiss betreibt eine Frau noch ein türkisches Geschäft für Ball- und Cocktailkleider. Vor zwei Jahren hat sie es eröffnet, es läuft gut, doch in zwei Wochen ist Schluss. Dass das Gebäude abgerissen wird, habe ihr damals niemand gesagt. "Wo sollen wir denn jetzt hin?", fragt sie.
Noch so ein "Einzelschicksal".
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